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Indessen hatte sich Gussi wieder zurück auf den Weg zum See begeben, wo sie unter der Fichte mit den tiefhängenden Zweigen ihr Nest mit dem wärmenden Laubpolster wusste. Denn sie fror erbärmlich, und da sie auch nur selten etwas Saftiges und Stärkendes zu verzehren fand, magerte sie zusehends ab. Schritt für Schritt, müde vor Anstrengung, watschelte sie dahin. Die Füße taten ihr weh. Die rosa Schwimmhäute zwischen ihren Zehen waren wundgescheuert und zeigten vor Kälte kaum noch ein Gefühl.
Doch plötzlich, als das Schneegestöber sich lichtete und schließlich aufhörte, sah sie vom Dorf her eine Kolonne von riesigen Maschinen auf sich zukommen. Das ratterte und knatterte, und umso lauter wurde das Getöse, je näher die Ungetüme auf sie zurollten. Sie erkannte Bagger und Kippfahrzeuge, Planierraupen und Walzen. Entsetzt ergriff sie die Flucht, stolperte über Stock und Stein. In ihrer Not spreizte sie alle Federn, schlug verzweifelt mit ihren Flügeln durch die Luft und wollte auffliegen. Doch ungeübt und lahm versagten sie ihr jeglichen Dienst. So war sie noch froh, sich vor den Maschinen ans Ufer gerettet zu haben.
Aber auch das war ein Irrtum. Sie suchte die schützende Mulde unter der Fichte.
Sie fand sie nicht.
Zwar kam sie an den Platz, wo vor ihrer Wanderschaft das Versteck gelegen hatte. Doch inzwischen breitete sich dort eine kahle, verkohlte Fläche aus. Bäume und Büsche waren gerodet, Gezweig und Gestrüpp zu Haufen gestapelt und angezündet worden. Noch brannten die Feuer, loderten die Flammen. Schwarzer, stinkender Rauch wälzte sich über den See und verdüsterte unter sich das Geflimmer des Wasserspiegels, den Widerschein der matt am Himmel glänzenden Sonne im Spiel der wie klagend ans Ufer klatschenden Wellen.
Gussi war unendlich traurig. Und ihre Traurigkeit nahm noch zu, als nun auf der abgeholzten und niedergebrannten Fläche die Maschinen eintrafen.
Sie saß in der Deckung eines Wacholderstrauches und rührte sich nicht.
Von etlichen Männern, die den Kabinen der Fahrzeuge entstiegen waren, hörte sie Wortfetzen zu sich herüberhallen. Immer wieder war darin von einer Melioration die Rede. So nannten die Menschen offenbar ihr Werk, das Land, wie sie sagten, zu ebnen, zu entwässern und zu verbessern. Sie wollten darauf ein Hotel bauen, einen riesigen Platz für Golfspieler anlegen, einen Badestrand dazu, und freuten sich, dass sie noch lange zu arbeiten hätten.
Schon ratterten und knatterten wieder die Motoren. Die Bagger fraßen sich mit ihren Schaufeln tief in den Boden und warfen Gräben aus. Eine Gruppe Wildkaninchen stürzte aus ihrem Bau und stob hakenschlagend mit angstverzerrten Gesichtern an Gussi vorbei. Die Kipper schleppten von irgendwoher Geröll und Kies heran und schütteten einen Deich damit auf. Ein Reh, wohl schon Vortags von seinem Rudel getrennt, jagte wie von Sinnen davon, rannte mit dem Kopf gegen eins der eisernen Geräte und blieb mit gebrochenem Genick neben ihm liegen. Die Planierraupen schoben unentwegt Erde in den Sumpf, um ihn trockenzulegen und einzupoldern, und die Walzen fuhren glättend darüber hin, verschonten auch nicht die Böschung am See, zermalmten sie unter sich. Mit qualvollem Schrei, einem weithin gellenden Tittittie!" schoss ein Eisvogel auf. Selbst im dunstverhangenen Licht dieses Wintertags noch blau und grün und rot wie ein Edelstein blitzend, flog er übers Wasser und gewiss, seiner tief in eine Uferwand gebohrten Nisthöhle beraubt, dem sicheren Tod entgegen.