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Jetzt saß ich erst einmal in meinem FDJ-Wochenseminar. Zeitgleich führte auch der FDJ-Hochschulchor eine Werkstattwoche durch. Einige Tage zuvor, am 9. Juli 1952, hatte die Parteiführung der DDR den planmäßigen Aufbau der Grundlagen des Sozialismus beschlossen. Irgendein Potsdamer hoher Funktionär, oder auch mehrere, leitete aus diesem Beschluss ab, dass die BRD Versuche unternehmen würde, dies zu verhindern, bis hin zu einer militärischen Intervention. Einer derjenigen, die das Vaterland in Gefahr sahen, erschien nun in unserem Seminar und erklärte uns wortgewaltig, dass nur der unter den jungen DDR-Bürgern ein wahrer Patriot sei, der sofort eine Erklärung zum Eintritt in die Kasernierte Volkspolizei abgab (KVP, Vorläufer der Nationalen Volksarmee der DDR). Tatsächlich ließen wir uns alle, wenn auch schweren Herzens, überzeugen, auch die männlichen Chormitglieder, und schon am folgenden Morgen rückten wir, in mehreren Bussen verstaut, in die Brandenburger KVP-Kaserne in der Stadt Brandenburg (Havel) ein. Der dortige Kommandeur schien nicht sehr erfreut über den überraschenden Zuwachs seiner Mannschaft. Vielleicht befürchtete er, dass die auf zweifelhafte Weise zustande gekommene Freiwilligkeit unseres plötzlichen KVP-Eintritts in absehbarer Zeit zu vielen Anträgen auf Rückgängigmachung führen würde.
In der Nacht glühten wohl zwischen Potsdam und Berlin die Telefonleitungen. Es kann angenommen werden, dass die übereifrigen Potsdamer Vaterlandsverteidiger, statt Ruhm und Ehre einzuheimsen, einen Rüffel bekommen hatten. Jedenfalls teilte uns der Kommandeur am nächsten Morgen gleich nach dem Frühstück mit, dass die Maßnahme aufgehoben worden sei. Es sei ebenso wichtig, sagte er, die Hochschulen mit Studenten aus der Arbeiterklasse und der Bauernschaft zu beschicken wie die Verteidigungskraft unserer jungen Republik zu stärken. Erleichtertes Aufatmen der Freiwilligen. Das FDJ-Seminar wurde nicht mehr fortgesetzt. Ich fuhr nach Frankfurt (Oder) nach Hause, und zwei Tage darauf saß ich auf meinem Fahrrad und startete zu meiner vierzehntägigen Sommertour. Wie frei fühlte ich mich nach dem Aufenthalt in der Kaserne!
Als die Potsdamer Studenten im September wieder in die Wohnheime und Hörsäle einrückten, wartete auf uns ABF-Schüler des bisherigen A-Jahrganges eine große Überraschung. In Berlin war beschlossen worden, die Universitäten und Hochschulen in der DDR schneller als ursprünglich geplant, mit Studenten aus der Arbeiterklasse und der Bauernschaft zu beschicken. Die leistungsmäßig Besten der A-Jahrgänge sollten die B-Stufe überspringen und in Sonderklassen bereits in zwei statt in drei Jahren zum Abitur geführt werden. Auf wundersame Weise war es gerade dieser Beschluss, der mich mit meinem Spätzchen, meiner über alles geliebten Frau, zusammenbrachte, mit der ich nun schon über fünfzig Jahre lang gemeinsam durch das Leben gehe. Ich gehörte nämlich zu den Besten und kam in die Potsdamer CGS (Jahrgang C, geisteswissenschaftliche Sonderklasse). Diese Klasse brachte es aber nur auf etwa zehn Studenten. Deshalb wurde höheren Ortes festgelegt, einfach die Studenten der Greifswalder CGS, die ebenfalls unterbesetzt war, in die Potsdamer CGS zu integrieren. So kam Spätzchen nach Potsdam und in meine unmittelbare Nähe.