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Da sah ich den Menschen. Dramatische Werke und Gedichte von Erik Neutsch
Autor:
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
09.08.2014
ISBN:
978-3-95655-008-9 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 483 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Politik, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Verbrechen
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories, Kriegsromane, Kriminalromane und Mystery, Familienleben
2. Weltkrieg, DDR, Parteisekretär, Mauer, Kindstötung, Halle/Saale, Parteisekretär, Gedichte
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Anfang März: Werkhalle

Typisches Chemiekolorit. Kälteanlagen. U-förmig gekrümmte, mannsdicke Rohrleitungen, Schwungräder für Verschlüsse, Armaturen. In einer Ecke ein grober Tisch mit Bänken. Mittagspause. Die meisten Arbeiter und Arbeiterinnen in Weiß gekleidet. Die Zwangsarbeiter jedoch, wiederum mit Brandschädel in ihrer Mitte, in blauem Drillich. Sie werden soeben im Gänsemarsch aus der Halle geführt. Etwas abseits hockt John Sperber, sechzehnjährig, einen Werkzeugkasten neben sich. Er wickelt mager belegte Brote aus einem Blatt Zeitungspapier. Der Kopf: Leipziger Neueste Nachrichten. Er ißt, beobachtet dabei die Reihe der Zwangsarbeiter.

Junge Arbeiterin ruft ihm vom Tisch aus zu: Warum setzte dich nicht zu uns, Reparaturfritze?

Sperber: Schlosser, bitte.

Arbeiterin: Haste denn schon ausgelernt, du Kücken?

Meister am Tisch: Ich kenn ihn. Jonas Sperber. Doch weil’s jüdisch klang gestern — John. Seit Anfang des Krieges nun wieder — zu englisch. Trotzdem wurde er reklamiert. Zwei Brüder von ihm sind gefallen. Ein anderer, Thomas, ebenfalls an der Front. Und sein Alter ein Krüppel. War verschüttet im Tagebau.

Sperber reißt den Zeitungskopf ab, knüllt ihn zusammen, glättet ihn wieder.

Arbeiterin: Komm zu uns, Jonny, wennst was erleben willst. Die richtigen Männer vielleicht schon im Himmel. Und der hier auf den Meister deutend kriegt’n nicht hoch. Der Nachwuchs muß ran.

Die Frauen prusten und kichern. Sperber entdeckt die wasserblauen Augen Brandschädels.

Sperber zu leise: Bald werden die Krokusse blühn...

Arbeiterin: Was sagste da?

Sperber laut: Bald werden die Krokusse blühen!

Brandschädel ist aufmerksam geworden, mustert ihn.

Arbeiterin: Der spinnt. Draußen schneit’s.

Plötzlich durchdringendes Geheul von Sirenen. Sperber läßt wie zufällig das zerrissene Zeitungsblatt vor Brandschädels Füße fallen.

Arbeiterin: Und jetzt erst mal Voralarm.

Meister: Macht euch bereit für den Bunker!

Unruhe, die immer mehr zunimmt. Die Deutschen packen hektisch ihre Sachen. Brandschädel bückt sich nach dem Blatt. Doch Sperber setzt kaltblütig seinen Fuß darauf. Ihre Blicke begegnen sich.

Sperber: Momento...

Brandschädel: Die Sonne kommt höher.

Sperber tritt zurück. Die Sirenen heulen zum Vollalarm. In dem Gehetze, das nun entsteht, hat Brandschädel die Zeitung vor den Augen.

Schlagzeile: V2 übt Vergeltung.

Das Datum: Freitag, 2. März 1945.

Doch die 2 ist handschriftlich ergänzt: 12.

Dahinter: 6 h früh.

Brandschädel dreht sich im Laufen noch einmal um, lächelt Sperber zu.

 

Da sah ich den Menschen. Dramatische Werke und Gedichte von Erik Neutsch: TextAuszug