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WALKING TALKING. Unterwegs in Irlands wildem Westen von Gabriele Berthel, Helga Kaffke (Illustrator)
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Preis E-Book:
11.99 €
Buch:
14.80 €
Veröffentl.:
16.07.2018
ISBN:
978-3-95655-890-0 (Buch), 978-3-95655-891-7 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 148 Seiten
Kategorien:
Reisen / Irland, Kunst / Malen
Orte und Menschen: Sachbuch, Bildbände, Moderne und zeitgenössische Belletristik, Irland: Donegal, Irland: Leitrim, Irland: Kilarney, Irland: Sligo, Irland: Die Zwölf Bens, Irland: Mayo, Irland: Connemara, 2010 bis 2019 n. Chr.
Irland, Helga Kaffke, Aquarelle, Mayo, Westport, Sligo, Ballycroy, Achill Island, Tullaghan Bay, Slievemore, Connemaraschafe, Donegal, Killala, Clew Bay, Faulmore, Leitrim, Connemara, Leenane, Belmullet, Moor, Dunmore, Asleagh, Cashel, Mullet Halbinsel, Leenane
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WALKING TALKING

Alles hängt vom Gleichgewicht ab. Noch fünf Schritte, sechs, dann fällt die Straße steil ab in die Senke. Man muss das mitkriegen. Man muss die Kuppe genau im Auge behalten. Wenn man zu flott rankommt, ist man ruckzuck unten. Es zieht einem die Gräten weg. In der Senke hält sich die Nässe am längsten. Weil der Wind bloß drüberhin pfeift und die Sonne gar nicht erst auftaucht, oder nur auf einen Sprung, nur um Bescheid zu sagen, dass sie nicht kommt. Dort unten, am Grund, bleibt die Straße, wie sie immer war. Mit riesigen Lachen vom Regen. Mit tiefen Schlammlöchern. Es ist ein schwieriges Stück. Man kann nur einen Fuß vor den anderen setzen. Das muss man raushaben. Am besten ist es, genau in der Mitte zu gehn, denn die Straße schwankt ein bisschen. Der Schmadder im Graben tut nicht weh. Es dauert bloß, bis man hochkommt.

In Paddys Schädel zwitschert das Stout. Paddy hört es gut, er kennt jeden Ton, er kann sie genau auseinanderhalten. Bisschen die Kehle nassmachen war er, in Snoopy`s Bar, aber er hält sich so aufrecht er kann, das muss man bringen, einen abbeißen und hinterher gradegehn, alles hängt vom Gleichgewicht ab, das kann man hinkriegen. Man muss den Pfiff kennen, dann ist es so einfach wie einen Fuß vor den anderen zu setzen, langsam, es hat keinen Zweck, so aufzudrehn. Wenn Paddy ehrlich ist, muss er zugeben: mehr Tempo würden seine Treter gar nicht durchhalten. Nicht dass sie schon in Fetzen gehn, Leder, weiß Paddy, kann einiges ab, das ist zäh. Aber die Schnürsenkel, die sind fort, so‘n Krempel ist fix erledigt, am Ende kaum gut für‘n Knoten, Paddy hat das nicht gebracht. Klar kann er neue kaufen, kann er sich leisten, macht er nicht, die Botten schlackern bisschen, es geht so, es geht, man muss das weghaben, Dampf machen hat keinen Sinn.

Auch wegen dem Graben. Der tut Paddy nicht weh, aber Martha, Martha würde gleich sehn, wenn er im Schmadder gelegen hat. Martha sieht alles. Dann ginge das Jammern wieder von vorne los. Das ganze Lamento. Oder womöglich nicht. Weil ja auch Martha weg ist. Nicht zäh genug. Nicht zäh. Martha kann Snoopy nicht leiden. Weil der kein Ende macht, wenn Paddy keins kennt, wenn er sich zu viel auf die Lampe gießt, aber was bleibt ihm denn übrig, wo er‘s bloß tut, damit die Musik wiederkommt, das Zwitschern, das braucht seine Zeit.

Snoopy‘s Stout ist gut für Musik. Man muss es in kleinen Schlucken trinken, in ganz kleinen, beinahe wie Tee, das zieht sich hin, man muss warten können. Sowieso ist Paddy immer der letzte am Tresen, der erhört wird, der allerletzte, das dauert, warten kann Paddy endlos. Je kleiner die Schlucke, desto später kommt das Kribbeln im Bauch an. Je später das Kribbeln im Bauch ankommt, desto besser ist die Musik im Schädel. Das ist einfach. So wie man einen Fuß vor den anderen setzt, langsam, Paddy hat das drauf.

Shut up, Martha, sagt Paddy,vorsichtshalber, damit nicht alles wieder  von vorne anfängt, und das ist ein Rüffel, aber er sagt noch bisschen mehr, nix Besonderes, so Zeugs eben, für Martha bestimmt, die wird schon ein Ohr dafür haben, Martha hat immer genau hingehört.

Der Weg von Snoopy‘s Tresen zu Paddys Koje zockelt sich so weg, Paddy spricht im Gehen und geht im Sprechen, und es scheint ihn nicht zu wundern, dass ein Gespräch einfach so in der Luft liegt. Er weiß ja noch, wie man das macht: das Wort ergreifen, wenn es vorbeikommt. Der Weg zockelt sich weg, schwankt, aber ist sicher, da kennt Paddy wirklich ein anderes Schlingern, lange her, lange vorbei, aber nichts ist verloren, Paddy kennt jeden Ton, jeden Zuruf, er kann sie genau auseinanderhalten – wo doch schließlich alles abhing davon: ob die Fische im Kahn landen oder der Kahn bei den Fischen und natürlich die Kiste Makrelen vom Fang für Paddy, den handyman, den Handlanger, darauf hat sich Paddy verstanden, das hat er gebracht, so‘n Leben kann da schon drüber hingehn, man darf bloß nicht eilig sein. Große Fänge wird Paddy nicht mehr machen, er hat getan, was er draufhatte, es ging so, es ging, das hat gedauert, jetzt gibt es nichts mehr einzuholen, aber das Leben ist nett zu Paddy: irgendwas ist immer noch drin.

Der Weg zockelt, er zieht sich hin, doch Paddy hat Zeit, jede Menge, und es ist gut so, denn in seinem Nest, in seiner blöden Falle, ratzbatz, ist die Musik aus, der Saft alle, abgedreht, nicht das leiseste Zwitschern. Da kann einer sich bloß noch hinhauen, alle Viere von sich, lauschen kann er ewig, bringt nix. Nicht mal‘n Krächzen, nicht mal das. Nicht mal Krähen vorm Fenster. Weil keine Kiefern mehr stehn. Keine krummgezogenen, schief in den Wind gestemmten, die bisschen was hatten von Padraic O‘Toole. Paddy ist noch da. Kiefern keine. Aber die Knorren waren zäh, noch im Feuer, Paddy hat das Wasser in den Augen gestanden, so viel Rauch. Es hat ihnen nichts genützt. Krähen, klar, sind auch weg. Paddy hat Ruhe, wenn die Musik aus ist.

 

Die Senke liegt jetzt hinter ihm. Die mit den Wasserlöchern. Mit den Gräben. Das schwierige Stück. Hier oben pfeift‘s wieder. Aber auch die Sonne scheint Paddy auf den Pelz, und sie nimmt nichts dafür, sie macht das ganz umsonst, dafür hat er was übrig. Im klammen Kreuz kriecht sie ihm hoch, das tut gut, wo er jetzt gleich an Martha vorbei muss. Von der Straße aus ist Martha nicht zu sehn. Aber Paddy weiß, wo er sie findet. Erst muss er durch den engen Steintritt in der Mauer. Jeder passt da nicht durch, er schon. Oder er geht hintenrum, Knoten aufdrieseln. Knoten, die immer morscher werden, wie die quietschenden Scharniere, an denen der Strick festgezurrt ist. Das Gatter, das in die Scharniere passte, lauert hinterrücks als Blechgerippe im Gras. Man muss die Stelle kennen, sonst liegt man fix auf der Plauze. Der Rost kaut dran, aber er konnte‘s nicht kleinkriegen, noch nicht, man muss Geduld haben, muss zusehn können, wie das Gras sprießt, saftiges Gras, es wächst wie wild, aber es kann nicht alles zudecken, nicht den ganzen Rost, nicht alle alten Geschichten.

Meistens wartet Martha schon. Manchmal muss er allerdings erst die Schafe scheuchen. Nicht dass Paddy Geheimnisse vor denen hätte. Aber schließlich muss er ihretwegen immer öfter kommen. Das grüne Gras, das auf Martha wächst, ist denen nicht genug. Es juckt sie, und dann ist der Stein dran. Paddy hatte wenig Kies damals, deswegen blieb der roh, deswegen hat der raue Kanten. Die Schafe kommen gerne zu Martha. Aber so fest kann ein Stein gar nicht stehn. Dass er so viele Schafe aushält. Lehnt er erst schief in der Luft, kann er bald kippen. Zwar ist Martha nach zwanzig Jahren keine Fremde mehr für den Stein. Da darf der sich über sie beugen. Aber auf der Seele liegen, weiß Gott, das soll er ihr nicht. Paddy muss dann ran, Paddy geht öfter nachsehn. Und Martha, falls er sie richtig verstanden hat, hat ihm verziehn.

Früher hat Paddy das schwere Stück noch alleine hochgewuchtet. Jetzt kann er das vergessen. Jetzt wär‘ er ohne Hilfe aufgeschmissen. Einer hält und einer hält gegen. Es hängt vom Gleichgewicht ab. Meistens findet Paddy wen. Wenn grade keiner da ist, kann er Martha nicht helfen. Dann muss sie flacher atmen. Paddy sagt ihr jedes Mal, dass sie nicht vergessen soll, Luft zu holen. Aber Martha antwortet nicht etwa: „He Paddy, danke, merk ich mir“, oder so was, was sie wirklich könnte, weil‘s ‘n guter Tipp ist. Paddy weiß, wie wichtig das Luftholen ist, man muss das bringen, dann ist es so einfach wie Tee trinken, man muss sich Zeit nehmen dafür, und davon hat Martha doch genug. Nein, manchmal ist Martha nicht ganz richtig. Manchmal brabbelt sie ruppigen Stuss, Kokolores, so Zeugs eben, für Paddy bestimmt, der jeden Ton kennt, der sie genau auseinanderhalten kann. Aber wenn er will, kann er auch weghören. Über jedes Gesabbel wird er sich nicht den Schädel zerbrechen, den schönen Schädel mit der ganzen Musik drin. Shut up, Martha, sagt Paddy, shut up!

Martha antwortet selten, aber Paddy weiß, dass davon nichts abhängt für ihn und die Welt. Nichts geht verloren, nichts wirklich Wichtiges, selbst was Paddy in den Wind redet, ist nicht auf und davon, der Wind wohnt in den Drähten über ihm, und hier oben pfeift er ihm eins, dass seine Ohren glühn, dass sie ihm klingen, Musik zur Musik, das ist  gut.

WALKING TALKING. Unterwegs in Irlands wildem Westen von Gabriele Berthel, Helga Kaffke (Illustrator): TextAuszug