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Reisebilder aus China (1956) von Karl-Heinz Schleinitz
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
01.07.2021
ISBN:
978-3-96521-479-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 158 Seiten
Kategorien:
Reisen/Asien/Ferner Osten, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Politik, Belletristik/Sport, Belletristik/Urlaub
Klassische Reiseberichte, Reiseliteratur, 1950 bis 1959 n. Chr., China
China, Sowjetunion, DDR, Sozialismus, Freundschaft, Kultur, Politik, Pekingoper, Transsib, Kulturdelegation
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Ein alter Bergmann lässt mich nicht weiter. Er hat ein Gesicht wie aus Leder, einen schütteren Bart und drückt immer wieder meine Hand. Das rechte Auge blickt ausdruckslos leer – blind. „Trink noch ein Tässchen, trink, du sollst es gut haben bei uns“, sagt er. Vierundsechzig Jahre alt sei er, erzählt der Alte. Davon schuftete er dreißig Jahre, im doppelten Sinne finstere Jahre, unter Tage als Grubenschlosser für einen Hundelohn.

„Das Auge? Tja, das Augenlicht verlor ich durch einen Eisensplitter, der sprang beim Schienennageln vom Keil. Einen Arzt? Wo denkst du hin, einen Arzt gab es für uns arme Teufel nicht. Das Auge entzündete sich, weg war es.“

Ich bitte meinen Gastgeber, aus seinem Leben zu erzählen. Chüa Ah-in, so stellte er sich vorhin vor, sinnt einen Augenblick nach wie ein Mensch, der nicht weiß, wo er beginnen soll, rückt versonnen einen Blumentopf zurecht und spricht, erst stockend, nach Worten suchend, und dann mit zunehmender Erregung:

„Es war die Zeit, als die Japaner hier waren. Sie – sie saßen überall drin, nicht, dass sie nur die Militärmacht ausübten. Scheele Augen hatten sie, die Hunde. Auch in den Kohlenbergwerken waren alle Aufsichtsposten von ihnen besetzt.

Ich arbeitete damals in der Kohlengrube Lau-fu-tei. Die war nur 330 Meter tief, aber ein Loch, kann ich dir sagen, ein Loch zum Verrecken für den gesündesten Kerl. Ooch – ich war anfangs ein strammer Bursche, und so leicht nahm es mit mir keiner auf, das kannst du mir glauben. Aber dieses verflixte Loch – na schön.

Wie gesagt, die Japaner hatten in der Grube das Kommando. Unsere Schicht begann um acht. Nachmittags um vier durfte man für eine halbe Stunde ausfahren zum Essen, verstehst du. Dann war die vom japanischen Abteilungsleiter befohlene Arbeit weiterzuführen, bis sie fertig war. Oft kamen so nochmals acht Stunden dazu, dafür sorgten die Hunde schon.

Eines Tages mussten wir besonders hart ran. Ich hatte großen Hunger und fühlte mich auch nicht wohl, die Knochen wollten nicht recht. Ich sollte eine elektrische Leitung verlegen, und da es nach meiner Ansicht nicht besonders eilte und auch keine Gefahr für meine Kumpel bestand, fuhr ich vorzeitig aus, um schnell etwas zu essen. Als ich wiederkam, bemerkte mich der japanische Abteilungsleiter. Mich sehen und eine Eisenstange nehmen, war eins. Ich wich dem Schlag aus und griff zu einem Knüppel, der am Wege lag. Viel hatte ich nicht zu verlieren, aber so schnell wollte ich mein Leben doch nicht auslöschen lassen.

Ich muss wohl geschrien haben, wie man das in der Angst tut, ich weiß es nicht. Jedenfalls standen wie aus dem Boden gewachsen andere Kumpel, Übertagearbeiter, auf meiner Seite. Der Japaner war zu feige, einen zweiten Schlag zu wagen. Wie ein hässlicher Köter fletschte er die gelben Zähne, fluchte und ging. Meine Kameraden sagten zu mir: Du, das bringt Unglück! Und tatsächlich bestellte er mich anderntags in seine Wohnung. Kaum war ich in seinem Garten, da hetzte er seine Hunde auf mich, die mich grausam zerbissen. Das Blut rann an meinem Körper herunter wie das Wasser aus einer Ader im Flöz. Nur mühsam konnte ich mich retten.

Wie ich zu Hause so liege und die Wunden auskuriere, da schickt mir der Japaner einen Boten. Der sagte mir, ich sollte mich bei der Polizei melden. Meine Kameraden gaben mir aber den Rat, nicht hinzugehen, weil andere, die es taten, auf der Stelle verhaftet wurden, ohne dass je wieder von ihnen zu hören war. Die Kameraden sagten mir auch, dass sie geschlossen auf meiner Seite stünden. Obwohl ich durch die Verletzungen sehr krank war, gab mir das doch wieder Mut.

Der japanische Abteilungsleiter musste davon erfahren haben. Jedenfalls wagte er es nicht mehr, gegen mich vorzugehen.

Ich habe soviel von mir erzählt – du sollst nicht denken, ich will angeben. Aber du musst wissen, wie dreckig es uns ging, und wie stark wir trotz alledem waren, wenn wir zusammenhielten.“

Bei den letzten Worten lächelt der Alte sogar. Nun gießt er neuen Tee nach. Das macht er mit so feinen Bewegungen, die man wohl einem jungen Mädchen, nicht aber einem Bergarbeiter zutrauen würde. Dann wendet er sich einem anderen zu, einem Kahlköpfigen, der während seiner Erzählung ins Zimmer kam und die Worte des Berichtenden ab und zu mit kurzem Kopfnicken bekräftigte. „Erzähl doch mal die Sache von deinem Freund, den sie gefoltert haben. Der Genosse aus Deutschland soll auch das wissen.“

Reisebilder aus China (1956) von Karl-Heinz Schleinitz: TextAuszug