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Bis übermorgen, antwortete Wollgast. Er schnallte sein Koppel mit dem Seitengewehr ab, hängte es an die Wand, dazu die Mütze. Dann setzte er sich. Martha sagte verlegen: Ich hab aber jetzt auch gar nichts Richtiges zu essen im Haus. Eine Handvoll Graupen hab ich noch und einen kleinen Rest Margarine Auch kein Brot mehr, und übermorgen bekommen wir erst die neuen Karten. Aber ich will sehen, ob die Bäckersfrau mir nicht doch noch einmal im Voraus gibt, wo du doch an die Front musst. Und auch nach dem Garten will ich rasch hinübergehen. Eine Mahlzeit rote Rüben ist noch dort. Das sollte wohl recht ermunternd klingen, klang aber hilflos und lächerlich Eine Handvoll Graupen und rote Rüben Ein Glück, dass Wollgast ein Kommissbrot in seinem Karton hatte: seine Brotration für die drei Tage Urlaub. Brot ist da!, beeilte er sich festzustellen und öffnete seinen Karton. Oh!, sagte Martha und nahm das Brot behutsam an sich, als sei es etwas sehr Zerbrechliches. Nun hatte sie nicht mehr nötig, die Bäckersfrau um Brot auf Vorschuss zu bitten, und das war gut, denn die konnte so kategorisch sagen: Wir haben kein Stückchen außer den laufenden Karten übrig, keine Scheibe, noch nicht mal für uns. Das brauchte nicht immer wahr zu sein, aber es konnte doch wahr sein, jedenfalls blieb nach einer solchen Antwort nichts übrig, als ärgerlich und beschämt zu gehn. Aber nun blieb Martha der Gang zur Bäckersfrau erspart, und sie dünkte sich plötzlich schrecklich unternehmungslustig. Sie ging zu dem Krämer, einem schon bejahrten, schwammigen, immer speckigen Mann, dafür bekannt, dass er sich an appetitliche Frauen heranmachte. Diesem Speckigen warf Martha zweideutige Blicke zu, während sie ihn bat, ihr zwei Pfund Kartoffeln auf die kommenden Karten abzulassen. Und als er noch zögerte und sie gierig abschätzte, sagte sie: Nun geben Sie schon, Sie sind doch sonst nicht so hartherzig. Der Mann ging dann mit Martha in die Küche, holte aus einer Truhe sechs eiergroße Kartoffeln heraus und reichte Martha jede einzeln, und als sie rasch entwischen wollte, versuchte er, sie an seinen speckigen Bauch zu drücken. Sie stieß ihn angeekelt von sich und rannte aus der Tür.
Auch Wollgast war etwas aus der Fassung geraten. Herrgott, was waren das für Zustände. Sie hätten also für die nächsten zwei Tage kein Brot gehabt, und auch sonst war nichts zu essen im Haus. Und dabei saß Martha von morgens bis abends an der Nähmaschine. Er fragte sich: Musste das so sein? Und er verneinte die Frage, Martha bekommt Kriegsunterstützung und verdient dazu. Else verdient auch. Der Junge verdient wenig, aber dafür bezahlt doch dieser dieser Krüger Miete. Das Brot ist knapp bemessen, das stimmt, auch Kartoffeln sind knapp bemessen, alles ist knapp bemessen, aber für Geld kann man immer noch unter der Hand kaufen. Man muss nur hinterhersein, weit hinausfahren, in entlegene Dörfer, jeden freien Tag. Er ist doch auch gefahren, solange er nicht Soldat war, manchmal umsonst, ein anderes Mal hatte er wieder Glück.
Wollgast rauchte noch eine Zigarette, die dritte aus seiner selbstbewilligten Tagesration von fünf Stück. Er hatte sich noch rechtzeitig mit einigen tausend Stück eingedeckt, auch hintenherum, und sie reichten bei seinem Verbrauch noch einige Monate, dazu seine Ration, die er als Frontsoldat bekam; so hatte er Rauchzeug auf unabsehbare Zeit. Man muss nur rechtzeitig vorsorgen, und er hatte immer vorgesorgt. In der Zweieinhalbzimmerwohnung war kein Stück Möbel, das Wollgast nicht selber angefertigt hatte. Dann hatte er die Wohnlaube gebaut. In den letzten Jahren hatte er nach Feierabend Privataufträge ausgeführt: Schreibtische, Schränke, Reparaturen, und dabei war er immer noch zu seinem Vergnügen gekommen. Er war eines der ältesten Mitglieder des Sparklubs Notgroschen und saß im Vorstand des Kegelklubs Alle Neun. Aber er hatte eben nur an seine Familie gedacht, nur an sie und an nichts sonst. Er war überzeugt, seinen Kindern in jeder Hinsicht ein gutes Vorbild zu sein, und zergrübelte sich den Kopf über deren Egoismus und Grausamkeit. Der Junge scheint nur verzogen und noch zu jung, um den Ernst der Zeit zu begreifen. Aber das Mädel? Mit achtzehn Jahren und in diesen Zeiten heiraten wollen? Und einen wildfremden Menschen, der ins Feld geht, ihr vordem vielleicht noch ein Kind macht, und ob er wiederkommt und wie er wiederkommt, scheint dies Schandmädel überhaupt nicht zu kümmern. Rausschmeißen müsste man sie! wütete Wollgast im Stillen, und er war sehr traurig, dass die eignen Kinder ihm den Abschied von der Familie so schwer machen. Was er und Martha sich erobert haben, soll jedoch nicht mutwillig ruiniert werden. Er wird die Sache so einrenken, dass er die Gewissheit hat, zumindest seine Wohnung und seine Frau ohne ernsten Schaden durch diese schwere Zeit zu bringen.