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Republik der Leidenschaft. Mit 97 Fotos des Autors von Herbert Otto
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
27.05.2020
ISBN:
978-3-95655-323-3 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 356 Seiten
Kategorien:
Reisen / Militär
Kuba, Klassische Reiseberichte, Reiseliteratur, Orte und Menschen: Sachbuch, Bildbände, Expeditionen: Sachbuch, Terrorismus, bewaffneter Kampf, Revolutionäre Gruppen und Bewegungen, Bewaffnete Konflikte, 1960 bis 1969 n. Chr.
Kuba, Castro, Revolution, Sozialismus, Politik, Analphabetismus, Gesundheitswesen, Schulen, Guantanamo
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Von Guantánamo bis zum amerikanischen Militärstützpunkt sind es etwa dreißig Kilometer. Unterwegs halten wir an einem Zuckerrohrfeld. „Wir müssen uns umziehen“, sagen meine Begleiter. „Wir wollen die Yanquis nicht provozieren.“

 

Hemd, Hose und Halbschuhe unter dem Arm, verschwinden sie im Zuckerrohr, legen die Milizuniform ab und kehren als kubanische Milizionäre in Zivil zurück.

Kubanische Erde, Wiesen, Wege, Baumwolle – und plötzlich ein hoher Stacheldrahtzaun, ein verriegeltes Tor, amerikanische Militärposten dahinter und am Mast das Sternenbanner.

Über dem Tor steht:

United States Naval Base

Guantánamo, Cuba

Es ist das letzte Zipfelchen ihrer einstigen unumschränkten Herrschaft über Kuba. Nichts mehr auf dieser Insel gehört ihnen. Sie können das Land nicht mehr ausplündern, können seine Minister nicht mehr kaufen und das Militär nicht mehr „schulen“. Nur diese hundert Quadratkilometer kubanischen Territoriums kontrollieren sie noch, ebenso gewaltsam, wie sie das Gelände einst an sich gebracht haben.

Am Stacheldrahtzaun haben sie Schilder angebracht, auf denen in Englisch und Spanisch zu lesen steht: Reservation der Regierung der Vereinigten Staaten – Betreten verboten!

Reservation: eingeräumtes Gebiet. Sie haben es sich selbst eingeräumt, gewaltsam.

Unter dem Druck amerikanischer Truppen, die im Lande geblieben waren, nachdem die Spanier hatten abziehen müssen, sah sich 1901 die verfassunggebende Versammlung zu Havanna gezwungen, das sogenannte „Platt-Amendment" in die kubanische Verfassung einzubeziehen. Dieser „Verbesserungsantrag“, der kurz zuvor vom amerikanischen Kongress zum Gesetz erhoben worden war, regelte die Beziehungen zwischen den USA und Kuba, zwischen dem „Mutterland“ und der Halbkolonie. Die Vereinigten Staaten waren danach berechtigt, jederzeit militärisch auf Kuba einzugreifen, um die „kubanische Unabhängigkeit zu wahren“, sowie „Leben, Besitz und persönliche Freiheit zu schützen“.

In Artikel VII des „Verbesserungsantrags“ heißt es: „Um die Vereinigten Staaten in die Lage zu versetzen, die kubanische Unabhängigkeit zu erhalten … wird die kubanische Regierung das für die Einrichtung von Kohlen- und Schiffsstationen erforderliche Land an die Vereinigten Staaten verkaufen oder verpachten. Um welche Punkte es sich dabei handeln soll, ist mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten abzustimmen.“

Sie wollten hier Land haben, hier in der Bucht von Guantánamo.

Unter dem Druck der im Lande anwesenden amerikanischen Truppen musste im Juli 1901 eine Versammlung von Kubanern den Yankees gestatten – mit 17 gegen 11 Stimmen übrigens – dass sie auf Kuba eine Kohlen- und Schiffsstation einrichteten. Die USA boten ein Taschengeld an: eine Miete von 2000 Dollar jährlich! Der Vertrag war unbefristet.

Im Jahre 1934 aber setzte die USA-Regierung, unter der Parole einer „Guten Nachbarschaft“, das „Platt-Amendment“ außer Kraft, allerdings nicht, ohne den Abschluss eines neuen Vertrages zu verlangen, in dem ihr „Recht“ auf Guantánamo unangetastet blieb. Schwere Schiffseinheiten der amerikanischen Atlantikflotte ankerten in jenen Tagen im und vor dem Hafen von Havanna. Sie lagen dort bis zur Stunde der Unterzeichnung des neuen Vertrages. Dann zogen sie ab.

So halten die Yankees den Stützpunkt von Guantánamo bis heute, gewaltsam, wie sie ihn an sich brachten. Was eine „Kohlen- und Schiffsstation“ hieß, wurde inzwischen, nachdem 75 Millionen Dollar investiert sind, einer der modernsten Militär- und Luftstützpunkte der westlichen Welt. Etwa zwei- bis dreitausend amerikanische Soldaten sind hier stationiert. Zur Zeit der bewaffneten Intervention gegen das freie Kuba im April 1961 werden es wohl mehr gewesen sein.

Der Posten ist ins Wachhaus geeilt, denn wir haben uns dem Tor bis auf wenige Meter genähert. Ich habe meine Fotoapparate bei mir (darunter sogar ein sowjetisches Modell!) und fotografiere die Umgebung. Man sieht den Posten im Wachhaus telefonieren, und knapp drei Minuten später treffen zwei Militärfahrzeuge ein. Nach einer Weile fahren sie jedoch wieder ab, denn offensichtlich ist die Sicherheit der Vereinigten Staaten hier nicht bedroht.

Dreißig Meter vor dem Tor baut die kubanische Nationalbank eine Zweigstelle. Hier werden die kubanischen Arbeiter – es sind noch etwa zweitausend, die im USA-Stützpunkt tätig sind – die Dollars in Pesos umtauschen können. Weiter gibt es hier nichts zu sehen. Also fahren wir nach Caimanera. Wir befinden uns an der Ostseite der Bucht von Guantánamo, unweit des Hafenstädtchens Boquerón, und Caimanera liegt genau gegenüber an der Westseite der Bucht, nur drei Kilometer Luftlinie von hier entfernt. Um aber dorthin zu gelangen, müssen wir in einem weiten Bogen den Nordteil der Bucht umfahren; das sind an die sechzig Kilometer. (Der amerikanische Stützpunkt liegt im Südteil.)

Caimanera scheint eine Hafenstadt wie unzählige andere auf Kuba zu sein: laut und lebendig, der Zentralpark, die Händler, Musik in den Straßen, neue, von der Revolution erbaute Wohnviertel, eine Fischereigenossenschaft, die große, stabile Boote bekommen hat und in einem eigenen Laden ihre Produkte verkauft.

Und doch: Caimanera ist anders. Von hier verkehren regelmäßig Passagierboote zum amerikanischen Stützpunkt. Morgens fahren Hunderte, die in der Stadt oder in der Umgebung wohnen, zur Arbeit in die Werkstätten, Büros oder Restaurants der Amerikaner. Am Nachmittag kehren sie zurück, strömen von der Anlegestelle zu den Omnibussen.

Da ist einer aus dem Strom der Menschen. Er sagt, dass er eigentlich diesen Omnibus benutzen wollte. Na, gut. Der nächste tut es auch. Der Mann arbeitet drüben als Elektriker, seit fünf Jahren.

„Und hören Sie dort auf, wenn Sie hier Arbeit finden?“

„Selbstverständlich“, sagt er. „Aber vorläufig haben wir noch Arbeitslose. Wir hatten sechshunderttausend, und jetzt, nach zwei Jahren Revolution, sind es noch zweihunderttausend. Wenn wir erst alle Arbeit haben, und das wird wahrscheinlich bald sein, geht keiner mehr zu den Yanquis. Ich jedenfalls nicht.“

„Und wie ist Ihr Verdienst?“

„Ich verdiene genauso viel, wie ein Elektriker hier verdient. Aber in anderen Berufen werden viele unterbezahlt. Die Yanquis sind clever. Sie beobachten genau, welche Arbeitskräfte abwandern und hier Arbeit finden. Da erhöhen sie dann rasch die Löhne ein bisschen. Natürlich machen sie mit uns, was sie wollen. Gewerkschaften haben wir keine. Die dulden sie nicht. Wer ihnen verdächtig erscheint, den entlassen sie. Von heute auf morgen geht das.“

„Sind Sie Angehöriger der Volksmiliz?“

„Ich gehöre der Miliz nicht an“, sagt der Mann. „Vorübergehend. Kürzlich hat Fidel hier gesprochen und gesagt, wir werden die Yanquis nicht provozieren. Durch gar nichts. Wir verzichten nicht auf unser Land, das sie sich gewaltsam angeeignet haben. Wir werden es wiederbekommen, aber nicht durch Gewalt.“

„Aber wie?“, frage ich.

„Na, es gibt ein internationales Recht“, sagt der Mann. „Kuba gehört uns und nicht den Yanqitis. Kubanischer Boden ist nicht zu verkaufen und nicht zu verpachten, hat Fidel gesagt. Deshalb nehmen wir auch diese zweitausend Dollar nicht an, diese Jahresmiete.“

„Was tun Sie mit den Dollars, die Sie dort verdienen?“

„Ich tausche sie hier um, wie fast alle.“

„Dollar und Peso stehen gleich?“

„Ja, seit eh und je.“

„Aber im Stützpunkt gibt es einen anderen Kurs.“

„Ja. Dort bietet man drei Pesos fünfundzwanzig für einen Dollar und verkauft einen Dollar für vier Pesos.“

„Und wie haben sich die Yanquis da drüben eingerichtet?“

„Als wollten sie noch sehr lange da bleiben“, sagt der Mann, „Sie haben märchenhafte Häuser gebaut, Nachtklubs, sechs Filmtheater und eine Fernsehstation.“

Wir stehen längst an der Theke einer Cafeteria. Der Mann denkt nicht mehr an seinen Bus. Ein anderer ist noch hinzugekommen, ein Schweißer, der vor zwei Tagen von den Yankees entlassen wurde, weil er in Guantánamo eine Funktion im Verband der „Jungen Rebellen“ bekleidet. Die Männer führen mich ins Bordellviertel von Caimanera.

Eine verwinkelte Straße mit ein paar Nebengassen; jedes Haus ein Nachtlokal. Kein Mensch ist zu sehen. Aber das liegt nicht daran, dass es fünf Uhr nachmittags ist. Auch nachts herrscht hier Stille und Dunkelheit. Die Leuchtröhren über den Bars sind abmontiert, die Schilder mit den Namen und Öffnungszeiten überpinselt. Auch hier tummelten sich die Yankees. Nun dürfen sie schon lange nicht mehr hierher. Das Bordellviertel ist geschlossen und wird umgebaut.

„Die Häuser werden alle Schulen“, sagen meine Begleiter.

Mauersteine sind schon angefahren worden, Zement. Frühere Militärstützpunkte, wo jetzt Kinder unterrichtet werden, habe ich überall im Lande angetroffen. Nachtlokale, die zu Schulen umgebaut werden, findet man nur in Caimanera.

Republik der Leidenschaft. Mit 97 Fotos des Autors von Herbert Otto: TextAuszug