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Sonntag unter Leuten. Erzählungen von Joachim Nowotny
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
26.06.2013
ISBN:
978-3-86394-198-7 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 192 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Humorvoll, Belletristik/Politik, Belletristik/Kurzgeschichten
Abenteuerromane, Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Naturidyll, Baustelle, Lausitz, Dorfleben, Jagd, Kaupitz, Familie
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Und wir bauten uns eine Sprungschanze ziemlich am Ende des Berges, die tauften wir dann Todesschanze. Als wir sie mit viel Geschrei eingeweiht hatten, merkten wir, dass sie nicht so hoch war. Der dicke Goy aber, der traute sich nicht. Leute, sagte er, wenn ich da drüber donnere, ich mit meinem Gewicht, ich flieg gleich bis Bautzen! Das war natürlich eine Ausrede, eine von der schlimmsten Sorte, hinter ihr wollte der dicke Goy seine Angst verstecken und doch gleichzeitig sagen: Guckt bloß mal an, was ich eigentlich für ein Kerl bin! Wir fielen freilich nicht drauf rein, sondern setzten dem Feigling ganz schön zu, wir verhöhnten ihn und versuchten es auch im Guten, schließlich schrien wir alle auf ihn los: Angsthase, Pfeffernase! und noch allerhand andere Sachen, die ich nicht wiederholen möchte. Der Goy jedenfalls bekam Wut, er schmiss die Stecken hin, packte sich den nächsten besten und warf ihn den Berg hinunter, dem zweiten gab er einen Stoß, dass er wie ein geölter Blitz ins winterstarre Dickicht schoss, dem dritten trat er auf die Skispitzen, dass es gleich knackte, auch mich wollte er packen und wegschleudern, aber ich kam ihm zuvor. Lass doch, sagte ich mit ganz normaler Stimme, ich verstehe dich ja. Da ließ er mich tatsächlich sein und starrte mich ungläubig an. Während die anderen mit sich selber zu tun hatten, Bindungen flickten, Beulen betasteten und Fäuste schwangen, redete ich auf den dicken Goy ein, als hätte ich einen störrischen Ziegenbock vor mir, der absolut nicht laufen will.

Sieh mal, sagte ich, das ist nun nicht jedermanns Sache, so ein Schanzenflug, da brauchst du dich nicht zu schämen, der eine macht das und der andere etwas anderes. Du springst vielleicht vom Zehnmeterturm in der Badeanstalt, und wenn nicht, dann ist das auch nicht schlimm, dann stemmst du vielleicht drei Zentner mit der linken Hand. Zu solchen Sachen wie Ski- und Turmspringen gehört nun einmal Mut, wer den nicht hat, der kann nichts dafür, der lässt das eben bleiben und geht hübsch beiseite, damit die anderen Platz haben, fertig. Aufregen würde ich mich jedenfalls an deiner Stelle nicht, da zeigst du ja bloß deinen Ärger darüber, dass du keinen Mut hast. Aber Mut ist schließlich nicht die Hauptsache, wenn einer Muskeln hat wie Eisen und mit einem Schlag zwei Vierzöller ins Holz treiben kann, was braucht er eigentlich Mut?

So und nicht anders habe ich auf den dicken Goy eingeredet, immer wieder und wieder, er hat freilich erst mit den Augen gerollt, dann aber doch wohl zugehört, vor allem, wenn das Wort Mut fiel. Und plötzlich hat er mich doch noch mit dem linken Ellenbogen zur Seite geschleudert, hat gebrüllt: Was denn, ich soll keinen Mut haben?, hat seine Skistöcke aufgerafft und Anlauf genommen. Es donnerte wie ein D-Zug, als er über die Piste ging, es zischte wie Wasser und Feuer, als er sich in die Lüfte erhob und sprang.

Bis Bautzen ist er freilich nicht ganz gekommen, aber der Hochspannungsmast da unten im Auslauf konnte sich gratulieren, dass er nicht gerade in Flugrichtung stand, denn sonst hätte er heut mindestens einen ordentlichen Knick.

 

Sonntag unter Leuten. Erzählungen von Joachim Nowotny: TextAuszug