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Labyrinth ohne Schrecken. Erzählungen von Joachim Nowotny
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
27.06.2013
ISBN:
978-3-86394-195-6 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 198 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Politik
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories, Familienleben, Liebesromane, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.)
Naturidyll, Lausitz, Dorfleben, Nachkriegszeit, Zimmermann, Familie, Fischteich
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»Wie sie aussahen!«, sagte Wally, »mein Gott, wie sie bloß aussahen, abgerissen und ausgemergelt, Holzschuhe hatten sie an und Blasen an den Fersen, Augen wie geprügelte Hunde, so ein Elend, ihr Leute, so ein himmelschreiendes Elend. Niemand bei uns konnte ihnen was Rechtes geben, der Krieg hatte im Dorf gehaust, da war nichts übrig geblieben. Aber sie klopften immer wieder an die Türen und Tore und bettelten, dass einem die Tränen vor Mitleid in die Augen schossen. Stand einer draußen, musste man sich die Ohren verstopfen, sonst schenkte man noch das letzte weg, was man zum nackten Leben brauchte. Eine Weile hab’ ich das ausgehalten so, ich wohnte damals in der finstersten Bude des Gemeindehauses, seit die Mutter unter der Erde war; ich lebte von einer Kartoffel pro Tag, mehr konnte ich mir nicht leisten, wenn ich bis zur neuen Ernte reichen wollte. Sauerampfer und Brennnesseln stopfte ich in mich hinein, und alles ging so hin, bis eines Tages der Siegmund anklopfte, so ein spillriges Kerlchen war das, bloß Haut und Knochen, und die Ohren hingen vom Kopf wie gefrorene Wäsche von der Leine, da konnte ich nicht mehr. Vielleicht war’ er noch ein Stück gekommen, hinterm Dorf jedenfalls hätt’ es ihm die Beine weggezogen, hingewesen wäre er vor Hunger und Schwäche, das sah ich mit einem Blick. Also nahm ich ihn auf bei mir, machte ihm ein Lager auf dem alten Kanapee (sollten die Leute ruhig reden!), und ich kochte ihm ein ganzes Kilo Kartoffeln auf einmal. Die musste er langsam essen, mit Viehsalz, bloß damit er mir am Leben blieb. Dann hab’ ich ihm gut zugeredet: Bleib hier, hab’ ich gesagt, ich bin auch allein, wir kommen schon durch beide, verlass dich drauf. Und er hat mich angesehn, der Junge, mit seinen treuen Hundeaugen, so dankbar und so ängstlich, dass ich ihn am liebsten vor lauter Glück zerdrückt hätte. Bloß damit war uns nicht geholfen. Noch in der Nacht bin ich losgegangen quer durch die finstere Heide, immer dem Süden zu, zum Oberland hin. Dort sollte es noch Dörfer geben, wo die Bauern Speck in der Kammer hatten.

Von Hof zu Hof bin ich gegangen, habe gebettelt und gebarmt, keiner gab mir was. Sie haben so furchtbar akkurate Misthaufen in den Höfen, wie abgezirkelt und gradkantig stehn die da, von Ordnung halten sie viel. Aber sie geben nichts. Ja, wenn die Städter kamen, da rückten sie schon eher mit den guten Sachen heraus, für Teppiche und Uhren, für Goldschmuck und was weiß ich noch. Ich hatte bloß mich und meine paar Lumpen auf dem Leib, da drehten sie sich nicht einmal um, wenn ich sie ansprach. Am Abend war meine Schürze leer wie ein Winterteich. Und ich dachte dauernd an meinen Siegmund, was sollte aus ihm werden, wenn ich mich so ungeschickt anstellte? In einer Feldscheune hab’ ich mich dann auf muffiges Stroh gelegt, konnte aber vor Hunger und Kummer nicht einschlafen. Da bin ich um die dritte Stunde losgegangen, den Weg ins Dorf zurück, irgendwo hatte ich am Tage gesehen, wie ein altes Weiblein Zwiebeln steckte; die scharrte ich mir aus der Erde, damit ich wenigstens etwas hatte. Ehe ich aber wieder über den Zaun war, griff mich so ein giftiger Köter an, so einer von der Sorte, die wie der Blitz um die Ecke fegen, gar nicht bellen, gleich zupacken. Die Wade hat mir das Vieh aufgerissen, bloß gut, dass ich keine Strümpfe anhatte. Na, ich bin noch davongekommen, war dem Köter direkt dankbar, dass er’s so lautlos mit mir abmachte, denn damals prügelten sie einen ohne Pardon windelweich, wenn sie einen griffen. Von der Schürze hab’ ich mir einen Rand abgerissen und ums Bein gewickelt, so bin ich im Morgengrauen losgehumpelt, über den Berg hinweg in ein anderes Dorf. Gleich beim ersten Hof roch’s nach Dämpfkartoffeln, da biss mich der Hunger sofort mit tausend Zähnen, ich ging einfach durchs Zauntor los auf die Futterküchentür zu. Da machte plötzlich einer die Tür von innen auf, so ein drahtiger Bengel mit frechen Augen und höchstens 16 Jahre alt, der erschrak kein bisschen, wie er mich so stehn sah, guckte immer bloß auf meine Bluse, da trug ich die Zwiebeln dahinter. Wer weiß, was er sich gedacht hat, der Lausejunge, der grüne, jedenfalls zog er mich am Arm in die dämmrige Futterküche, dort fiel er über mich her, wollte mich ins Grünfutter schmeißen, noch ehe ich eine Kartoffel greifen konnte. Ich schrie, was meine Lunge hergab, und wehrte mich mit meinen paar Kräften und schrie, bis der Bauer gestürzt kam; da schrie ich auch noch weiter, so lange, bis er mir mit einigen Dämpfkartoffeln den Mund gestopft hatte. Aber auch da schrie ich noch zwischen den einzelnen Bissen, der Bauer jagte schließlich den Jungen los, er musste mir ein viertel Pfund niedrigen Speck holen; erst als ich den in der Bluse hatte, war ich ruhig. Auf dem Heimweg kam ich dann noch an einer Wassermühle vorbei, dort kannte ich den Brotbäcker, von ihm wollte ich mir noch eine Tüte Schrotmehl erbetteln, aber auch er gab nichts.

Labyrinth ohne Schrecken. Erzählungen von Joachim Nowotny: TextAuszug