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Totschlag. Roman von Erik Neutsch
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
30.07.2014
ISBN:
978-3-86394-779-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 334 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Thriller/Spannung, Belletristik/Thriller/Politik, Belletristik/Verbrechen
Thriller / Spannung, Politthriller/Justizthriller, Kriminalromane und Mystery
Totschlag, Mord, Wende, Enteignung, Bodenspekulation, Montagsdemo, Arbeitslosigkeit
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Wenig später erschien das Interview, das auch den letzten Zweifel ausräumte. Und von diesem Tag an, bis zur Tat und womöglich noch bis zur Verurteilung, wollte ihn das Gesicht Dr. Rothenburgers nicht mehr verlassen.

Der Finanzdezernent, bisher nur im stillen wirkend, wurde mit einem Schlage bekannt, in der Region fiel fortan sein Name nicht weniger oft als der des Oberbürgermeisters von ***. Dafür sorgte bereits der Rummel der Medien; er trat vor diversen Fernsehkameras auf, und die Zeitungen veröffentlichten sein Porträt, jedesmal, wenn er zu seinen Thesen wieder etwas Neues zu sagen hatte oder besser: sie nur wiederholte. Es spukte durch Gütleins Hirn, verwirrte seine Sinne, erst recht, nachdem er ihm dann persönlich gegenübergestanden hatte, als Mitglied der Delegation, die ihm, dem Finanzgewaltigen der Stadt, im Rathaus den Protest sämtlicher Eigenheimbauer vortrug, an die eintausendzweihundert in der Kommune, wie sich herausstellte, die sich durch Dr. Rothenburgers Geldforderungen bedroht fühlten (und zählte man alle Familienangehörigen hinzu, kamen über fünftausend zusammen), erst recht, als er dabei für sich entdeckte, daß er nicht einen Zug in diesem Gesicht, wie es sich ihm von der Mattscheibe und vom Druck eingeprägt hatte, zu korrigieren brauchte. Es verfolgte ihn bis in den Schlaf, in die Träume, was man nun annehmen muß, obgleich es ihm jetzt, in der Zelle, manchmal wohl auch unter einem Blutschleier erschien, mit dem zerschmetterten Kinn, das sich ihm, halb unterbewußt, bei seinem letzten Blick auf den Toten noch ins Gedächtnis gegraben hatte.

Der Photograph der SATZ, die als erste den Dezernenten im Bild vorstellte, hatte ihn gut getroffen, was man von Pressephotos (dachte Freddi nur an sein eigenes Konterfei vor zwei Jahren) nicht immer sagen konnte. Eineinhalb Spalten breit stand es mitten im Text des Interviews und zeigte einen Mann in den Vierzigern. Natürlich hatte er sich im Sakko porträtieren lassen, trug darunter ein helles Hemd, gewiß schneeweiß, mit sorgsam gebügeltem Kragen, und eine exakt gebundene Krawatte. Seine Augen richteten sich, gleich wie man die Zeitung hielt, direkt auf den Betrachter, und obwohl sie hinter einer dunkelumrandeten Brille lagen, gaben ihre Gläser sie eher frei, als daß sie den im Moment des Blitzlichts eingefangenen Blick verbargen; Pupillen und Iris wirkten vergrößert, überdeutlich. Wohl auch daher fiel eine gewisse Strenge an ihnen auf, aber doch gepaart mit jener Art Gütigkeit, wie Freddi sie noch von manchem seiner Lehrer her kannte und die er Rothenburger, da er ihn bereits zu hassen begann, lieber nicht hätte zugestehen wollen. Die Lippen, weder schmal noch voll, normal geformt, waren unbewegt; von den Mundwinkeln verlief jeweils eine Falte nach unten, zu fein allerdings, um sie als Ausdruck von Verdrießlichkeit oder, wie von Freddi gewünscht, von Arroganz, gar Verachtung werten zu können. Schon eher besaß das Kinn, hier noch unversehrt, nicht zerschossen, hingegen kräftig, überproportional zum gesamten Gesicht, mit einer Kerbe in der Mitte und leicht nach vorn gereckt, jene Gestalt, von der es allgemein heißt, sie sei ein Zeichen von besonderer Energie. Den Kopf bedeckte, sofern man dem Schwarzweißraster trauen durfte, dunkelblondes gepflegtes Haar.

Schon in der ersten, dem Interview vorausgegangenen redaktionellen Meldung über eine vom Magistrat der Stadt einberufene Pressekonferenz war er mit seinen auch später für ihn typisch harschen Worten zitiert worden. Die Kaufverträge, erklärte er, die vor einem Jahr abgeschlossen wurden, entbehrten jeder Gesetzlichkeit und seien daher null und nichtig. Gott sei Dank, könne er da nur sagen, und zwar in Anbetracht des katastrophalen Finanzdefizits im städtischen Haushalt, sei bisher noch keine Eintragung in die Grundbücher erfolgt, was allein als Nachweis für die Rechtmäßigkeit von Besitz an jedem Quadratmeter Land zu gelten habe ...

Das löste sofort Unruhe aus und erhob sich schließlich zu einem Aufschrei aller Betroffenen, der Häuslbauer in den Siedlungen ROSENGARTEN, AM HEIDERAND, VOGELSANG, in der Ortslage FREIIMFELD und selbstredend der FROHEN ZUKUNFT. Sein Echo hallte über die Telefone in die Amtsstuben des Finanzdezernats, blockierte für mehrere Tage die Leitungen, ließ bei jedem Anruf die Sekretärinnen erzittern, weil sie ihre Herren Bürovorsteher, die schon nicht mehr an die Apparate gingen, verleugnen und selber die Leute abwimmeln mußten, und überschüttete selbst die nun wirklich recht arg- und schuldlosen Putzfrauen dort, sobald niemand sonst noch im Rathause war, mit Beschimpfungen, Zornausbrüchen und sogar Drohungen. Ob übertrieben oder nicht, so jedenfalls schilderte es Dr. Rothenburger, wenngleich andererseits ziemlich herablassend, ungerührt, als er vor den Kameras begründete, warum er sich nun gezwungen sehe, vor die Öffentlichkeit zu treten. Er sei ja kein Feigling, sondern gelernter Realpolitiker und als solcher aus dem hessischen Wirtschaftsministerium hierher nach *** geholt worden, um im Gegensatz zu seinen drei Vorgängern im letzten Jahr, die ihm statt einer Kasse ein Chaos hinterlassen hätten, für Ordnung zu sorgen, was nichts anderes bedeute, als schwarze Zahlen zu schreiben, und freilich zugleich den Mut erfordere, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen, wovon eine denn laute: Wenn der Geldbeutel leer ist, muß man ihn wieder füllen. Das beginne beim Rechnen, und nicht anders verhalte sich jede gescheite, das heißt aufs Sparen bedachte Hausfrau. Er als Stadtkämmerer habe dieselbe Funktion, und außerdem erstens: Er handle lediglich nach bundesdeutschem Recht, das ja bekanntlich nun, nachdem sich die Brüder und Schwestern hier freiwillig spätestens bei den Landtagswählen im Oktober vorigen Jahres ihm unterworfen hätten, auch im Osten gelte und woran die Leute sich, wohl oder übel, endlich gewöhnen müßten. Zweitens: Wer überdies sich so lautstark einst für die harte Währung der D-Mark entschieden habe, der dürfe sich jetzt weder wundern noch sollte er klagen, sobald Schritte unternommen würden - auch von ihm -, um sie nicht hinterrücks durch Spekulationen, beispielsweise in Form spottbilliger Grundstückspreise, aufzuweichen. Wenn in einer vergleichbaren Gegend etwa in München der Quadratmeter Land vierhundert, fünfhundert Mark und mehr koste, in Kleinstädten Niedersachsens immerhin noch hundert bis hundertundzwanzig, dann sei doch nicht einzusehen, daß er hier für ein Trinkgeld, für den Gegenwert einer Schachtel vermaledeiter Zigaretten (er war Nichtraucher) verschleudert würde.

Dr. Rothenburger, daran ließ er nicht den geringsten Zweifel, fühlte sich als Westmann und benahm sich auch so.

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