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Unterm Hut in der Sonne oder Das neue Buch Nickel von Rainer Lindow
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
22.05.2014
ISBN:
978-3-86394-253-3 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 395 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Verbrechen, Belletristik/Politik, Belletristik/Geschichte
Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Kriegsromane, Kriminalromane und Mystery
2. Weltkrieg, KZ, Holocaust, Jude, LPG, Enteignung, Großbauern, Deserteur, DDR
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Dem Kreissekretär tropft das Wasser ins Bett, weil der Kulak von der Ziegelei bei Leuchtewitz die Ziegel verschoben und Geschäfte gemacht hat. Nun gehört die Ziegelei zwar den Arbeitern, aber Florian kriegt noch immer kein neues Dach.

Fjodor wirft die zerbrochenen Ziegel durch das Loch unter seinen Beinen auf den Trockenboden, nimmt einige Hiebe Wodka aus der Flasche und schiebt sich Speckhappen in den Mund, während er von seiner Familie erzählt, die jetzt endlich eine Wohnung bekommen hat. In einem der drei Zimmer lebt der ältere Bruder mit Frau und Kind, im zweiten sind die vier anderen Brüder untergebracht, und im dritten wohne die alte Mutter. Alle arbeiten sie im Motorenwerk, und wenn abends die Mädchen zu den Brüdern kommen, gibt es Tränen, so eng ist das. Fjodor flucht auf die Kulaken in Leuchtewitz, die alles wegschleppen. Und das große russische Volk gibt Kredite und verzichtet auf die Kriegsrubel, bei der Heiligen Jungfrau, das ist nicht gerecht!

„Ach, wenn’s nur das Gesindel wäre“, meint Florian. Er denkt an Erich, der im Gefängnis sitzt, aber ungeschoren bleiben wird, weil Nickel den Schlag mit dem Hammer verharmlost. Sie nicken kummervoll, ihre Gesichter glänzen vom Schweiß, vom Wodka und vom fetten Speck.

„Ja, siehst du“, sagt der müde Florian. „Nun können wir den Kindergarten bauen, der Nickel kriegt neue Zähne, besser als die alten, die ihm die Amis rausgehauen haben, und die Blechbude zahlt zu, die Löhne erhöhen wir auch ... Aber er, dankt er uns das?“

Fjodor blinzelt schräg ins Sonnenlicht. Er öffnet eine zweite, kleinere Flasche, die er unter den Ziegeln hervorzieht, und sagt sich, dass ein Haus ohne Frau nicht gut ist für Florian, das macht krank und ungerecht.

Florians Rücken schmerzt gelegentlich, wenn er sich geraderückt, und er muss heftig atmen, wenn es bergauf geht. Eigentlich ist es ihm gleich, ob es durchregnet oder der Hagel die Scheiben einschlägt. Es ist ein anderer Schmerz, der ihn quält. Seit Zilla aus dem Haus ist, fehlt etwas an seiner Brust. Dazu die Ungewissheit, ob Nickel so gedeiht, wie Zilla ihn braucht, wenn sie später einmal an Florians Stelle Sekretär sein soll - wenn er Kara auf den Knien schaukeln und sie „Opa“ zu ihm sagen wird.

Er nimmt einen gewaltigen Schluck aus Fjodors Flasche, und der schlägt Florian auf den Schenkel. „Prachtkerl!“, schreit er und schwankt übers Dach. Aufgeregt kaut er an den Schnauzbartenden. Seine Schweinsäuglein werden klein und listig.

Er ermuntert Florian, sich eine starke Frau zu suchen. Eine, die gegenhalten und mit dem Nudelholz hauen kann. Denn um Hurerei fernzuhalten, soll jeder Mann ein eignes Weib und jedes Weib einen eignen Mann haben.

Sie prusten sich ins Gesicht und halten einander am Unterhemd, um nicht vom Dach zu fallen. Nach Luft schnappend, wiederholen sie immer wieder den Satz, jeder in seiner Sprache.

Trocken knallt plötzlich ein einzelner Schuss, die Flasche zerspringt in Florians Fingern, er stiert erschrocken auf das Blut an seiner Hand und rutscht langsam über die Ziegel. An der Regenrinne bleibt er hängen. Die zweite Kugel pfeift vorbei, wo eben noch Fjodors Glatze war, doch der liegt bereits unterm Dach und schreit nach den Soldaten, die mit zwei Mädchen in Blauhemden bei Milch und Brot in der Küche sitzen.

Der kleine, sommersprossige Fahrer und der breitschultrige Sergeant stürzen fast gleichzeitig mit Fjodor auf die Straße. Mit einem Besenstiel, den er auf der Treppe erwischt hat, zeigt Fjodor in den Wald, wo eine Gestalt zwischen den Fichten verschwindet. Die Soldaten kriechen wieselflink die steile Böschung aufwärts und schießen in die Luft.

Zähneknirschend schreitet Fjodor ums Haus, bis ihm einfällt, dass ein Arzt her muss, und er schickt die Mädchen, die eben herauskommen und die Falten ihrer Röcke glätten, damit sie ihn holen.

„Fjodor, hilf mir mal ’runter“, sagt Florian von oben. Er sitzt am Rand des Daches und lässt die Beine baumeln.

Fjodor schleppt aus dem Schuppen die lange Leiter heran. Sprosse um Sprosse drückt er sie zum Dach. Florian steigt ab und hält sich, unten angekommen, schwankend an Fjodor fest.

„Das war der Wodka“, sagt er und blickt schuldbewusst in Fjodors blaue Augen. Der wiegt ungläubig den dicken Schädel und sucht an Florians Armen, Schultern, Rücken einen Einschuss, vergebens.

Die Nachricht ist schneller durch Sparka als ein Bier durch den Magen. Der Florian wurde erschossen, tuschelt man. Mit einem Ziegel erschlagen, heißt es. Zu den Schlossern in der Blechbude dringt das Gerücht, eine Bande aus den Bergen sei dabei, alle Genossen umzulegen.

In kriegerischen wie in friedlichen Zeiten kann einer auf tausendfache Art sterben, aber nur auf eine geboren werden. Nickel packt die Wut, als er die Leute an der Bushaltestelle mit Bedauern, Eifer oder Schadenfreude den Vorfall erörtern hört: Die Russen hätten keinen erwischt, die Polizei durchkämme die Büsche und verhafte alles, was im Wald sei, sogar den Schäfer. War es nicht Florian, der Nickel half, wiedergeboren zu werden und die Dinge neu zu sehen, als er geschlagen aus dem Krieg heimkehrte?

Unterm Hut in der Sonne oder Das neue Buch Nickel von Rainer Lindow: TextAuszug