Specials
Firmenlogo
Verlag für E-Books (und Bücher), Handwerks- und Berufszeichen
Sie sind hier: Unter dem wechselnden Mond von Walter Kaufmann: TextAuszug
Unter dem wechselnden Mond von Walter Kaufmann
Format:

Klicken Sie auf das gewünschte Format, um den Titel in den Warenkorb zu legen.

Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
27.12.2013
ISBN:
978-3-86394-566-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 271 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Geschichten vom Meer, Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Politik
Abenteuerromane, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Kuba, Brasilien, Seefahrt, Rassendiskriminierung, Australien, Gewerkschaft, Solidarität
Zahlungspflichtig bestellen

„Natürlich ein schwarzes Kind", bestätigte er ganz selbstverständlich, „das aufgeweckteste kleine Ding, das du je gesehen hast.“

„Na gut, und was weiter?“

„Wenn es ihr gelingt, mit dem Kind nach Kuba zu gehen“, erklärte er, „und wenn ich nach Kuba komme - dann heirate ich sie."

Ich dachte daran, mit welchen Zweifeln er dieses Gespräch begonnen hatte, und ich fühlte, dass er sich in etwas hineinsteigerte, das er selbst nicht recht glaubte. So hörte ich mit mehr Neugier als innerer Anteilnahme zu, als er seine Pläne entwickelte. Er sprach von der „Sierra Maestra“, dem Frachter, den die DDR für Castro gebaut hatte. Er wollte versuchen, in die Mannschaft zu kommen, die das Schiff nach Kuba überführte. Wahrscheinlich würden sie längere Zeit dort bleiben, um die kubanische Besatzung einzuweisen - dann würde er sein Geld in Pesos bekommen und könnte Elizete und ihrem Kind helfen. Er hoffte sogar, nach einiger Zeit auf einen kubanischen Küstenfrachter übernommen zu werden - schließlich sei Kuba ein sozialistisches Land wie die DDR, und sie brauchten dort Seeleute.

„Das wäre doch keine Republikflucht, nicht wahr, Pit?“

„Nein, Republikflucht wäre es nicht“, sagte ich, „aber es würde nicht gut gehen, und du wirst es auch nicht tun.“

„Du meinst, Elizete wird nicht nach Kuba kommen?“

„Ganz richtig", erwiderte ich, „und du wirst sie auch nicht heiraten.“

„Nein? Wart’s ab!“

Ich trat dicht an ihn heran und sah ihm ins Gesicht, bis er den Blick abwandte und über die Reling starrte, hinüber zu den Hütten auf dem fernen Hügel.

„Fred“, sagte ich eindringlich, „ich weiß zwar nicht, wie ihr euch verständigt, du und dein Mädel, aber verwende die paar Brocken Portugiesisch, die du aufschnappst, nicht dazu, ihr noch länger Hoffnungen zu machen. Das ist der Rat, den ich dir gebe - als dein Freund.“

Ich sah, wie seine Gesichtsmuskeln sich strafften. Er umfasste die Reling mit einem harten Griff, aber er blickte mich nicht an, und er erwiderte kein einziges Wort.

Die Zeit verstrich, unsere Abfahrt von Rio rückte immer näher. Fred muss sich wohl allmählich darüber klar geworden sein, welche Hindernisse seinen Plänen im Wege standen, denn er sprach immer beiläufiger von ihnen, und schließlich erwähnte er sie überhaupt nicht mehr. Seinen wenigen Äußerungen entnahm ich, dass er in einem scheußlichen Dilemma steckte: er begriff endlich, dass sein Kubaplan undurchführbar war. Elizete nach Deutschland mitzunehmen hieße, eine tropische Blume in eine Schneewüste zu verpflanzen, und wenn er in Brasilien unser Schiff verließ, wäre das ein Vertrauensbruch, der am Ende sie beide vernichten musste. Er würde die DDR verraten, nur um die Armut mit ihr zu teilen, ohne je imstande zu sein, ihre Lage zu verbessern. Sein Verstand lag im Streit mit seiner Leidenschaft - denn ich glaube, es war viel mehr Leidenschaft als Liebe, was er für Elizete empfand, sinnliche Leidenschaft in erster Linie, und alle anderen Erwägungen hatten darin ihre Wurzeln.

Ich sah, wie er litt, als die Zeit ihn zu einem Entschluss zwang. Zwei Nächte hintereinander verließ er das Schiff nicht, sondern blieb allein in seiner Kammer und betrank sich sinnlos mit einem Sortiment Schnaps, das jeden Schwächeren umgebracht hätte. Einen Schiffsjungen, der zufällig eintrat, überschüttete er mit einem Schwall von Flüchen und jagte ihm damit einen gewaltigen Schreck ein, und wenn ich den Burschen nicht beruhigt hätte, wäre er vermutlich durch das Schiff gelaufen und hätte verkündet, der Bootsmann sei verrückt geworden.

Ich ging nicht zu Fred.  Ich hoffte, er würde zu mir kommen, wenn er sich von seiner Sauferei erholt hatte, und mir erklären: Pit, es ist vorbei, ich gehe jetzt an Land und sage Elizete die Wahrheit.

Aber nichts dergleichen geschah. Er ging an Land wie sonst, oder vielmehr: er flüchtete an Land, und er sprach kein Wort zu mir. Damals stieg in mir zum ersten Mal eine leise Verachtung für ihn auf, denn nun war ich überzeugt, dass er versuchen würde, Elizete und sich weiterhin in schönen Hoffnungen zu wiegen. Er würde dem Kind Spielsachen mitbringen, Elizete Geschenke machen, mit ihr schlafen, von Heirat und einer gemeinsamen Zukunft in Kuba sprechen - obwohl er längst nicht mehr an das glaubte, was er sagte. Um offen zu sein: ich hätte mehr von ihm gehalten, wenn er in ein Bordell gegangen wäre. Für mich gibt es nichts Erbärmlicheres als einen Mann, der sich selbst und die Frau betrügt, die er zu lieben vorgibt.

Langsam verlor ich jede Achtung vor meinem besten Freund, und schließlich gab ich mir einen Stoß und forderte ihn heraus.

„Wie steht es mit dir und Elizete?", fragte ich ganz ruhig.

„Was kümmert dich das?“, gab Fred mürrisch zurück.

Ich wollte ihn nicht daran erinnern, wie weit er mich bereits ins Vertrauen gezogen hatte, daher zuckte ich nur die Achseln und schwieg. Fred trat ins Kabelgatt und inspizierte die Werkzeuge, als handelte es sich lediglich um eine Routineüberprüfung, Dann sagte er etwas von einer Manila-Leine, die in Montevideo gebrochen sei und neu gespleißt werden müsse.

„Du erledigst das besser, bevor wir auslaufen", sagte er zu mir. Es war eine unnötige Anweisung, denn ich kenne meine Aufgaben sehr gut, und so erwiderte ich scharf: „Vielleicht hast du auch noch ein oder zwei Dinge zu erledigen, bevor wir auslaufen!"

Er fuhr herum, als hätte ich ihn getreten. „Was willst du damit sagen?“, schrie er mich an.

 

Unter dem wechselnden Mond von Walter Kaufmann: TextAuszug