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Die Kneipen waren überfüllt, es dauerte eine Weile, bis ich in einer freie Plätze fand. Dort sollte keine Pfingstdisco abgehalten werden. In der Schankstube saßen außer einigen alten Männern, die Skat spielten, Jugendliche, die in ihrer Freizeit wie Punks aussehen und wirken wollten. Sie tranken Cola mit Schnaps und stritten lauthals über die Qualitäten von Bands, deren schrille Musik sie sich gegenseitig von ihren Rekordern vorspielten. Sie bedienten sich bei ihren offenbar nicht ernst gemeinten Streitereien einer brutalen Sprache und versuchten, einander mit Kraftausdrücken zu überbieten. Am schlimmsten führten sich die Mädchen auf, sie waren ungefähr sechzehn Jahre alt und nahmen sich in ihrer schwarzen Lederkluft wie heruntergekommene Totengräber aus. Sie riefen anzügliche Bemerkungen zu uns herüber, vielleicht legten sie es darauf an, eine Schlägerei zu provozieren. Die Serviererin polierte wie geistesabwesend den Tresen und dann hochstielige Weinkelche, die überhaupt nicht hierher passten. Die Männer am Stammtisch vertieften sich in ihr Kartenspiel.
Eveline sagte leise, dass sie solche »Typen« schon ganz kleinlaut, wie mit kaltem Wasser übergossen, in Prozessen vor sich gehabt hätte. Wieder war ich nahe daran aufzubrausen. Ich wollte Eveline endlich sagen, was ich mir schon lange für sie zurechtgelegt hatte, dass sich nämlich vor den »Schranken des Gerichts« auch nicht die Welt in ihrer Vielfalt abspiele, sondern nur ein kleiner, vor allem aber mieser Teil davon. Es erschreckte mich oft, dass sie alles auf den Standpunkt der Justiz reduzierte. Im letzten Moment besann ich mich eines Besseren, ich hatte in meinem Offenheitswahn heute bei Ulrike Sandau schon genug Schaden angerichtet. Ich überlegte, ob es etwas mit dem Kreuzner-Vorfall zu tun hatte, dass ich plötzlich das Bedürfnis empfand, jedem kalt und klar meine Wahrheiten entgegenzuschmettern. Jedenfalls hatte es keinen Zweck, auch noch mit Eveline Krach anzufangen. Ich nickte ihr zu. Gern hätte ich ihr gesagt, was mir durch den Kopf ging. Doch ich behielt für mich, dass ich darüber nachdachte, wann und warum aus ganz normalen, lieben Kindern, wie sie täglich vor mir sitzen, derartige Gestalten werden. Dafür musste es Ursachen geben, ebenso wie für Simones Tat. Evelines Meinung über Freizeitpunker kannte ich. Für sie steht es fest, dass solche Jugendlichen Verführte sind, die Verhaltensmuster kopieren, die sie im Westfernsehen aufgeschnappt haben. Ein wenig melancholisch dachte ich daran, dass ich mir einmal vorgenommen hatte, offen zu bleiben und Toleranz zu üben. Es hatte nicht viel gebraucht, um mich mit Ablehnung und Unverständnis reagieren zu lassen, nicht nur angesichts der nachgemachten Punks.