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Suizidversuch einer Schülerin, ein noch immer aktuelles Buch aus der DDR-Zeit
Albrecht Franke, der am 10. Februar 1950 in Seehausen in der
Magdeburger Börde als Sohn einer Eisenbahnerfamilie geboren wurde, arbeitete
nach Schule und Studium zunächst als Lehrer in der ebenfalls in der Börde
gelegenen Stadt Wanzleben. Seit 1977 ist er in Stendal zu Hause. Von 1991 bis
2013 war er Lehrer am Winckelmann-Gymnasium und leitete dort auch den Schüler-
und Studentenschreibzirkel „Es wird …“. Seit 2013 ist Franke
als Autor und Lektor tätig.
Nicht zuletzt aus seinen Erfahrungen im Umgang mit Jugendlichen resultiert
seine Erzählung „Zugespitzte Situation“, die damals nicht ganz ohne
Schwierigkeiten, dennoch in zwei Auflagen 1987 und 1989 erschien: Ein
vierzehnjähriges Mädchen wollte sich die Pulsadern aufschneiden und ihr Lehrer
muss sich schwierigen Fragen stellen. Und auch wenn es das DDR-Schulsystem
längst nicht mehr gibt, verlangen Fragen nach Verantwortungsbewusstsein und
Risikobereitschaft sowie nach der Bereitschaft, Konventionen zu dehnen und zu
strecken und vorgegebene Muster aufzugeben, immer wieder neue Antworten.
Bemerkenswert an dem Buch ist übrigens auch eine Vorbemerkung des Autors:
„Ich versichere, dass Ähnlichkeiten nicht ausgeschlossen und nicht beabsichtigt
sind.“
Ehe dieses Buch von Albrecht Franke beginnt, stößt der Leser auf eine bemerkenswerte Vorbemerkung des Autors: „Ich versichere, dass Ähnlichkeiten nicht ausgeschlossen und nicht beabsichtigt sind.“
Was ist zugespitzt an der im Titel erwähnten zugespitzten Situation?
Der Ich-Erzähler bekennt am Anfang, längere Zeit überhaupt nicht an Kreuzner gedacht zu haben. „Viele Probleme, darunter der Umzug in eine neue Wohnung, beanspruchten meine Aufmerksamkeit. Durch eine zufällige Begegnung mit Simones Vater geriet ich jedoch plötzlich in einen Strom von Erinnerungen.“ Und es muss etwas passiert sein, denn er habe sich nicht rechtfertigen müssen. Es seien ihm auch weder Eigenmächtigkeit, Wichtigtuerei oder die Verletzung von Dienstvorschriften unterstellt worden. Hatte er sich aber richtig verhalten? Er beginnt an die Vorgänge vor mehr als einem Jahr zurückzudenken und über sich und über seinen Beruf als Lehrer, in dem er nach und nach bequem geworden war.
Das Ereignis, das alles änderte, passierte an einem Tag Ende Mai, als der Lehrer in der Dorfschule angekommen, auf seinem Platz im Lehrerzimmer einen Zettel des Direktors findet. „Der Direktor ließ mir ausrichten, dass ich sofort zu ihm kommen solle. Die Aufforderung war rot unterstrichen. Ich nahm an, er hätte wegen der Aufsätze endgültig die Geduld verloren oder für meine Saumseligkeit einen Rüffel einstecken müssen, weil unsere Zensuren noch in der Statistik des Kreises fehlten. Wegen solcher Dinge waren wir uns in letzter Zeit immer öfter in die Haare geraten, an dem Tag legte ich mir ein paar Ausreden und Entschuldigungen zurecht – ich beharrte auf meiner frohen Stimmung.“ Doch der Grund für die Aufforderung des Direktors ist ein ganz anderer – es habe zwei Vorkommnisse „seiner“ Schülerinnen gegeben. So sei eine seiner Schülerinnen während einer Discoveranstaltung in der Schule mit einem Jungen in einem dunklen Raum „zugange“ gewesen. Die „zweite Sache“ ist weitaus schockierender: „Gelangweilt lehnte ich mich zurück, denn ich erwartete eine ähnliche Geschichte wie die erste. Ich schrak erst auf, als nach dem Namen Simone Kreuzner das Wort Selbstmordversuch fiel. Das Mädchen hätte während der ersten Stunde versucht, sich mit einem Taschenmesser die Pulsadern aufzuschneiden. Zum Glück wäre die unterrichtende Kollegin, die Geschichtslehrerin Ulrike Sandau, noch rechtzeitig von der Banknachbarin des Mädchens informiert worden.“
Nach den Pfingstfeiertagen solle er sich um die „Sache Kreuzner“ kümmern und möglichst Alleingänge unterlassen, alles protokollieren. Aus einem ersten Gespräch mit seiner Kollegin Sandau, die es als Lehrerin schwer hat, erfährt er, wie sich die „Sache Kreuzner“ abgespielt hat. Die Kollegin bezeichnete den Versuch, sich die Pulsadern aufzuschneiden, als eine gegen sie gerichtete Provokation. Doch das Gespräch verläuft am Ende ganz anders als gedacht, und er wieder zu Hause ist, versucht er sich erst mal selber über die „Sache Kreuzner“ klarzuwerden. „Auf einmal wurde mir klar, dass von dem Mädchen Gefahr ausging, sie konnte mir mit diesem Selbstmordquatsch (anders konnte ich es damals nicht empfinden) alles kaputtmachen. Wenn ihre Drohung ernst gemeint war, wenn beim nächsten Mal »das Ärgste« nicht verhindert werden könnte, dann spielte ich in der Angelegenheit zweifellos eine Rolle. Die Spielregeln kannte ich.“ Und er wird langsam wütend auf das Mädchen. Aber hatte er wirklich verstanden, worum es ging?
Je mehr er sich mit der „Sache Kreuzner“ beschäftigt, umso geht es auch um sein Leben, seine Ehe und seinen Beruf. Gleichzeitig gelingt andererseits scheinbar die Rückkehr zur Normalität nach dem Vorkommnis. Aber die Dinge entwickeln dann doch sich sehr viel anders als erwartet und eine Art groteskes Speil beginnt. Und dann kommt ein eigenartiger, beunruhigender Brief, ein Eilbrief …