Home
eBook-Shop (nur Verlagstitel)
Links
Warenkorb
Walther setzte indessen mit Hildegund bei Nacht seine Wanderung fort, und sie ruhten tagsüber im Dickicht der Wälder. Schlau lockte er die Vögel an, listig fing er sie mit Leimruten, oder er traf sie mit dem zischenden Pfeil. Gelangten sie aber an den gewundenen Lauf eines Flusses, legte er die Angeln aus und fing in der Strömung Fische. So mühte er sich täglich, den nagenden Hunger zu stillen. Während der ganzen Flucht behandelte Walther, der Held, seine Hildegund mit Schonung, und niemals trat er der Jungfrau zu nahe.
Vierzig Tage waren schon vergangen, seit sie die Hunnenfestung verlassen hatten. Da gelangten sie gegen Abend ans Ufer des Rheins, der an der prächtigen Stadt Worms und der königlichen Burg vorüberfloss.
Dem Fährmann, der ihn und Hildegund mit dem Pferd übersetzte, gab er zum Lohn ein paar von den Fischen, die er zuvor gefangen hatte. Dann eilte er jenseits des Stromes ohne Aufenthalt weiter.
Als der folgende Tag die Schatten der Nacht verscheucht hatte, ging der Fährmann hinauf in die Stadt und bot dem königlichen Küchenmeister die Fische zum Kauf, die ihm der fremde Reisende gegeben hatte. Gesotten und gut gewürzt gelangten die Fische auf König Gunthers Mittagstafel. Der erstaunte sehr und sprach herab von seinem hohen Herrscherstuhl: Fische dieser Art sind mir aus den Flüssen des Frankenlandes nie unter die Augen gekommen! Sie müssen aus einer anderen Gegend stammen. Sag mir auf der Stelle, von wem du sie hast!
Der Koch antwortete, einem Schiffer habe er sie abgekauft.
Da befahl der König, ihm diesen Menschen vorzuführen.
Der Fährmann erschien, und befragt, woher er denn die Fische habe, antwortete er offen und wahrheitsgetreu: Gestern Abend saß ich am Rheinufer. Da erblickte ich einen Wanderer, der es sichtlich eilig hatte. Er war gerüstet, als gelte es, in die Schlacht zu ziehen, vollkommen in Eisen gekleidet ging er, erhabener König, am Gürtel hingen ihm ein Schwert und ein Krummsäbel, auf der Schulter ein Schild, und er trug eine blinkende Lanze. Es schien, dass er ein überaus starker Mann war, denn obwohl er eine schwere Last trug, blieb sein Schritt fest. Dicht hinter ihm folgte ein unglaublich schönes, prächtig gekleidetes Mädchen. Sie führte ein kräftiges Pferd am Zügel, dessen Rücken mit zwei ansehnlichen Kästen bepackt war. Sooft es die Mähne schüttelte, sooft es die mächtigen Hufe im Trab bewegte, klirrte es in den Kästen, als schlügen Gold und Edelsteine aneinander. Dieser Mann gab mir als Fährlohn die Fische.
Als Hagen, der an der Tafel des Königs saß, dies hörte, rief er jubelnden Herzens: Freut euch mit mir! Denn nun weiß ich es: Walther von Aquitanien, mein lieber Waffenbruder, kehrt von den Hunnen heim! Der ganze Saal hallte wider von seinen Worten.
Hochbefriedigt lehnte sich da König Gunther zurück und sprach mit Stolz: Mit mir sollt ihr euch freuen! Denn ich habe erkannt, was das heißt: Den Schatz, den König Gibicho, mein Vater, gen Osten sandte zu den Hunnen, hat nun der Allmächtige in mein Reich zurückgeführt. Mir gehört, was Walther bei sich hat.
Mit diesen Worten warf er den Tisch um, sprang auf und befahl, sein Pferd zu satteln. Aus seinem Gefolge wählte er zwölf Recken aus, baumstarke Männer von vielfach erprobter Tapferkeit. Auch Hagen erhielt den Befehl, ihm zu folgen.
Hagen gedachte früherer Tage, als er Walthers treuer Freund gewesen war. Darum trachtete er danach, seinen Herrn von seinem Vorhaben abzubringen. Der König jedoch mahnte unbeirrt: Zögert nicht länger, Männer! Hängt euch das Schwert in den Gürtel und streift das Schuppenkleid über die Brust! Soll solch ein gewaltiger Schatz dem Frankenland verloren gehen?
Eilig packten sie alle ihre Lanzen; der König drängte voran voll Ungeduld. So stürmten sie aus den Toren, um Walther zu verfolgen. Bald hofften sie ihn einzuholen, und sie meinten, sie könnten ihm kampflos seinen Reichtum abjagen.
Hagen aber ließ nicht davon ab, seinen Herrn mit allen Mitteln zur Umkehr zu bewegen. Doch des Königs Unstern wollte, dass er sich nicht belehren ließ.