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Riskante Aufzeichnungen aus Sibirien aus dem Jahre 1978 sowie drei Bücher von Erich Weinert - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
(Pinnow 05.09. 2025) Lohnt es sich, in alten Erinnerungen und in alten Texten zu kramen? Ja, es lohnt sich, wenn dabei so etwas wieder ans Tageslicht kommt, wie das fünfte und letzte der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die sieben Tage lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 05.09. 2025 bis Freitag, 12.09. 2025) zu haben sind. Erstmals 2017 veröffentlicht der hier schon mehrfach vorgestellte Leipziger Schriftsteller Reinhard Bernhof im Leipziger Literaturverlag sein Buch Unbekannte Reise nach Irkutsk. Eine Nachbetrachtung. Und diese Unbekannte Reise liegt inzwischen fast 50 Jahre zurück. Es war eine Dienstreise, wenn man diesen Begriff heute noch kennt. Unbekannte Reise nach Irkutsk ist eine literarisch dichte, autobiografisch gefärbte Nachbetrachtung einer DDR-Dienstreise nach Sibirien im Jahr 1978. Reinhard Bernhof nimmt die Leser mit auf eine faszinierende Reise in das sowjetische Irkutsk, mitten hinein in eine fremde Welt zwischen Propaganda, Gastfreundschaft, spiritueller Tiefe und stillem Zweifel. In seinem poetischen und zugleich scharfsinnigen Stil reflektiert er über Begegnungen, Geschichte und die ideologischen Brüche seiner Zeit. Zwischen Baikal, Bratsk und sibirischer Steppe entsteht ein vielschichtiges Panorama von Menschen und Orten, das sowohl vom utopischen Glanz als auch vom realen Zerfall durchzogen ebenso nachdenkliches wie unterhaltsames Zeugnis einer vergangenen Epoche. Und diese Komandirowka begann so, falls Sie dieses russische Wort noch kennen:
Vergessene Konvolute
1978 bekam ich vom DDR-Schriftstellerverband eine Reise nach Sibirien zugesprochen. Ich hatte mich in Berlin beworben. Sie war nichts Ungewöhnliches damals, ich besaß das kleine Mitgliedsbüchlein mit der Unterschrift von Anna Seghers: NR. 692. Viele meiner Freunde und Kollegen hatten schon den ersten sozialistischen Staat der Welt, wie es pathetisch hieß, besucht, und waren hinterher begeistert. Und Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen! Das war die Losung der Losungen, an der alle anderen verblassten. Aber sie literarisch umzusetzen?
Ich schrieb kein Tagebuch, aber ich machte mir Notizen, wollte so genau wie nur möglich meine Eindrücke schildern. Hatte zuvor noch nie etwas über Sibirien gelesen, wusste nur das eine oder andere als Klischee: Für alle Kriminellen und Monarchiegegner Verbannungsland, besonders für die revolutionären Dekabristen, Adlige und Gardeoffiziere die sogenannten Dezemberaufständischen mit ihren Anhängern wenn sie Glück hatten, dem Galgen zu entkommen Und ebenfalls Verbannungsland für die vielen Nichtindoktrinierten und Saboteure nach der Oktoberrevolution, Neuland, wie man es verheißungsvoll nannte, sie wurden zu den unterschiedlichsten Froststufen deportiert und wenn sie nicht mehr arbeitsfähig waren dem ewigen Eis anheimgegeben. Später hießen die Lager der sowjetischen Gefangenenindustrie Gulag. Auch einige tausend deutsche Exilanten waren darunter. Letztere kamen erst nach dem XX. Parteitag der KPdSU nach und nach in die inzwischen existierende DDR zurück. Sie erhielten sofort den Status VVN Verfolgte des Naziregimes, obwohl sie doch auch Opfer des Stalinismus waren
Ebenfalls meine Lehrerin vom Leipziger Literatur-Institut Johannes R. Becher, Erna Barnick, Dr. phil. alias Trude Richter zuständig für russische und sowjetische Literatur. Einst KPD-Mitglied, 1931, wurde sie ein Jahr später Erste Sekretärin des Bundes proletarischer Schriftsteller. Als die Gestapo sie zu beschatten begann, emigrierte sie 1934 zu ihrem bereits schon nach Moskau gegangenen Lebensgefährten, Dr. jur. Hans Günther bedeutender Nationalökonom der Kommunistischen Partei und Autor des Buches Der Herren eigener Geist. In Moskau unterrichtete Trude Richter am Pädagogischen Institut Wy nascha, Sie sind Unsere, diese zwei Worte hörte sie immer öfter von ihren Kollegen. Darüber war sie besonders stolz, wurde sowjetische Staatsbürgerin und hieß seitdem Gertruda Friedrichowa. Es war die glücklichste Zeit ihres Lebens mit Hans Günther
Aber langsam verwandelte es sich zu einem Leben unter falschem Verdacht. Es kamen die berüchtigten Jahre 1937/38, in deren blutigem Mahlstrom Hunderttausende Sowjetbürger zum Opfer fielen Trude Richter und Hans Günther wurden in dieser Zeit verurteilt nach dem sogenannten Buchstabenparagrafen KRTD konterrevolutionäre trotzkistische Tätigkeit und ohne Prozess von einem Schnellgericht in ein Straflager in die Region Kolymar verbracht. 1938 verstarb Hans Günther bereits in einem dieser Lager Erst 1946 wurde Trude Richter entlassen und durfte sich in Magadan am Ochotskischen Meer ansiedeln. Aber 1949 verschlechterte sich ihre Lage erneut und man schickte sie zu ewiger Verbannung nach Ust Omtschug. Dort arbeitete sie als Fremdsprachenlehrerin und Pianistin im Kulturklub Über 19 Jahre war sie Zwangsarbeiterin, Verbannte und freie Verbannte Erst nach dem XX. Parteitag der KPdSU wurde Trude Richter rehabilitiert und durfte durch die Initiative von Anna Seghers zurückkehren Sie hatte zuvor von Trude einen Brief bekommen und ihr geantwortet: endlich haben wir Dich gefunden. Ich gebe Dir mein Wort, dass Du in zwei Monaten bei uns sein wirst
Dieser Satz hat mich besonders erschüttert und sehr nachdenklich gemacht. Und in der DDR wollte Trude Richter weiter in der Geschichte leben, weiter an etwas Großartigem beteiligt sein
Nun befand ich mich Gott sei Dank nicht in Trudes Richters Kolymaregion mit 40 bis 60 Grad Minus mitunter, wo im Frostboden noch immer Kohle, Kobalterze, Zinn, Gold und Diamanten auf Ausbeute warten wo einem jeden der Atem gefriert, das Blut erstarrt ohne Recht auf Briefwechsel, nein, nicht auf dieser Komandirowka, командировка Dienstreise, sondern ich landete friedlich, freudig und voller Erwartung im 5-Sterne-Hotel Angara, Irkutsk.
Meine Aufzeichnungen über Irkutsk, Bratsk, Nowosibirsk, Akademgorodok kamen mir mit der Zeit riskant vor zu naturalistisch die Menschen, würden die mir bei Aufbau, deren Autor ich war, vorhalten, ich hätte vielleicht zu wenig ideologische Reife an den Tag gelegt und mich mit dem allgemeinen Überheblichkeitsklischee eines typischen Deutschen gleichgestellt; außerdem müsse so ein Manuskript der Beäugung der Botschaft der UdSSR Unter den Linden, standhalten.
Es folgen drei Bücher von Erich Weinert:
Erstmals 1960 erschien im Verlag Volk und Welt Berlin Um Deutschlands Freiheit. Literarische Arbeiten aus der Zeit des zweiten Weltkrieges: Dieses E-Book versammelt Gedichte, Flugblätter, Rundfunkansprachen und satirische Verse, die Weinert zwischen 1941 und 1945 im Exil im Kampf gegen Hitlerdeutschland schrieb. Mit leidenschaftlicher Sprache richtet sich der antifaschistische Dichter an deutsche Soldaten, an das Volk in der Heimat und an die Weltöffentlichkeit. Seine Texte klagen an, warnen, rufen zur Umkehr und zeigen die moralische und politische Alternative: ein freies, besseres Deutschland. Eine literarische Waffe gegen den Nationalsozialismus - heute von erschütternder Aktualität.
Ebenfalls 1960 und ebenfalls im Verlag Volk und Welt Berlin erschien der Band Nachgelassene Lyrik aus drei Jahrzehnten - ein literarisches Zeitpanorama des 20. Jahrhunderts, geschrieben mit der Wucht des politischen Dichters, der das Wort als Waffe verstand. Die Gedichte in diesem Band stammen aus den Jahren 1920 bis 1952 und spiegeln vier Epochen: die Weimarer Republik, das Exil im Kampf gegen den Faschismus, die Zeit des Zweiten Weltkriegs und schließlich die ersten Jahre der DDR.
Mit beißender Satire, kämpferischem Pathos und berührender Klarheit reagiert Weinert auf politische Umbrüche, Krieg, Verfolgung und Aufbauwillen. Seine Sprache ist direkt, oft drastisch, aber niemals gleichgültig. Dieses Buch ist ein dichterisches Zeugnis eines Lebens im Widerstand - und zugleich ein Spiegel der Hoffnungen, Irrtümer und Spannungen eines Jahrhunderts.
Erich Weinert war aber auch ein hervorragender und bis heute geschätzter Nachdichter. Das beweist zum Beispiel der erstmals veröffentlichte Text Michael Lermontow: Der Dämon und andere Nachdichtungen ein Auszug aus dem erstmals 1959 ebenfalls im Verlag Volk und Verlag Berlin veröffentlichten Band Nachdichtungen.
Diese literarische Sammlung vereint die poetische Wucht des russischen Dichters Michael Lermontow mit der sprachlichen Meisterschaft Erich Weinerts. In seiner Nachdichtung von Der Dämon erschafft Weinert ein dramatisch-romantisches Epos über Liebe, Verzweiflung und metaphysische Rebellion - ein Werk zwischen Himmel und Hölle, Licht und Finsternis. Ergänzt wird es durch weitere lyrische Reflexionen über Vaterland, Dichtung, Tod und Aufbegehren. Die Texte sind nicht nur eindrucksvolle Zeitzeugnisse, sondern spiegeln auch bis heute gültige Fragen nach Identität, Gerechtigkeit und menschlicher Würde. Für Liebhaber klassischer Lyrik, politischer Dichtung und sprachlicher Präzision ein literarischer Schatz.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Erneut berichtet ein Autor über den Kampf gegen den Faschismus und für die Freiheit.
Das E-Book mit der Erzählung Russische Partisanen von Friedrich Wolf entführt den Leser in die erbitterten und gnadenlosen Kämpfe des Zweiten Weltkriegs hinter der Ostfront. Während die Welt auf die großen militärischen Operationen der Wehrmacht starrt, tobt im Verborgenen ein unerbittlicher Guerillakrieg: Russische Partisanen, Volksrächer genannt, leisten erbitterten Widerstand gegen die Nazi-Invasoren. In den Wäldern, Sümpfen und Dörfern der Ukraine, Belorusslands und des Brjansker Waldes entbrennt ein Volkskampf, der Tag und Nacht andauert. Erleben Sie anhand authentischer Briefe, Gefangenenaussagen und Berichte die unerschütterliche Kraft und Entschlossenheit der Partisanen, die selbst weit hinter den feindlichen Linien für die Freiheit ihres Landes kämpfen. Ein bewegendes Dokument des Widerstands gegen die Nazi-Besatzung - eindringlich, ergreifend und von schockierender Aktualität.
In seiner eindringlichen Reiseschilderung Unbekannte Reise nach Irkutsk verbindet Reinhard Bernhof Landschaftseindrücke mit persönlichen Begegnungen und gesellschaftlichen Beobachtungen. Die folgende Leseprobe führt die Leserinnen und Leser an den mythischen Baikalsee zu eiskalten Wassern, ungewöhnlichen Gesprächen und überraschenden Einblicken in das Leben in Sibirien.
Unterwegs zum siebzig Kilometer entfernten Baikalsee. Er ist stellenweise über tausendsechshundert Meter tief, rund sechshundert Kilometer lang und an verschiedenen Stellen über hundert Kilometer breit. Aufgrund seiner Tiefe besitzt er mehr Wasser als die Ostsee. Mark schrieb: Unvorstellbar bist du, Russland, und unvorstellbar du, Sibirien, ohne den Baikal
Nicht weit von einem Bohlenkai entfernt, auf dem wir standen, sahen uns die Fensteraugen windschiefer Häuser an. Das Dorf Listwjanka. Am Horizont ein einsames Segel. An den Hängen riesige Zedern, die Bäume der Zirbelnüsse.
Ich lief am Ufer entlang, leise plätscherte das Wasser an meine Füße, ein kristallklares Wasser. Ich fuhr mit der Hand hinein, dann mit beiden Händen, meine Gelenke waren vor Kälte umschnürt.
Weniger als neun Grad!, rief Mark. Ich streifte mir trotzdem die Klamotten ab, hechtete ins Element, tauchte, kraulte bis an den Bohlenkai und kehrte flugs wieder um.
Antonina hatte ebenfalls ihre Kleidung gewechselt Evakostüm warf sich gleichermaßen in den See, Kopf unter, tauchte wieder auf, zog sogar einen Radius über den Bohlenkai hinaus, winkte uns zu und kam, als hätte das Wasser wohlige 28 Grad Hallenbadtemperatur, seelenruhig zurückgeschwommen; sie schien abgehärteter zu sein als ich und als sie ohne Scheu vorsichtig wie in Balance sich hin und her bewegend über die unebenen Kiesel stakste, doch ein wenig zitternd, irdisch, dachte ich: Ungewöhnlich für eine Sowjetfrau, Nacktheit pur, die doch sonst orthodoxer denn orthodox in ihrer Sittenauffassung zu sein scheint dabei hatte ich das dickpapierige blassbunte Wohlfühlperiodikum SOWJETFRAU im Kopf, in der ich schon einige Male geblättert hatte herausgegeben vom Komitee der Sowjetfrauen und Zentralrat der Gewerkschaften der Sowjetunion die es überall in der DDR zu kaufen gab, die vielen Porträts der gleichberechtigen und emanzipierten Frauen darin, zhenshini женщины nur angezogen und überwiegend in schönen Durchschnittskleidern und -blusen oder in Folklore-Look einmal auch die 45 Mal in der Sojus-Kapsel die Erde umkreisende Valentina Tereschkowa, allerdings in Majorsuniform und mit Orden geschmückt.
Antonina sagte nur: Vor dem Kosmos kann niemand etwas wirklich verbergen, unter den Strahlen der Sonne sind wir alle, na ja so wie ich.
Woher weißt du das?, fragte ich. Hatte schon ihre Jeans in der Hand und rubbelte sie wie es meistens nur ein Ehemann tut warm. Mark kam aus dem Staunen nicht raus. Echte Frauen sind doch den Männern gleich, sagte ich. Nach der Oktoberrevolution erlangten eure Frauen das Recht zu wählen, abzutreiben. Für eine Scheidung reichte gar ein handgeschriebener Zettel Eure Revolution brachte einst das fortschrittlichste Ehe- und Familienrecht, das die moderne Welt je gesehen hatte, hervor. Alles musste einvernehmlich vollzogen werden Nach 1930 wurde vieles wieder zurückgepfiffen.
Schnell war Antonina in ihre vom Abrubbeln etwas klamm gewordenen Jeans und in die Sandalen geschlüpft, zog ihren Pulli über Fertig die Sowjetfrau!, rief ich. Mark und Alexander lachten auf
Fern die Berge des Chamar-Daban, die sich hinter einer Wand aus Glast verloren. Manchmal, wenn Sonne die Schneegipfel berührte, spiegelten sich die Lichtstrahlen im Wasser.
In den Bergen gibt es Wildkatzen und Bären, sagte Mark. Ohne Schusswaffen darf man sich von Listwjanka an nicht aufhalten Würden wir das Meer umrunden, über zweitausend Kilometer, wären wir drei Monate unterwegs Wege gibt es kaum. Waffe tragen normal Bären greifen manchmal an, wenn man sich dumm verhält.
Auf der Fahrt zu einer Touristenstation wurden wir von einem Motorroller überholt, darauf drei Erwachsene und ein Kind. Die Miliz hat dafür kein Auge, lachte Mark.
Der Autoverkehr nur gering. Schwere Laster fuhren ab und zu vorbei, Höllenlärmmaschinen, aus denen trotzdem das übertrieben aufgedrehte Radio zu hören war, brutal und wunderbar zugleich zwei Daumen, festgehakt am Lenkrad und diese angespannten Muskeln des Fahrers Und zwischendurch eine überdachte Bushaltestelle, davor Kinder, Frauen und alte Leute mit ihren Bündeln und weißen Kopfkissensäcken; sie winkten den Autos zu, schienen alle Fahrer zu kennen, auch uns, ohne uns jemals zuvor gesehen zu haben, aber mit denen wir uns ohne weiteres im Einklang befanden.
Neben der Touristenstation, im Limnologischen Institut erfuhren wir, dass es im Baikal fünfzig Fischarten gebe Wir gingen an einem präparierten Seehundjungen vorbei, an einer ausgestopften Baikalrobbe, über einen Meter lang; daneben ein Exemplar von Comephorus dybowskii baikalensis: ein Exemplar mit stacheligen Flossen und großem Maul. Er hatte sich, wie auch die anderen neunundvierzig Fischarten, nur hier eigenständig entwickelt, endemisch.
In einem Flüssigkeitsbehälter ein präparierter Omul. Wenn er dreizehn Jahre alt ist, darf er gefischt werden, sagte uns eine junge Mitarbeiterin Dort ein Stör, Kaviarlieferant, wird achtzig Jahre alt und ist erst mit zwanzig geschlechtsreif. Alexander zeigte auf den Backenzahn eines Dinosauriers
Im Institut arbeiten rund 300 Wissenschaftler, sagte Mark. Sie überwachen das Wasser wie ihren Augapfel. Die Wasser des Baikal ist das einzige lebendige Wasser auf der Welt mit Mikroorganismen, woanders ist das Wasser tot durch Salz, Chlor und chemische Zutaten Die Unesco bezeichnet Wasser rein, das so ist wie das vom Baikal. Zwar gibt es am Baikal ein großes Zellulosewerk, wo Holz verschreddert und mit Chemikalien angerührt wird, die das Holz schließlich zersetzen und den Zellstoff abtrennt. Das ist eine ziemlich giftige Angelegenheit, doch das verunreinigte Wasser wird inzwischen über fünfzig Mal verdünnt, ehe es abgeleitet wird. Aber weitere Zellstofffabriken wurden Gott sei Dank nicht mehr zugelassen. Mark tippte sich an die Brust: Unsere Initiative, die der Irkutsker Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler und Fernsehleute. Valentin Rasputin, unser wichtigster Schriftsteller, hat sich da besondere Verdienste erworben, er wurde an der Angara geboren und hat über sein im Stausee versunkenes Dorf, in dem er geboren wurde, ein bedeutendes Buch geschrieben: Abschied von Matjora.
Soll auch bei uns veröffentlicht werden, sagte Alexander.
Hier scheinen Umweltinitiativen mehr von Erfolg gekrönt zu sein als bei uns, sagte ich, von solchen Initiativen träumen wir noch, denn unsere Flüsse in Leipzig sind voller gelblicher Schaumkronen, riechen nach Phenol und ungewaschenem Geschlecht. Ich habe darüber ein Zyklus angefangen zu schreiben: Wegen Schweigens zeige ich mich an auch über einen See bei Bitterfeld Silbersee in Wolfen. Beide Städte liegen dicht beieinander und bilden zusammen den größten Chemiestandort der DDR. Regenbogenschlamm kommt darin vor. Sehr poetisch! Ich lachte. Das wird gewisse Leute anstinken, gegen mich aufbringen, als wäre ich der Grund für solche Ursachen
Ob das stimmt mit dem fünfzig Mal verdünnten Zeug, fragte Alexander Mark über seine Baikal-Analyse. Nicht ein Quäntchen Gift dürfe ins Wasser geraten. Und Chlorbleiche sei doch schlimmer noch als Gift hoch drei
Wir waren längst wieder in Irkutsk und fragten Mark, wo es den Omul zu kaufen gäbe, mehr aus Spaß. Mark schwieg, winkte eine Taxe heran, die uns bis vor das lang gezogene Gebäude des Gebietskomitees brachte.
Gebietskomitee? KPdSU?
Einen Moment bitte, sagte er geheimnisvoll. Stieg aus. Nach einer Weile kam er mit etwas Eingepacktem zurück.
Bei der KPdSU gibt es allerhand, spottete Antonina.
Seit wann ist die KPdSU ein Fischladen, sagte ich und lachte. Aber bei uns ist ja die SED auch zuständig für Möhren und Radieschen
Im Hotel Angara, während des Abendessens, gab Mark das Bündel dem Oberkellner.
Nachdem wir längst gegessen, Kaffee und Wodka getrunken hatten, servierte uns eine junge Burjatin den zurechtgemachten, in Bissen aufgeteilten Omul. Für die Zubereitung wurden 1 Rubel und 4 Kopeken berechnet. Wenngleich wir längst satt waren, wollten wir uns des Omuls nicht unwürdig erweisen und aßen ihn. Er schmeckte wie gebratener Hering, so gut und nicht schlechter
Mit scharfem Spott und unerschrockenem Witz hält Erich Weinert dem Nationalsozialismus den Spiegel vor. Die folgende Leseprobe aus Um Deutschlands Freiheit. Literarische Arbeiten aus der Zeit des zweiten Weltkrieges zeigt, wie er selbst im Angesicht von Krieg und Unterdrückung die Macht des Wortes und die Kraft der Satire zu einer Waffe des Widerstands macht.
DIE GESCHICHTE VOM HELDENFRISEUR
Zweite, veränderte Fassung der Ballade vom Heldenfriseur; mit neuem Titel zuerst abgedruckt in: Erich Weinert, Gegen den wahren Feind, S. 49.
Februar 1942
Es war in der Reichshauptstadt ein Friseur,
Dem war sein Laden fast immer leer.
Drum ließ er, die Leute zu animieren,
Einen Führer aus Gips ins Fenster postieren.
Aber dann kam überhaupt keiner mehr.
Sein Sohn war in Russland, natürlich ein Held,
Von dem hat er neulich ein Bild ausgestellt,
Vorne im Schaufenster, hoch zu Ross.
Doch jeder weiß, der Held ist beim Tross.
Der konnte ihm also allerhand schicken
An interessanten Beutestücken.
Und weil er gern Raritäten sammelt,
Die er dann stolz in den Laden bammelt,
So hat der ihn laufend damit beglückt
Und Sowjetsterne und Bilder geschickt.
Auch alles, was er sonst an der Front
An Feindpropaganda auftreiben gekonnt.
Das hat nun den Alten in einer Nacht
Auf eine geniale Idee gebracht.
Er hat im Laden eine Wand klar gemacht
Und alles, was ihm sein Held geschickt,
Mit Reißzwecken an die Mauer gespickt,
Die Flugblätter über die ganze Wand
Und die andern Sachen ringsum am Rand,
Worauf er ein gemaltes Plakat
An die Schaufensterscheibe kleben tat,
Weit sichtbar für Passantenblicke:
Hier Ausstellung Russischer Beutestücke!
In seinem Laden, der sonst so leer,
Wurden der Kunden nun immer mehr,
Und wer dort zum Rasieren gewesen,
Der wollte auch alle Flugblätter lesen.
Und mancher hat Papier mitgebracht
Und Abschriften von den Texten gemacht.
Einer hat sie sogar fotografiert;
Die sind dann überall zirkuliert.
Die ganze Straße lang standen sie Schlange.
Doch ach, die Freude währte nicht lange.
Denn eines Nachts kam die Polizei,
Und mit dem schönen Geschäft wars vorbei.
Der Haarkünstler wurde eingebuchtet,
Da hat denn keine Beteurung gefruchtet.
Nun steht er in dringendem Verdacht,
Er hätte Feindpropaganda gemacht.
Wie hat da die ganze Straße gelacht!
Dass grade dem das musste blühn,
Der immer am lautsten für Hitler geschrien.
Aber was auf den Flugblättern stand,
Geht jetzt in der Stadt von Hand zu Hand.
Doch im Laden, zwischen Perücken und Nips,
Steht immer noch schweigend der Führer aus Gips.
Die Gedichte des Bandes Nachgelassene Lyrik aus drei Jahrzehnten eröffnen einen eindrucksvollen Blick auf drei Jahrzehnte voller Umbrüche und Kämpfe. Die folgende Leseprobe zeigt, wie Erich Weinert mit Witz, Satire und politischer Schärfe den Alltag, den Krieg und die Hoffnungen seiner Zeit poetisch verdichtet.
Tiefgefühlte Gedanken an meinem letzten Schultag
Es ist mir seelisch nicht mehr gegenwärtig.
Er war wohl so, wie jeder andre war.
Wahrscheinlich dacht ich mir: Nun bist du fertig
Und giltst als ausgewachsnes Exemplar.
Eins weiß ich noch: Es war die ganze Lehrkraft
Mit Voll- und andern Bärten angetanzt,
Und hatte uns von Bürgerpflicht und Wehrkraft
Und Sittlichkeit was ins Gemüt gepflanzt.
Da war zuerst der Alte mit dem Barte,
Vom Nasentabak freundlich angegilbt.
Er hatte statt des Strengen heut das Zarte,
Den innern guten Kern herausgestülpt.
Dann kam der approbierte Deutschzersetzer
Der räusperte sich und sprach: Ihr zieht davon!
Bleibt eingedenk, und werdet keine Schwätzer!
Und denkt an Komma und Semikolon!
Und nun erschien, mit einer Festkrawatte
Und preußisch-brandenburgschem Halsgerüst,
Der Mann, der Heldentum zu säen hatte.
Er sagte schlicht: Verwertet, was ihr wisst!
Dann kam ein Schädeldach in Kugelglätte,
Inhalt: Vier Drittel r zur dritten Pi,
Das sprach von sorgenloser Kindheit Stätte
Und vom Pythagoras: Vergesst ihn nie!
Und hinterher gings an ein Händefalten.
Die Lehrkraft ist umrahmt von Suppengrün,
Dann durften wir ein Heldenbuch behalten,
Die deutsche Flotte und von dannen ziehn.
Sein oder Nichtsein, das ist die Frage!
Treten Sie auf, treten Sie ran,
Ob groß, ob klein, ob Frau, ob Mann,
Auf meine amtlich geeichte Personenwaage!
Treten Se rauf, junge Frau!
Was haben Se Anfang des Jahres gewogen?
Zweiundsiebzig Kilo stimmt das genau?
Ja, dann sind eben zwanzig Kilo verflogen!
Jetzt haben Sie fünfzigeinhalb, ungelogen
Na, sagen wir rund: einundfünfzig Kilo!
Fünfundsiebzig hat die Venus von Milo.
Junge Frau, das ist kein Normalgewicht!
Das erklärt sich nicht, das gehört sich nicht!
Hätten Sie gelebt nach Hitlers Programm,
Dann hätten Se neunzig Kilo, Madam!
Wie meinen Se, Ihr Mann wäre abgebaut?
Junge Frau, sagen Se das nicht so laut!
Meine Herrschaften, es geht die Gräuelsage:
Das deutsche Volk verliert an Gewicht!
Auf meiner gleichgeschalteten Personenwaage
Stimmt das nicht!
Die junge Frau hier hat ungelogen
Im Januar vierzig Kilo gewogen
Was machen Se denn fürn Gesicht, junge Frau?
Wir sind doch im Bilde der alte Kakau!
Ich seh doch, was los ist: Ich steh hier und wiege,
Und was ich wiege, ist keine Lüge.
Se haben auch schon ein Haar in der Suppe gefunden?
Nanu, ich kenne doch meine Kunden!
Meine Herrschaften, ran und genieren Se sich nicht!
Heil Hitler! Achte auf dein Gewicht!
FAMILIE MÜLLERS GLÜCK UND ENDE
1943
Bei Müllers ist es tägliches Vergnügen,
Liest jeden Abend man von großen Siegen.
Schon fiel ein bittrer Tropfen in das Glück:
Aus Polen kam der Gustav nicht zurück.
Was hat man schließlich von den Siegen allen!
Auch Max war schon vor Leningrad gefallen.
Noch immer Sieg! Doch auch mit Fritz ists aus;
Und selbst der Vater kam nicht mehr nach Haus.
Wozu die Siege? Wozu sind all die Lieben?
Auch Hildchen war beim Osteinsatz geblieben.
Da schrie die Mutter: Nein, nun ists genug!
Schluss mit den Siegen! Schluss mit dem Betrug!
Dann hat sie des Betrügers Bild zerfetzt,
Der ihre Lieben in den Tod gehetzt.
Nicht einer kam zurück. Das Haus ist leer.
Familie Müller existiert nicht mehr.
Ja, hätte sie den Siegen nicht vertraut
Und schon vor Jahren den Betrug durchschaut,
Sie brauchte keinen einzigen hinzugeben;
Und alle Lieben wären noch am Leben.
Drum, wer noch lebt; es ist die letzte Frist,
Zu retten, was jetzt noch zu retten ist!
Zerreißt das Henkerbild im ganzen Land,
Und stellt den Henker selber an die Wand!
1952
Melodie von Hanns Eisler
Im Frühling froh und im Sommer frei
Und fleißig im Herbst und im Winter,
Wir sind die jüngste Kampfpartei,
Die fröhliche Freundschaft der Kinder.
Des Friedens Fahne mit uns zieht,
Wir singen der Pioniere Lied,
Das klingt und singt in die neue Zeit,
Pioniere sind immer bereit.
Wir lieben den Sport und wir lieben das Buch,
Wir weisen dem Faulpelz die Türe.
Wir tragen mit Stolz unser blaues Tuch,
Wir Thälmann-Pioniere.
Wir grüßen die Heimat in Wald und Feld,
Wir wollen sie schützen und hegen,
Wir reichen den Kindern der ganzen Welt
Die Hand zur Freundschaft entgegen.
Wir tragen die Fahne der Republik,
Wir grüßen mit Stolz unsern Wilhelm Pieck,
Wir grüßen die Kinder der neuen Zeit,
Pioniere sind immer bereit.
Wir lieben den Sport und wir lieben das Buch,
Wir weisen dem Faulpelz die Türe.
Wir tragen mit Stolz unser blaues Tuch,
Wir Thälmann-Pioniere.
Wir haben stolz unserm jungen Bund
Den Namen Ernst Thälmann gegeben.
Wir haben geschworen, zu jeder Stund
Nach seinem Vorbild zu leben.
Und werden wir seines Namens wert,
Wir wollen lernen, wie er uns gelehrt,
Alle Kraft einer schöneren Zukunft geweiht
Pioniere sind immer bereit.
Wir lieben den Sport und wir lieben das Buch,
Wir weisen dem Faulpelz die Türe.
Wir tragen mit Stolz unser blaues Tuch,
Wir Thälmann-Pioniere.
Mit großer sprachlicher Intensität überträgt Erich Weinert die Werke des russischen Dichters Michael Lermontow ins Deutsche. Die folgende Leseprobe aus Michael Lermontow: Der Dämon und andere Nachdichtungen zeigt, wie die Nachdichtung den Zauber und die Tragik der romantischen Verse bewahrt und zugleich in einer eigenen poetischen Kraft neu erstehen lässt.
ZWEITER TEIL
O Vater, Vater, schwer wie Steine
Sind deine Flüche. Schilt mich nicht!
Sieh meine Tränen! Sieh, ich weine!
Von Tränen brennt mir mein Gesicht.
Den neuen Werbern sag: Ich werde
Nun keines andern Gattin mehr.
Mein Gatte schläft in kalter Erde;
Und aller Liebe bin ich leer.
Und hör: am Tag, als aus der Fehde
Sein Ross den Toten zu mir trug,
Erschien ein Geist in meiner Öde,
Der mich mit süßer Himmelsrede
In unsichtbare Ketten schlug.
Vom Abend bis zur Morgenröte
Raubt mir den Schlaf ein wüster Traum.
Fern ist die Seele, wenn ich bete;
Den Klang der Worte hör ich kaum.
In meinem Blut sind Flammenschlangen.
Ich welke wie das Abendlicht.
Und meine Seele ist voll Bangen.
0, Vater, Vater, fluche nicht!
Schließ deine Tochter, die entweihte,
Ins himmelstille Kloster ein!
Dort wird der Retter mein Geleite
Und Tröster meines Elends sein.
Ich werde nicht mehr froh auf Erden,
Seit dieser Nacht, da sichs begab.
So lass im frommen Schatten werden
Die Zelle mir zum frühen Grab!
Noch einmal sie die Eltern küsste,
Die sie ins Kloster eingebracht.
Es hüllte nun die jungen Brüste
Die faltenvolle, graue Tracht.
Doch auch im dunklen Nonnenkleide,
Wie einst im bunten Tanzgewand:
Der nächtgen Träume Sturm und Brand
Verzehrten sie mit süßem Leide.
Selbst am Altar, am heiligen Ort,
Wenn Chöre schwollen im Gewölbe,
Sie hörte immer nur dasselbe:
Des Fremdlings zaubervolles Wort.
Mit eindringlichen Worten schildert Friedrich Wolf in Russische Partisanen den unermüdlichen Widerstand der sowjetischen Partisanen gegen die deutsche Besatzung. Die folgende Leseprobe macht deutlich, wie dieser Volkskampf trotz größter Gefahren weitergeführt wurde ein bewegendes Zeugnis von Mut, Opferbereitschaft und ungebrochener Hoffnung.
Der Kampf der russischen Partisanen nimmt in den letzten Monaten immer schärfere und breitere Formen an. Das bezeugen die bei den gefallenen Hitlersoldaten gefundenen Briefe und auch die Gefangenenaussagen. Oft tritt gerade an der Ostfront infolge der großen militärischen Aktionen der Kampf der Partisanen der Volksrächer nach außen etwas in den Hintergrund. Aber dieser wahre Volkskampf setzte keine Minute aus. Tag und Nacht fallen in der Ukraine, in Belorussland, in den Wäldern von Brjansk und dem Sumpfgelände zwischen Estland und der Leningrad-Front zu Hunderten die Nazisoldaten von den Kugeln der russischen Freiheitskämpfer, fliegen die Militärtransporte in die Luft, werden ganze Strafexpeditionen, welche das deutsche Kommando mit Tanks und schweren Waffen gegen die Partisanenrayons schickte, von sich schnell vereinigenden Partisanengruppen eingekreist und vernichtet.
An den Soldaten Erwin Paul, Feldpost 17 566 C, schreibt seine Mutter aus Dortmund, Schützenstraße 169:
Unser Erich liegt in Bayern im Lazarett. Den mussten sie im Verwundetenzug von Woronesh her damals nach Deutschland bringen. Er war über fünf Wochen auf der Bahn; das hält ja kein Gesunder aus. Die Partisanen hatten ihnen dreimal das Geleise gesprengt, und dabei gingen noch viele unserer Soldaten zugrunde, die glaubten, endlich aus der Schlacht und aus Russland heraus zu sein. Aber der Krieg ist ja jetzt überall.
Am Beginn seiner Nachbetrachtung über eine Unbekannte Reise nach Irkutsk schreibt Reinhard Bernhof auch über seine Lehrerin Trude Richter. Und wer sich mit der Geschichte des Kommunismus und dem oft tragischen Schicksal deutscher Kommunistinnen und Kommunisten, darunter viele Schriftsteller und andere Künstler, in Deutschland, aber auch in der Sowjetunion, befasst, der stößt unweigerlich auch auf die Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Trude Richter, die eigentlich Erna Barnick hieß, am 19. November 1899 in Magdeburg geboren wurde und am 4. Januar 1989 in Leipzig gestorben ist.
Erst nach der Wende, die sie nicht mehr erlebt hat, durfte 1990 noch in der DDR ihr Werk Totgesagt. Erinnerungen erscheinen, in welchem auch Ihre Zeit im Lager und in der Verbannung dargestellt wird. Als Ort und Jahr der Beendigung von Totgesagt hatte sie darin Jalta, September 1964 angegeben. Aus Parteidisziplin hatte sie sich an das von ganz oben verordnete Schweigegebot über die schlimmen Verfolgungen in der Sowjetunion gehalten.
Einen Tag nach Verleihung der sowjetischen Staatsbürgerschaft wurden Trude Richter und ihr Mann Hans Günther am 4. November 1936 unter dem Vorwurf konterrevolutionärer trotzkistischer Tätigkeit verhaftet. Es folgte eine Verurteilung ohne Prozess zum Arbeitslager im Fernen Osten. Während Hans Günther 1938 an Entkräftung und Typhus starb, überlebte Gertruda Friedrichowna (Richter) schlimmste Schikanen und härteste körperliche Arbeit. Nach der Haft 1946 durfte sie Magadan nicht verlassen, wurde 1949 erneut verhaftet und zur ewigen Verbannung nach Ustj-Omtschug 350 Kilometer nördlich von Magadan geschickt. 1956 schaffte es Trude Richter, endlich Kontakt zu Anna Seghers herzustellen, die entscheidend die Rehabilitierung und 1957 die Rückkehr in die DDR beförderte.
Johannes R. Becher, nun Kulturminister der DDR, übertrug der Genossin aus KPD-Zeiten die Aufgabe, ab 1958 im Literaturinstitut Leipzig als Dozentin zu wirken. Trude Richte nahm ihre Verpflichtungen voll im Sinne der Kulturpolitik der SED wahr. Sie lehrte bis zum Ausscheiden aus Altersgründen 1962 russische, sowjetische und Weltliteratur, bildete Schriftsteller wie Helmut Richter, Hans Weber, Horst Salomon, Max Walter Schulz und Günter Görlich aus. Ihre Lehrveranstaltungen wurden von den Studierenden als anregend, manchmal auch aufregend (Helmut Richter) empfunden. Als emeritierte Dozentin hielt sie weiterhin enge Verbindungen zum Lehrkörper sowie einer Reihe Absolventinnen und Absolventen.
Trude Richter war gerade wegen ihrer Vorgeschichte eine dem Leben zugewandte Frau. Ab 1965 wirkte sie, vom Kulturbund aufgestellt, als sehr aktive Stadtverordnete in der Ständigen Kommission Kultur, speziell im Aktiv für heitere Muse und ab 1969 im Aktiv Literatur. Sie war zudem in der Stadtleitung sowie im Zentralen Arbeitskreis des Kulturbundes Johannes R. Becher engagiert, Mitglied des Vorstandes des Schriftstellerverbandes der DDR im Bezirk Leipzig, später dort Vorsitzende der Revisionskommission und 1983 Ehrenvorstandsmitglied im Schriftstellerverband Bezirk Leipzig. Vom Feierabendheim aus leitete sie einen Literaturzirkel zum Werk Johannes R. Bechers.
1972 hatte Trude Richter unter dem Titel Die Plakette: vom großen und vom kleinen Werden den ersten Teil ihrer Lebenserinnerungen veröffentlicht, in dem sie die zwei Jahrzehnte in der Sowjetunion jedoch ausschloss. Nach 1985 wurde die Veröffentlichung der im Manuskript vorliegenden gesamten Lebenserinnerungen erneut versucht. Ein Teilerfolg war dabei der Abdruck eines Ausschnitts Station Kilometer Sieben in der Zeitschrift Sinn und Form der Akademie der Künste der DDR unter Chefredakteur Max Walter Schulz 1988.
Liest man heute die vollständigen Memoiren der bis an ihr Lebensende überzeugten Kommunistin, so nimmt man mit wachsendem Entsetzen zur Kenntnis, welches Unrecht im Namen von Sozialismus/Kommunismus und Menschlichkeit unschuldigen Menschen wie Trude Richter angetan wurde und wie sie dennoch weiter an die Sache glaubten. Während einer Gedenkveranstaltung der Initiative Künstlerspur Leipzig, die anlässlich ihres 125. Geburtstages im vergangenen Jahr stattfand, wurde an die stille Heldin Trude Richter erinnert. Ihre Menschlichkeit und ihre Erinnerungen berühren bis heute.
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In der nächsten Woche kommt erneut der Nachdichter Erich Weinert zu Wort wieder mit einem Auszug aus dem erstmals 1959 im Verlag Volk und Welt erschienenen Sammelband Nachdichtungen. War es diese Woche eine Übertragung des russischen Dichters Michael Lermontow, so sind es nächste Woche Texte des in seiner Heimat noch immer hochverehrten ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko. Der Titel des E-Books lautet: Die Haidamaken und andere Nachdichtungen.
Das Epos Die Haidamaken von Taras Schewtschenko zählt zu den bedeutendsten Werken der ukrainischen Literatur. In eindrucksvoller Bildsprache schildert der Dichter den großen Bauernaufstand von 1768 gegen die polnische Adelsherrschaft - ein Aufschrei gegen Unterdrückung, Willkür und nationale wie religiöse Demütigung. Erich Weinert hat dieses Werk während seines Moskauer Exils kongenial ins Deutsche übertragen. Mit sprachlicher Wucht und politischer Leidenschaft bringt er die Figuren, ihre Qualen und ihren Freiheitswillen eindringlich zum Ausdruck. Diese literarische Annäherung ist nicht nur ein historisches Zeugnis, sondern auch eine Erinnerung daran, wie viel Mut es braucht, sich gegen Ungerechtigkeit aufzulehnen.