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Ein tödlicher Rachefeldzug, eine Flucht nach Berlin und eine lange Bedenkzeit über 545 Tage - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
(Pinnow 29.08. 2025) Wende gut, alles gut? Zwar sind die gesellschaftsverändernden Ereignisse der Jahre 1989/90 im wiedervereinigten Deutschland inzwischen 36/35 Jahre her, aber so richtig gut scheint es vielleicht doch nicht gelaufen zu sein jedenfalls nicht überall und nicht für alle. Und offenbar gibt es auch 35 Jahre später viel mehr Hass im Osten auf den Westen. Das zumindest legt ein neues Buch nahe, das ein aus dem Osten stammender Historiker und ein Spitzenpolitiker der Linken und langjähriger ostdeutscher Ministerpräsident gerade herausgebracht haben. Darin kommen sie zu alarmierenden Befunden. Haben Sie vielleicht sogar recht? Zumindest sollte man ihre Argumente und Warnungen zur Kenntnis und ernst nehmen.
Dazu passt das dritte der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die sieben Tage lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 29.08. 2025 bis Freitag, 05.09. 2025) zu haben sind obwohl es erstmals bereits 1997 im Verlag in der bekannten und beliebten DIE-Reihe des Verlages Das Neue Berlin veröffentlicht wurde. Sein Autor ist Jan Flieger und es ist die Fortsetzung des erstmals 1995 ebenfalls in der DIE-Reihe des Verlages Das Neue Berlin veröffentlichten Buches Satans tötende Faust. Dessen Held ist Horst Horstmann, in dem die vielen kleinen und großen Betrügereien, die nach der Wende im Osten geschehen, die Wut hochkochen lassen. Aber Horstmann ist nicht einfach nur ein Bürger, sondern Horstmann war auch ein NVA-Elitesoldat, ein Fallschirmjäger, der gelernt hat, lautlos zu töten. Seine Wut steigt und steigt und dann fasst Horstmann einen tödlichen Plan der Rache. Aus Horstmann wird Satans tödliche Faust
In der zwei Jahre später erschienenen Fortsetzung Im Höllenfeuer stirbt man langsam setzt Horstmann seinen gut angelaufenen Racheplan fort. Den einen oder anderen Betrüger hat er schon auf seine Weise bestraft. Aber dann legt er sich in seiner Heimatstadt Leipzig mit der Russen-Mafia an, zu der längst auch Deutsche gehören. Keine guten Aussichten für Horstmann, den einsamen Rächer
Erstmals 1989 erschien im Mitteldeutschen Verlag Halle-Leipzig der Erzählungsband Dr. B. - Arzt im Dienst von Roland Kluge: Ein Arzt im nächtlichen Bereitschaftsdienst, auf der Fahrt durch die Großstadt. Wegen eines Schnupfens gerufen, aber auch an das Bett des unheilbar Kranken. So trifft er auf unterschiedliche menschliche Hilfsbedürftigkeit, auf die er angemessen zu reagieren hat. Für die einen erhaben und unpersönlich im Weiß des Kittels, ist er für andere der einzige Gesprächspartner aber auch ein bequem zu bestellender Krankenscheinlieferant oder ein willkommener Blitzableiter ihres Ärgers ... Wie weit kann, wie weit darf er in der zufälligen Begegnung die Lebenskonstellationen derjenigen, die sich ihm anvertrauen, durchschauen? Was bleibt in der Routine der Berufsjahre von den Idealen, unter denen er einstmals angetreten ist? Wer hilft ihm, wenn er ganz allein entscheiden muss?
Der Autor, in seiner ärztlichen Berufspraxis nicht selten mit ethischen Grundproblemen konfrontiert, stellt in seinen Geschichten Fragen nach dem, was ein Leben zu tragen imstande ist, wenn es an existenzielle Grenzen stößt, wenn die bisherigen Antworten nicht mehr ausreichen.
Außerdem präsentiert der heutige Newsletter zwei Bücher von Rudi Benzien:
Erstmals 1979 veröffentlicht er im Verlag Neues Leben Berlin Berlin, hier bin ich: Detlef Kallinger hat Sorgen. Seine Freundin hat ihn während der Armeezeit im Stich gelassen, Vera ist auch nicht der rechte Trost, aus der Fahrt zur Trasse ist auch nichts geworden da macht er sich auf nach Berlin.
Drei Jahre später folgte im selben Verlag Schwester Tina: Auf der Neugeborenenstation hat Tina keine freie Minute, aber ihre Gedanken sind häufig bei Frank, der für eineinhalb Jahre Soldat ist. Fünfhundertfünfundvierzig Tage, denkt sie, Zeit genug, sich darüber klarzuwerden, ob Frank der Richtige ist. Und da taucht der Pianist Dietmar auf
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Wie entscheidet man sich, wenn es ums Überleben geht?
Aus dem Jahre 1943 stammt die Erzählung Rotarmisten stürmen einen Stützpunkt von Friedrich Wolf. Im Sommer 1944 tobt an der Ostfront der Zweite Weltkrieg in voller Härte. Der Unteroffizier Gerhard Müller und seine Kameraden befinden sich in einem deutschen Stützpunkt, der als uneinnehmbar gilt. Doch plötzlich beginnt ein massiver Angriff der Roten Armee, der alles verändert. Inmitten eines unerbittlichen Feuersturms stehen sie vor der Entscheidung: Kämpfen bis zum letzten Mann oder sich ergeben? Der Bericht von Gerhard Müller schildert hautnah die schockierende Realität des Krieges, das Chaos des Kampfes und den schmalen Grat zwischen Leben und Tod. Eine eindringliche Geschichte über Mut, Verzweiflung und den Überlebenswillen. Und so beginnt der Text von Friedrich Wolf:
Der Unteroffizier Gerhard Müller vom 101. Motorisierten Regiment der 18. Panzerdivision und einige andere deutsche Gefangene berichten über einen Sturmangriff der Rotarmisten Ende Juli des Jahres auf einen starken deutschen Stützpunkt im Nordwestabschnitt der Front. Dieser Stützpunkt stellte ein ganzes Befestigungssystem dar, das zwei äußerst sorgfältig befestigte Dörfer mit vielen MG-Bunkern, Verbindungsgräben, besonderen Artilleriestellungen, sechsfachem Drahtverhau und einem breiten Minenvorfeld umfasste.
Ich selbst war am Tag vor dem russischen Angriff, so berichtet der Unteroffizier Gerhard Müller, im Beobachtungsstand. Ich habe nichts Verdächtiges bemerkt. Der Angriff kam für uns ganz überraschend.
Um vier Uhr früh begann ein mächtiger russischer Feuerüberfall aus allen schweren Waffen; zugleich wurden wir von einem wahren Bombenhagel der russischen Stukas überschüttet. Als die Russen das Feuer zurückverlegten und wir die Nase aus den Bunkern herausstecken konnten, da rollten schon die schweren Russentanks heran und bügelten die Reste des Drahtverhaus nieder; Pioniertrupps liefen voraus und entminten das Vorfeld, zugleich mit den Tanks brachen die russischen Schützen mit ihren Maschinenpistolen in unsere Stellung ein. Widerstand war an dieser Stelle des Dorfes zwecklos. Ich suchte also mit meinem Zug durch unseren gut ausgebauten Verbindungsgraben nach dem hoch gelegenen Nachbardorf unseres Stützpunktes zu gelangen.
Aber da kam ein Melder von dort und berichtete, dass die Russen gerade dieses stark befestigte, rückwärts gelegene Dorf zuerst angegriffen und in einem einzigen Anlauf genommen hatten.
Immerhin hat Unteroffizier Gerhard Müller zunächst überlebt auch wenn man nicht weiß, wie es ihm anschließend ergeht.
In Im Höllenfeuer stirbt man langsam von Jan Flieger entfaltet sich eine düstere Atmosphäre voller Schuld, Angst und innerer Zerrissenheit. Die folgende Leseprobe führt mitten hinein in die bedrängende Gedankenwelt von Horstmann zwischen Alpträumen, Misstrauen und der ständigen Furcht vor Verrat.
Es ist gut, dass Helga nicht spricht, dachte er, ich muss wieder zu meiner alten Ruhe finden, ich kann nicht wieder und wieder an diese Nacht denken, ich habe schon ganz anderes hinter mich gebracht, darf mich nicht ständig mit diesem Ereignis rumquälen. Wenn mich aber doch jemand gesehen hat? Kann eigentlich nicht sein, versuchte er sich zu beruhigen. Der Hof hinter der Spielothek war nicht einzusehen, und auf der Straße nach Bad Düben war ihm kein Auto begegnet. Und doch wurde er von einer Unruhe gequält, die nicht weichen wollte, die ihm im Nacken saß, ihm Albträume sandte und die Beziehung zu Helga veränderte, mehr und mehr. Denn da war er, dieser hartnäckige Gedanke, dass Helga eine Gefahr für ihn darstellte, eine tödliche Gefahr, wenn sie ihn an die Russen verriet, um ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Sie war Lebensversicherung und Gefahr zugleich. Aber die Gefahr war wohl größer.
Welch ein wahnsinniger Gedanke!
Aber er war nicht zu verdrängen, hatte ein brutale Logik, setzte sich fest als eine bedrohliche Überzeugung. Helga würde ihn verraten, wenn es um das nackte Leben ging!
Sie schlief tief und fest, atmetete ruhig, ihre Brüste hoben und senkten sich gleichmäßig.
Sein Herz schlug wieder heftig. Die Erinnerung wird verblassen, sie muss verblassen, befahl er sich. Doch vielleicht, wenn ich aus dem Flugzeug steige, vielleicht beobachten sie mich schon. Vielleicht warten sie auf mich, so, als würden sie einen harmlosen Passagier erwarten.
Ein Schauer durchzog seinen Körper. Ich habe die Russen nicht getötet! Ich war es nicht! Niemand war bei mir! Das muss ich mir einhämmern! Die Toten werden mich nicht einholen!
Eine andere Chance habe ich nicht.
Seine Haut brannte am ganzen Körper.
Der Wind heulte vom Meer heran, der Schall zufallender Türen und Fensterflügel hallte durch das ganze Haus, ein endloser Schwall kühler Luft drang durch das offene Fenster herein.
Der Himmel war in Aufruhr, die Wolkenberge schoben sich ineinander und verhüllten den Mond wieder und wieder.
Dann schlief er ein, wachte aber erneut auf und überdachte die Traumfetzen, die in seinem Gedächtnis haften geblieben waren.
Er stand zwei Männern gegenüber, Auge in Auge, und er hörte sich sagen: Ich weiß nicht, wo eure Leute sind.
Die Männer schwiegen. Und sie hatten die gleichen Gesichter. Wie Zwillingsbrüder. Es waren harte Gesichter. Und der eine richtete seine Pistole auf ihn, senkte sie langsam, hob sie an, wieder und wieder ... Dann hielt er sie gerade auf sein Gesicht gerichtet.
O Gott, dachte Horstmann, er schießt mir mitten ins Gesicht.
Er erwachte fröstelnd. Sein Körper war nass von kaltem Schweiß.
Seine Augen suchten die schlafende Helga. Eine Spannung saß in seiner Brust, die ihm den Atem abzuschnüren drohte.
Helga murmelte im Schlaf unverständliche Worte.
Ein Whisky wäre gut, dachte er, aber ich habe keinen. Er roch den Schweiß unter seinen Achselhöhlen.
Er lag wie gelähmt, die Nerven gespannt.
Sein Herz pochte, er hörte, wie der Wind um das Haus strich und raschelnd in die Blätter des wilden Weins fuhr.
Betrunkene stolperten durch die Gasse und grölten ein deutsches Lied mit unendlich vielen Strophen. Horstmann verzog das Gesicht, weil ihn eine unbändiger Wut auf die Sänger erfüllte. Vielleicht Arbeitslose, dachte er geringschätzig, die einen Billigurlaub machen und hier den dicken Max markieren, weil die deutsche Mark so hoch im Kurs steht in diesem Land. Ärsche als Herrenmenschen. Helga hatte recht.
Aber Horstmann ging nicht hinunter auf die Gasse, ließ seine Fäuste nicht auf deren miesen Visagen tanzen.
Er erhob sich, nahm ein Glas, das auf dem Tisch stand und füllte es im Bad mit Wasser, und er trank es langsam, am Fenster stehend.
Die bezechten Männer sangen noch immer.
Warum habe ich denen nicht die Fressen poliert? dachte Horstmann verwundert. In seinem Gesicht bewegte sich kein Muskel.
In Dr. B. - Arzt im Dienst von Roland Kluge entfaltet sich ein vielschichtiges Bild des Alltags, in dem Familiengeschichten, persönliche Erinnerungen und gesellschaftliche Veränderungen eng verwoben sind. Die folgende Leseprobe führt mitten hinein in eine Welt voller Eigenheiten, Traditionen und leiser Konflikte erzählt mit Wärme, Humor und feinem Blick für die Menschen.
Der Garten war Großvaters Refugium. Hier brauchte er keinerlei Rüggsichd off de Läude nehmen. Mit einem Seitenhieb auf Ida nannte er ihn mein wiederjefundenes Paradies. Und er verteidigte dieses Fleckchen Erde gegen unerwünschten Besuch so hartnäckig wie der Engel, den, so hatte es Bärbel in der Bibel gelesen, Gott mit einem feurigen Schwert vor die Paradiesespforte gesetzt hatte. Selbst Großmutter war hier ungern gesehen. Nur Bärbel besaß das Privileg, Großvater jederzeit in seinem Reich besuchen zu dürfen.
Alfred hielt in seinem Garten Eden die Ordnung nur mit lässiger Hand aufrecht. So war es allmählich eine Arche Noah des Unkrauts geworden, sehr zum Ärger der Nachbarn, die deswegen mit Alfred in einen ständigen Kleinkrieg verwickelt waren. Bärbel stand natürlich auf Großvaters Seite und grüßte die Fremden nicht, die sie ihrerseits mit feindseligen Blicken musterten. Aber hinter Alfreds riesiger Brombeerhecke fühlte sie sich sicher.
Es gibt kein Unkraut, hatte Großvater gesagt. Alles hat ein Recht zu leben.
Er ließ sogar einen kleinen Apfelbaum auf dem Laubendach wachsen, dessen Keim, wer weiß wie, dort hinaufgelangt war und der an diesem ungewöhnlichen Standort Wurzeln geschlagen hatte.
Er wird dir das Laubendach kaputtmachen, jammerte lda. Aber Alfred winkte nur verächtlich ab: Dumme Gans. Was verstehst du schon davon.
Und nach einer Weile fügte er hinzu: Er hat da oben sowieso nicht lange zu leben.
Das traf Bärbel schmerzlich.
Sie schlug Großvater vor, das Bäumchen vom Dach zu holen und richtig einzupflanzen.
Alfred dachte eine Weile nach, aber dann winkte er ab: Was wissen wir, wozu das jut is?
Mehr sagte er nicht. Wie sollte man auch einem buckligen Kind erklären, dass der Einfallsreichtum der Natur groß ist, wenn sie sich anschickt, etwas Neues auszuprobieren?
Ganze Nachmittage konnte Großvater im Gartenstuhl ruhend verbringen. Er schien nur auf das Rascheln des Laubs und das Summen der Insekten zu hören. Sein Gesicht wirkte dann ungewöhnlich friedlich. Allenfalls das ferne Quietschen der Kohlebagger, das der Wind gelegentlich herantrug, vermochte diesen Frieden zu stören.
Natürlich wusste Alfred, wie dringend die Kohle gebraucht wurde und dass die Bagger auf der Suche nach ihr keinen Bogen um seinen Garten machen würden. Das war die Entwicklung. Hatte er nicht ein Leben lang für Veränderungen gekämpft?
Wenn er so mit geschlossenen Augen sinnierte, zog eine lange Zeit an ihm vorüber. Sogar einem Kaiser hatte er noch gedient; einem ganz entfernten Verwandten des Flöte spielenden Fridericus. Indes wurde Alfreds Miene abweisend, wenn der Name des Herrlichen-Zeiten-entgegen-Führers fiel: Dem Hohenzollern verdankte er ein eisernes Kreuz, aber auch ein hölzernes Bein. Es lehnte abends etwas absonderlich neben seinem Bett an der Wand. Gelegentlich staubte Großmutter es ab; wobei Großvater schimpfte, weil sie es seiner Meinung nach nicht sachkundig genug machte.
Idas Arbeit fand vor Alfreds Augen selten Gnade. Gerade auch beim Anschnallen des Holzbeins konnte es vorkommen, dass er einen Wutausbruch bekam.
Bärbel glaubte zu wissen, dass es der Groll auf den Kaiser war, dem Großvater auf diese Weise Luft machte. Großmutter schien das auch so zu sehen, aber manchmal weinte sie doch.
Besonders unleidlich wurde Alfred, wenn sich anderes Wetter ankündigte; dann schmerzte sein Beinstumpf. Es zirkuliert noch, Ida, sagte er mit merkwürdigem Lächeln. Das müssense bei mir extra totschlagen. Und er packte Großmutter derb am Arm.
Sie wurde ganz verlegen: Lass doch de Dummheiten, Alfred.
Bärbel, so jung sie war, wusste schon einiges von Großvaters Dummheiten: Sie lagen als vergilbte Fotos in einer Pappschachtel, die Alfred in seiner Gartenlaube aufbewahrte. Die Bilder zeigten einen jugendlichen Großvater in schmucker Uniform, den Schnurrbart verwegen nach oben gezwirbelt. Sein Arm ruhte auf der Schulter junger Frauen, die unter längst aus der Mode gekommenen Frisuren geziert in die Mattscheibe lächelten. Kesse Bienen wären es alle gewesen, mehr erfuhr Bärbel nicht über sie. Auf der Rückseite der Bilder fand sie nur die Namen von Städten: Bromberg, Koblenz, Jüterbog.
Die nicht unbeträchtliche Bildersammlung brach mit einem Foto ab, das den abgemagerten Großvater am Stock zeigte. Bei der hübschen Rotkreuzschwester an seiner Seite handelte es sich unverkennbar um die jugendliche Großmutter.
Zuunterst in der Schachtel lag das Kreuz des Kaisers. Bärbel wunderte sich, dass Großvater es nicht weggeworfen hatte. Alfred grinste bei ihrer Frage und erklärte, dass dieses Kreuz die Garderobenmarke sei, mit der er dereinst vom Kaiser die Rückgabe seines Beins verlangen werde.
Er hatte es 1916 abgegeben, vor Verdun, einer Stadt in Frankreich, wie Bärbel aus dem Lexikon wusste. Dort war Großvater eines sehr frühen Morgens aus dem Schützengraben nach vorn gekrochen, eine Telefonleitung um den Leib gewickelt. Sein Befehl lautete, die französischen Stellungen zu belauschen. Die vor ihm gelauscht hatten, fand er bereits unbeweglich in den verschiedenen Erstarrungen ihres Todes.
Großvater hatte nur ein Bein verloren.
Im Lazarett war er lda begegnet, und so war er in dem sächsischen Städtchen, das er verächtlich Kaff nannte, hängengeblieben. Trotzig hatte er den Dialekt aus seinem Kietz beibehalten: Ick rede janz normal, gab er unwirsch zur Antwort, wenn Großmutter jammerte: Alfred, du gönndesd ooch ma e bisschen Rüggsichd off de Läude nähm..
Das war nun nie Alfreds Art gewesen. Nicht mal, dass der Kaiser von Gottes Gnaden war, hatte ihn besonders beeindruckt: Im November 1918 war er an der Spitze eines Soldatenrates zum Standortkommandanten als dem unantastbaren Vertreter dieses Kaisers gehinkt und hatte ihm nach kurzem Wortwechsel das preußische Exerzierreglement um die Ohren gehauen; das er für völlig überflüssig hielt, nicht nur seines abgeschossenen Beines wegen.
Alfred erkühnte sich hierzu, obwohl ihn der Goldbetresste mit seinem Monokel unheilvoll anblitzte und vom Standrecht sprach. Der hatte nicht wie der Sachsenkönig mit einem Dann macht doch euern Dreck alleene einfach abgedankt.
Aber zum Schießen hatte an diesem hoffnungsvollen Novembertag keiner mehr Lust; nicht mal zum Erschießen. So hatte Alfred den Gewaltigen aus den Gamaschen getreten; wofür er noch heute bei offiziellen Anlässen gewürdigt wurde.
Großvater wurde bei diesen rühmenden Reden immer sehr verlegen; wenn seine innere Bewegung auch meist die Form des Grimms annahm, hinter dem er seine tiefe Rührung über diese späten Würdigungen verbarg. Denn das war nicht immer so gewesen: Einige, mit denen zusammen er den Kaiser gestürzt hatte, waren ihm im Rotfrontkämpferbund davonmarschiert; er gehörte nicht mehr zu den ersten, schon seines Beines wegen. Aber das rettete ihm womöglich das Leben: Gewissen Behörden, die grölend angekündigt hatten, sich für mindestens tausend Jahre zu etablieren, erschien sein Humpeln so beträchtlich, dass er für sie als konspiratives Element wohl nicht in Betracht kam. Was sich später, und auch dafür empfing Alfred Würdigungen, als grobe Irreführung dieser Behörden herausgestellt hatte. Die überhaupt, wie ihr Anführer am Ende mit heiserer Stimme beklagte, schwer enttäuscht vom deutschen Volke waren und sich deshalb einen im wahrsten Sinne des Wortes donnernden Abtritt verschafften.
Als sich der Rauch verzogen hatte, waren Alfreds Meinungen eines frühlingshaften Tages die herrschenden geworden: Auf roten Plakaten hingen sie unübersehbar in den Straßen. Was viele Leute in der kleinen Stadt, die früher den Kopf weggedreht hatten, bewog, Alfred jetzt zuerst zu grüßen.
Er schien darüber wenig erfreut; seine Gefühle pflegten auch in diesem Fall die Form des Grimms anzunehmen. Übrigens dauerte diese devote Phase nur kurze Zeit. Denn Alfred begann, nicht nur seines Beines wegen, bald hinter Beweglicheren zurückzubleiben; denen eine gewisse Lässlichkeit seinerseits, was Unkrautbekämpfung angeht, Ansätze zur Kritik bot. Was Leuten, die einen untrüglichen Sinn für die gebotene Form des Grüßens haben, natürlich nicht lange verborgen blieb: Sie zogen es vor, bei seinem Anblick den Kopf lieber wegzudrehen.
Schon aus Trotz begann daraufhin Alfred, Großmutter sonntags von der Kirche abzuholen; was seine wohlverdiente Pensionierung sehr beschleunigte. Von nun an hatte er freie Hand, nicht nur, was seinen Garten betraf. Und in der kleinen Stadt musste man sich an seine Sonntagsspaziergänge zur Kirche gewöhnen. Inzwischen hätten einige wohl etwas vermisst, wäre es anders gewesen.
Natürlich beachtete Alfred eine gewisse Distanz zum Kirchenportal. Er wartete, bis er im Häuflein der Andächtigen, das sich, geblendet von der Helligkeit des Tages, die wenigen Stufen herabtastete, Idas ansichtig wurde. Pastor Hinze hielt ihre Hand; wohl etwas zu lange für Großvaters Gefühl, er beobachtete es mit sichtlichem Verdruss.
Erst am Schwanenteich taute Alfred wieder auf. Wohlgefällig betrachtete er die Frauenplastik, die sich in der Mitte des Gewässers erhob; sie erinnerte ihn an seinen Sieg über den Schokoladenfabrikanten Tänzer.
Zuzeiten war das der reichste Mann der Stadt gewesen, und dass der junge Doktor Schwemminger seine Tochter samt Reitpferd und Chauffeur verschmäht hatte, verstanden damals nur romantische Naturen; zumal die Gesinnungen des Schokoladenfabrikanten so wohlriechend wie seine Geschäfte schienen (dass sie braun waren, versteht sich fast von selbst).
Als man damals in unmittelbarer Nähe des Schwanenteiches eine Quelle mit eisenhaltigem Wasser entdeckte und sie, dem herrschenden Sprachgebrauch folgend, nicht Eisen-, sondern Stahlquelle nannte, war die Einrichtung eines Kurbades in unmittelbare Nähe gerückt; zumal in einer Zeit, die lautstark von Stahlgewittern schwärmte, das Trinken eisenhaltigen Wassers die rechte deutsche Haltung zu sein schien. Dem schlechten Geschmack des Wassers hätte man mit zugesetztem Brausepulver aus der Tänzerschen Fabrik leicht abhelfen können.
Weitsichtig spendete der Fabrikant die Plastik. Das bewahrte ihn allerdings nicht davor, bald nachdem die Stahlgewitter niedergebrochen waren, von Leuten, die noch weiter als er gesehen hatten, enteignet zu werden: Auch Schokolade, so hatte Alfred argumentiert, kann dazu beitragen, einen verbrecherischen Krieg zu verlängern.
Vielleicht im Zustand gewisser Vorahnungen hatte Tänzer um die Anlage Trauerweiden pflanzen lassen. Die Bänke darunter waren der ruhigste Platz in der kleinen Stadt, und es wäre ein Ort vollkommenen Friedens gewesen, wenn nicht der Wind gelegentlich die Geräusche der Kohlebagger herangetragen hätte, dieses Ächzen, Kreischen und Scheppern, bei dem sich Großvaters Gesicht so schmerzlich verzog.
Großmutter zuckte dabei regelrecht zusammen. Dumme Gans, schimpfte Alfred, aber ohne rechten Nachdruck; mehr aus Gewohnheit, weil Großmutter unmöglich mal recht haben konnte. Und trotzig fügte er hinzu: Aber im Winter, da willstes warm haben! Oder?
Trotzdem war Großvater die Erleichterung anzumerken, als eines Tages zwischen der Grube und seinem Garten Neubauten emporzuwachsen begannen: Helle Häuser, in denen warmes Wasser aus dem Hahn floss, ohne dass man deshalb hätte Kohlen schleppen müssen. Kein Wunder, dass diese Wohnungen Menschen aus nah und fern anzogen.
Bald war die kleine Stadt gar nicht mehr so klein; was sich nicht zuletzt in Dr. Schwemmingers Praxis bemerkbar machte: Frl. Leibhold hatte Mühe, noch einen gewissen Überblick bei den Ursachen der Schwangerschaften zu behalten. Immer häufiger erhielt sie auf ihre amtliche Frage als Antwort die Namen junger Männer aus weit entfernten Gegenden. Darum war es ein richtiger Schock für sie, als ausgerechnet jetzt in der neuen Poliklinik ein junger Facharzt für Gynäkologie zu praktizieren begann, mit modernerem Gerät, als es Dr. Schwemminger in seiner abgewetzten Ledertasche hätte unterbringen können.
Der Doktor schien nicht einmal besonders traurig über diese Schmälerung seiner Rechte zu sein. Nur einmal, als Fräulein Leibhold andeutete, dass Jörg doch sicher die väterliche Praxis weiterführen wolle, hatte der Doktor Mühe, beherrscht zu bleiben. Das hier stirbt mit mir aus, stieß er hervor, ehe ein fürchterlicher Hustenanfall ihn am Weiterreden hinderte.
Fräulein Leibhold litt: Höchst selten wandte sich noch eine langjährig mit dem Doktor vertraute Patientin in delikater Lage an Schwemminger. Das Ausschreiben von Rezepten über Kopfschmerztabletten und Nasentropfen erlaubt keine amtlichen Fragen nach den Ursachen der Ansteckung. Fräulein Leibhold fühlte sich regelrecht vom Leben abgeschnitten; sichtlich begann sie zu kränkeln.
Auch mit der Ruhe im Schwan war es vorbei, unter Bergleuten unterhält man sich nicht wie im Mädchenpensionat. Und der Klare, von ihnen spaßhaft Kumpeltod genannt, trug auch nicht gerade dazu bei, dass sie ihre Stimmen dämpften; zumal die Aktionen des örtlichen Fußballklubs dank hinzugewonnener Spielertalente bedeutend schlagkräftiger geworden waren. Keine Rede mehr von Abstieg; im Gegenteil: Immer häufiger hatte die Stammtischrunde Gelegenheit, mit dem Schlachtruf: Aufwärts, oje! auf ein Siegestor anzustoßen. Grund genug, so manches Glas mit der wasserklaren Flüssigkeit auch zu Alfred, zum Doktor und sogar zum Pastor hinüberzuschieben; der es mit einem Wenn es denn sein muss, liebe Freunde händereibend entgegennahm.
Pastor Hinze versuchte dabei zwar nach Möglichkeit, das Gespräch über theologische Gegenstände rechtzeitig abzubiegen, kam aber bei so viel Freigiebigkeit nicht immer umhin, den Männern, denen der Kumpeltod im Magen brannte, so einfache Fragen wie die nach dem lieben Gott zu beantworten.
Da hatte es der Doktor leichter, sich zu behaupten. Ohne jede Prüderie ging er auch auf die heikelste Frage ein, in der er von einem der Männer im Dämmer der Gaststube halblaut konsultiert wurde. Und zwischen Hustenstößen, die ihn zwangen, gelegentlich die Zigarre aus dem Mund zu nehmen, verkündete er, dass alles, was Spaß mache, letztlich zur Gesundheit beitrage. Mit welcher Maxime er der allgemeinen Zustimmung sicher sein konnte.
Pastor Hinze schwieg hierzu diplomatisch; die zahlenmäßige Übermacht der Heiden erschien ihm wohl zu groß. Um so heftiger wetterte er in seiner Sonntagspredigt wider die zunehmende Sittenlosigkeit: Schon in der Bibel stehe geschrieben, dass die Sünden der Väter bis ins dritte und vierte Glied verfolgt würden; das den Leichtfüßen ins Stammbuch, die einen gewissen Denkzettel salopp als Penisschnupfen abtäten: Meine väterliche Bitte an euch, liebe Kinder: Dass doch ein guter Gesell den anderen warne! Die jungen Narren meinen, wenn sie die Brunst fühlen, muss eine da sein Aber es muss doch nicht alles sogleich abgebüßt sein, wonach einen gelüstet Es kann im Ehstand nicht gleich also zugehen!
Die Art des Pastors, vor den Gefahren der Fleischeslust zu warnen, wirkte überaus plastisch. Bärbel glaubte zu wissen, dass Großmutter in solchen Momenten am liebsten aufgestanden wäre: Herr Basder, Se sin hier nich alleene in dr Kirche; nähmse weenichsdens Rüggsichd off de Kleene!
Aber hier war man gehalten, sich zu benehmen. Und das hieß, so hatte es Bärbel von klein auf bei Großmutter gesehen, seine wahre Meinung lieber nicht preiszugeben. Schlimmstenfalls schlug man die Augen nieder, wenn die Stimme des Pastors vor Entrüstung allzu sehr zitterte. Die Mehrzahl der zumeist älteren Gemeindeglieder schien sowieso nicht ganz zu verstehen; vielleicht, weil die angeprangerten Verfehlungen schon so lange zurücklagen?
Rudi Benziens Berlin, hier bin ich erzählt mit jugendlicher Direktheit und viel Alltagsnähe von Freundschaften, Hoffnungen und ersten großen Gefühlen. Die folgende Leseprobe führt mitten hinein in eine Zugfahrt, die zu einer entscheidenden Begegnung wird voller Erwartungen, Zweifel und der Frage nach dem eigenen Platz in der Stadt.
Durch die Scheibe sah ich, dass Jasmin sich ein paarmal vorbeugte, um nach mir zu sehen. Das konnte natürlich auch ein Irrtum meinerseits sein. Ich fing an, die Telefonmasten zu zählen, die draußen vorbeiflogen. Dabei dachte ich: Sie muss rauskommen, sie kommt raus, sie muss rauskommen, sie kommt raus. Inzwischen hatte ich schon hundert Masten gezählt, aber Jasmin rührte sich nicht vom Fleck.
Noch mal hundert, beschloss ich, wenn sie dann nicht kommt, pfeifst du ab.
Neunundsiebzig , achtzig , einundachtzig
Du kannst dich eine Weile auf meinen Platz setzen, sagte plötzlich eine Stimme neben mir.
Es war Jasmins Stimme. Dreh jetzt nicht durch, Junge, sagte ich mir und wagte nicht zur Seite zu sehen, weil ich fürchtete, dass da keine Jasmin zu sehen war.
Eh, bist du schwerhörig?
Eine Hand berührte meine Schulter. Das konnte keine Fata Morgana sein. Mir wurde sofort klar, dass es die von mir ausgestrahlte hypnotische Wirkung war, die sie hergelockt hatte.
Was ist, willst du dich nicht hinsetzen?, fragte sie wieder.
Ich stehe gern am Fenster, sagte ich.
Deine Kumpels sind ganz schöne Aufdreher, stellte sie sachlich fest, besonders dieser Piepe. Behauptet, er würde Geschichten schreiben. Eine soll sogar schon im Jugendmagazin gestanden haben. Stimmt das?
Bei dem ist das möglich, in dem kann man sich ganz schön täuschen, äußerte ich vorsichtig.
Sag mal, ABC-Deckenlinie, was heißt das eigentlich?, wollte sie dann wissen.
Nicht ABC-Deckenlinie, AC-Deckenlinie heißt das, erklärte ich sachlich, das ist eine Fließstrecke. Wir gießen Deckenplatten aus Beton für die neuen Häuser in Marzahn. AC, das ist nur eine technische Bezeichnung der Herstellerfirma für diese Anlage.
Macht das Spaß?
Was sollte ich darauf antworten? Meine verzwickte Lage konnte ich ihr jetzt kaum erklären. Also sagte ich einfach: Meistens schon.
Und was macht ihr. Was machst du?, fragte ich sie.
Wir sind Kinderkrankenschwestern, noch nicht ganz, im dritten Studienjahr.
Da hatte ich plötzlich eine Idee. Was hältst du davon, wenn wir uns in den Speisewagen setzen?
Ich denke, du stehst so gern am Fenster, spottete sie.
Fünf Minuten später saßen wir im Speisewagen, und als der Zug Punkt zwanzig Uhr neunundfünfzig in Bernau hielt, wusste ich schon allerhand von ihr. Zum Beispiel, dass sie FDJ-Sekretär ihrer Seminargruppe war. Ich erzählte ihr von meinem Kulturplan. Wenn uns einer zugehört hätte, der hätte denken müssen, wir hielten einen Erfahrungsaustausch ab. Und das stimmte sogar fast.
Bei dir ist es einfacher, was zu machen, sagte sie, ihr seid den ganzen Tag über zusammen. Bei uns ist das ein Problem, weil wir uns nur noch einmal im Monat in der Fachschule sehen, sonst arbeiten wir alle in verschiedenen Krankenhäusern und noch dazu in verschiedenen Schichten. Da mach was.
Als ich auf die Uhr sah, wurde mir angst und bange. Mir blieben noch genau siebenundzwanzig Minuten, dann würde der Zug in Berlin-Lichtenberg ankommen, alles aussteigen, der Zug endet hier, sie würde tschüs sagen oder sonst was, und ich würde sie nie wiedersehen. Bei dem Gedanken, dass es so kommen könnte, wurde mir mulmig.
Jasmin sagte: Wir müssen langsam ins Abteil zurück, wir sind gleich da. Sie sah mich dabei an, als würde sie auf was warten.
Jetzt oder nie, dachte ich mir, entweder du bringst eine Verabredung zustande, oder der Rest deines Lebens wird traurig dahinplätschern. Als sie aufstand, fasste ich sie am Arm. Setz dich noch mal hin. Ich fände es gut, fing ich umständlich an, wenn wir uns bald wiedersehen würden. Sie schwieg und sah mich nur an. Und ich, der Hellseher, konnte aus ihren Augen nicht herauslesen, wie sie zu meinem Vorschlag stand. Aber ich hielt ihrem Blick stand und sagte in Gedanken immerzu: Du musst ja sagen, du musst ja sagen
Ich denke, wir sollten uns wirklich , sagte sie. Morgen, morgen Nachmittag?, fragte ich.
Warum nicht, und wo?
Am Alex vielleicht, schlug ich vor, und mein Herz schlug wie ein Presslufthammer.
Was wollen wir in der Stadt bei dem Wetter. Treffen wir uns lieber in Köpenick auf der Schlossinsel, um zwei an der Holzbrücke.
Ich war einverstanden. Die kannte ich.
Wir gingen zurück in unsere Abteile. Die Mädchen zerrten ihre Taschen aus den Gepäcknetzen, Eule und Günter griffen wie echte Kavaliere zu. In unserem Abteil spielten Eddi, Bernhard und Sigmund noch immer Skat.
Mann, ist dieser Sigmund ein Schlitzohr. Der spricht nicht nur polnisch, der spielt dir Skat wie ein Weltmeister, sagte anerkennend Eddi und sammelte die Karten ein.
Sigmund strahlte.
Auch Günter und Eule schienen zufrieden zu sein.
Die Sache mit Szczecin, das war keine schlechte Idee von dir, Detlef, wirklich, das muss ich zugeben, sagte Eule und klopfte mir anerkennend auf die Schulter.
Was heißt, seine Idee? Ich habe das mit Szczecin vorgeschlagen, protestierte Günter.
Auf dem Bahnsteig sah ich Eule die Gitarre tragen und mit dieser Petra abschwirren, Günter trug die Tasche eines Mädchens, das sich bei ihm untergehakt hatte.
Bernhard sagte: Eddi, ich fahre dich noch schnell zu deiner Fete. Und du, Sigmund, du kannst auch mitkommen, ich setze dich zu Hause ab.
Ich hatte zwar eine feste Verabredung, aber irgendwie kam ich mir auf einmal verlassen vor. Jasmin war schon die Treppen hinunter. Erst vor dem Bahnhof sah ich sie noch einmal, und ich sah, wie sie in einen Wartburg stieg. Das hätte ich noch verkraften können, aber dass sie dem Mann am Steuer einen Kuss gab, und es war ein junger Kerl, das war ein Messerstich ins Herz. Der Motor heulte auf, und weg waren sie. Für mich stand fest, dass sie nicht zur Verabredung kommen würde.
Erst wollte ich mir ein Taxi nehmen, um ins Wohnheim zu fahren, ich ging dann aber zu Fuß, den Kopf voller trüber Gedanken. Mir schien, dass ich in Berlin kein Glück bei Mädchen hatte. Erst die Sache mit Silke, dann eine Weile gar nichts, und nun Jasmin. Warum war sie auf eine Verabredung eingegangen, wenn sie einen Freund hatte? Versteh einer die Weiber!
Zu Hause fand ich einen Zettel von Matthias. Auf mich musst Du heute nicht warten. Ich treffe mich mit Thea (dem Mädchen aus dem Theater). Es wird spät werden. M.
Als ich das las, fiel mir gleich wieder Jasmin ein. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie sie in der Abteiltür gestanden und mit Eule diskutiert hatte, sogar ihre Stimme glaubte ich zu hören. Ich versuchte, mir einzureden, dass der Mensch im Wartburg vielleicht ihr Bruder war. Aber küssen Mädchen in diesem Alter ihre Brüder?
Mir fiel Vera ein, aber da passierte, was immer geschah, wenn ich an sie dachte: Nicht an die Tage mit ihr erinnerte ich mich, sondern an die Nächte. Trotzdem, wäre eine Fee durchs Fenster geflogen gekommen und hätte gesagt, mein armer, trauriger Detlef, ich zaubere dich, wenn du willst, innerhalb von viereinhalb Sekunden nach Wurzelstedt in das Zimmer in der Bahnhofstraße Nummer zehn, da wäre ich nicht dagegen gewesen. Aber es kam keine Fee.
Rudi Benziens Schwester Tina erzählt vom Leben junger Frauen zwischen Beruf, Liebe und Selbstbehauptung. In der folgenden Leseprobe gerät Tina in eine Situation, die sie zwischen Treue, Versuchung und ihren eigenen Gefühlen schwanken lässt ein Moment, der viel über ihren Charakter und die Herausforderungen ihrer Zeit verrät.
Die Mädchen gingen die lange Hauptstraße entlang zum Bahnhof, in dem gemütlichen Restaurant gab es keinen freien Platz, aber im Garten, wo Tische und Stühle standen. Sie setzten sich, bestellten eine Weiße mit Schuss, plötzlich ertönte Musik, irgendein alter Smokie-Titel. Vom Garten aus ging es in einen Saal.
Komm, bloß mal sehen, sagte Anita.
Warum nicht, sagte Tina. Sie überlegte, wann sie eigentlich das letzte Mal tanzen gewesen war. Sie musste eine Weile überlegen, bis sie daraufkam, dass es im letzten September gewesen war, noch vor Franks Einberufung zur Armee.
An welchen Tischen noch Platz war, konnten sie nicht feststellen, weil die meisten Leute auf der Tanzfläche waren. Sie blieben an der Tür stehen.
Mann, das ist ja wie in alten Zeiten, da kriege ich gleich Lust Wollen wir?, fragte Anita.
Tina wollte nicht, aber Anita ließ ihr keine Ruhe, sie zog sie in die Mitte der Tanzfläche und fing an, vor Tina zu tanzen. Tina blieb nichts anderes übrig, als sich auch tänzerisch zu bewegen. Etwas aus der Übung war sie, doch nach ein paar Takten Musik liefen ihre Bewegungen synchron mit dem Rhythmus. Plötzlich schoben sich zwei junge Männer zwischen Tina und Anita und drehten sich so, dass jeder einem der Mädchen gegenüberstand. Tina sah zu Anita, die driftete mit ihrem unerwarteten Tänzer langsam ab.
Was soll das?, fragte Tina und hörte auf zu tanzen.
Sie werden es nicht glauben, ich hab den ganzen Abend auf Sie gewartet. Er strahlte, als er das sagte.
Das soll wohl ein Witz sein, sagte Tina ziemlich unfreundlich, wollte sich umdrehen und weggehen.
Der junge Mann hielt sie am Arm fest.
Tun Sie das nicht, wenn Sie mich jetzt stehenlassen, kostet mich das eine Flasche Sekt. Wir haben gewettet, die anderen waren sich sicher, dass Sie mir einen Korb geben würden. Wenn Sie jetzt gehen, habe ich verloren.
Es ist nicht sein Gesicht, das strahlt, seine Augen sind es, stellte Tina fest. Langsam begann sie sich wieder im Rhythmus der Musik zu bewegen.
Aber diesen Tanz nur zu Ende, sagte Tina.
Akzeptiert, sagte er.
Tina vermied es, in seine Augen zu sehen, da war etwas drin, was sie beunruhigte.
Als der Tanz vorbei war, nahm er ihren Arm und fragte: Darf ich Sie zu einem Glas Sekt an die Bar einladen?
Dürfen Sie nicht, sagte Tina, es sollte unfreundlich klingen.
Wo darf ich Sie hingeleiten?, fragte er.
Wir sitzen draußen.
Als er sie bis zum Saalausgang begleitet hatte, sagte Tina: Danke, ließ ihn stehen und ging in den Garten bis zu dem Tisch, wo die beiden Weißbiergläser standen. Es dauerte eine Weile, bis Anita auftauchte.
Komm, ich hab drin Platz gefunden für uns, sagte sie.
Doch nicht etwa an dem Tisch von denen, die eben mit uns getanzt haben?, fragte Tina.
Ein paar Tische weiter, da sind gerade welche gegangen, sagte Anita. Der, mit dem du getanzt hast, das ist genau der Typ, bei dem mir die Knie weich werden. Bist n Glückspilz, Tinalein, stellte Anita nicht ohne Neid fest.
Ich schenk ihn dir, sagte Tina.
Nichts gegen Treue, Tina, ehrlich, aber deshalb musst du doch nicht gleich achtzehn Monate wie ne Nonne leben, sagte Anita.
Und dein Mann?
Was hat der denn damit zu tun?, fragte Anita.
Na, als er bei der Armee war, hast du da ?
Ja, hab ich, ich bin tanzen gegangen, aber mit keinem ins Bett, wenn du das meinst, sagte Anita.
Ihr Disput wurde unterbrochen. Ein Kellner kam, stellte zwei Glas Sekt auf den Tisch. Von den Herren dort, er zeigte zu den Jungen, mit denen sie getanzt hatten, sehr zum Wohle.
Was machen wir nun?, fragte Tina.
Du stellst vielleicht Fragen, sagte Anita, hob ihr Glas und prostete den jungen Männern zu.
Tina nahm ihr Glas, sah mit kühler Miene in die gleiche Richtung und trank.
Die Band fing wieder an zu spielen. Anitas Tänzer kam. Anita schritt mit ihm zur Tanzfläche.
Tina saß und starrte vor sich hin, sie erwartete, dass auch ihr Tänzer jeden Moment erscheinen würde, und überlegte, wie sie ihn abfahren lassen könnte.
Gestatten Sie?, sagte eine Stimme neben Tina. Ohne hinzusehen, wusste sie, wer das war. Sie war froh, dass er doch noch gekommen war. Er sagte: Gestatten Sie, dass ich mich zu Ihnen setze? Denn tanzen werden Sie ja nicht wollen. Und schon saß er ihr gegenüber. Tina wusste nicht, was sie sagen sollte. Schlimmer noch, sie wusste nicht, wo sie hinsehen sollte. Verstehen Sie das mit dem Sekt bitte nicht falsch, das sollte kein plumper Annäherungsversuch sein, sondern mein bescheidener Dank dafür, dass Sie mir geholfen haben, meine Wette zu gewinnen.
Na schön, sagte Tina und vermied es, ihn anzusehen. Augen hat er, dachte sie, die strahlen nicht nur, die sprühen Funken, und wie er redet, eine weniger starke Natur als ich, die würde auf der Stelle Feuer fangen. Sie griff mit der linken Hand zum Sektglas, mit der linken deshalb, damit er den Verlobungsring sehen musste. Er sah ihn und lächelte.
In festen Händen sozusagen, sagte er.
Verlobt!, sagte Tina und nippte an dem Sekt.
Darf ich mal raten?, fragte er.
Wenns Ihnen Spaß macht.
Ihr Verlobter ist Soldat?
Richtig, der Kandidat erhält drei Punkte, sagte Tina, und gleich ärgerte sie sich ein bisschen, weil es zu freundlich klang.
Pluspunkte?, fragte er.
Bilden Sie sich bloß nichts ein, antwortete Tina abweisend. Sie wehrte sich mehr gegen sich selbst als gegen diesen Menschen, der ihr gegenübersaß.
Ich habe das Gefühl, Sie wollen nicht mit mir reden.
Da täuscht Sie Ihr Gefühl nicht, sagte Tina und lächelte mehr, als gut war.
Wenn das so ist, schlage ich vor, wir tanzen, ist sowieso gleich vorbei, die Runde, sagte er und erhob sich.
Tina stand auf, ging mit ihm zur Tanzfläche.
Während sie tanzten, sie seine Hände an ihrem Körper spürte, was ihr nicht unangenehm war, dachte sie: Was ist schon dabei. Das ist so harmlos, dass ich es sogar Franki erzählen kann, ohne dass er mir Vorwürfe machen könnte.
Als das Musikstück zu Ende war, begleitete sie der junge Mann zurück an den Tisch, wo schon Anita mit ihrem Tänzer saß. Einen Moment lang herrschte Schweigen. Anita wechselte mit Tina einen vielsagenden Blick.
Ich heiße Dietmar, interessiert vielleicht keinen, sagte der, mit dem Tina getanzt hatte, aber anstandshalber. Er sah Tina erwartungsvoll an. Sie schwieg.
Tina heißt sie, ich Anita.
Dietmar stellte seinen Freund vor: Das ist Theo, eigentlich Theodor, das hört sich aber sehr altmodisch an.
Anita kicherte, Tina bemühte sich, ein eisiges Gesicht zu zeigen.
Anita stand auf. Wir kommen gleich wieder, sagte sie. Tina wusste zwar nicht, was das sollte, folgte aber Anita.
Was soll das alles?, fragte Tina, als sie vor dem großen Spiegel im Toilettenvorraum standen.
Wir müssen uns einigen, wie es weitergehen soll.
Wir gehen zurück, sagen Auf Wiedersehen und gehen nach Hause. Ich sogar allein.
Als ich dich so tanzen sah, hatte ich aber ein anderes Gefühl, sagte Anita.
Hat dich dein Gefühl getäuscht, so was soll es geben.
Also wir gehen nach Hause?, fragte Anita.
Ich gehe, sagte Tina mit Bestimmtheit.
Ist vielleicht wirklich besser, sagte Anita.
Als die Mädchen zurückkamen, stand eine Flasche Sekt auf dem Tisch. Anita sah Tina fragend an.
Dietmar goss die Gläser voll, Anita setzte sich.
Wollen Sie stehen bleiben?, fragte Dietmar und sah Tina an. Da setzte sie sich auch.
Eigentlich wollten wir gehen, sagte sie, aber wenn die Flasche auf meine Rechnung geht, dann bleiben wir noch, bis sie leer ist.
Akzeptiert, sagte Dietmar.
Eine neue Tanzserie begann. Dietmar forderte Anita auf, Theo tanzte mit Tina. Während des Tanzes fiel Tina auf, dass Dietmar und Anita unentwegt miteinander redeten. Möchte mal wissen, was die da andauernd reden, dachte Tina. Sie tanzte lustlos mit diesem Theodor.
Arbeiten Sie auch im selben Krankenhaus wie Ihre Freundin?, fragte er. Hat sie also schon allerhand ausgequatscht, dachte Tina.
Nein, log Tina, wir zwei kennen uns aus der Schulzeit, wir arbeiten nicht zusammen.
Ach so, sagte Theodor und schwieg dann bis zum Ende der Tanzserie. Wieder am Tisch, winkte Tina den Ober an den Tisch und bezahlte die Flasche Sekt.
Sie wollen wirklich schon gehen? Die Flasche ist noch nicht leer, sagte Dietmar.
Tina stand auf.
Wir haben morgen Frühdienst, sagte Anita entschuldigend, Tina funkelte sie böse an.
Als Tina Dietmar die Hand reichte und er sie ansah, lief es ihr warm über den Rücken. Es ist höchste Zeit, dass wir gehen, dachte sie.
Draußen fragte Anita: Warum hast du mich eigentlich so angefunkelt, als ich gesagt habe, dass wir morgen Frühschicht haben?
Weil du zu viel redest, ich möchte nicht wissen, was du noch alles ausgequatscht hast, sagte Tina.
Gleich zweimal ist in diesem Newsletter im Zusammenhang mit dem Leipziger Schriftsteller Jan Flieger von der zu DDR-Zeiten bekannten und beliebten Krimi-Reihe DIE des Verlages Das Neue Berlin die Rede. Die drei Großbuchstaben stehen für Delikte, Indizien, Ermittlungen.
Zu den Autoren gehörten namhafte Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Fritz Erpenbeck, Horst Bastian und Dorothea Kleine und Gert Prokop sowie Tom Wittgen wobei dieser Autor trotz des männlich klingenden Namens gar kein Autor war, sondern eine Autorin. Hinter dem Pseudonym Tom Wittgen verbarg sich die 1932 in Wittgendorf (!) bei Chemnitz geborene Ingeburg Siebenstädt. Sie absolvierte ein Germanistikstudium in Leipzig und Berlin und war danach als Reporter-Redakteur bei Radio DDR tätig. Später arbeitete sie mehrere Jahre als Lektorin im Verlag Das Neue Berlin, speziell auf dem Gebiet der Kriminalliteratur, und ab 1970 als freischaffende Autorin.
Unter ihrem Autorennamen Tom Wittgen veröffentlichte Siebenstädt mehrere Blaulicht-Erzählungen. Es folgten Kriminalromane wie Der zweite Ring, Intimsphäre, Das sanfte Mädchen und Das Schwarze-Peter-Spiel in der DIE-Reihe des Verlages Das Neue Berlin, in der auch die meisten anderen ihrer Kriminalromane erschienen. Außerdem war sie als Drehbuchautorin (Polizeiruf 110) tätig, schrieb verschiedene Abenteuerromane und Kinderbücher. Viele ihrer Kriminalromane erreichten vor der Wende eine Auflagenhöhe von mehr als 100 000 Exemplaren und wurden in Ungarn, Polen, der ČSSR und der UdSSR veröffentlicht.
Siebenstädt galt als die Agatha Christie der DDR und war die erfolgreichste Krimiautorin der DDR. 1994 zeichnete sie die Autorengruppe deutsche Kriminalliteratur DAS SYNDIKAT für ihr Lebenswerk mit dem Ehrenglauser, dem Krimi-Oscar der Zunft, aus. Seit 2002 lebt die Ruheständlerin in der Nähe von Potsdam. Mit ihren Romanen um den Kommissar Simosch wurde sie nach der Wende zu einer der erfolgreichsten Krimiautorinnen Deutschlands.
Der Verlag Das Neue Berlin war 1946 in Berlin W 8 gegründet worden und in der Friedrichstraße 81/82 (1969: 108 Berlin, Kronenstraße 7374) ansässig. In der DDR verlegte er belletristische Literatur. Der 1993 neu gegründete Verlag gehört heute zur Eulenspiegel Verlagsgruppe. Und vielleicht schauen Sie mal in den einen oder anderen Titel der DIE-Reihe rein. Es dürfte sich lohnen
Mehr zu dieser Reihe ist im Internet zu finden unter https://www.eulenspiegel.com/verlage/das-neue-berlin/krimi-die-reihe.html?start=20
Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Der nächste Bücherversand wird trotz allerlei bekannter Bau-Schwierigkeiten wieder mal per Bahn verschickt. Ob wohl alle Pakete dennoch rechtzeitig an ihre Bestimmungsorte kommen?
Zu den fünf Sonderangeboten des nächsten Newsletters gehört ein weiteres spannendes Buch des Leipziger Schriftstellers Reinhard Bernhof, die erstmals 2017 im Leipziger Literaturverlag erschienene Unbekannte Reise nach Irkutsk. Eine Nachbetrachtung. Dieser Text ist eine literarisch dichte, autobiografisch gefärbte Nachbetrachtung einer DDR-Dienstreise nach Sibirien im Jahr 1978.
Reinhard Bernhof nimmt die Leser mit auf eine faszinierende Reise in das sowjetische Irkutsk, mitten hinein in eine fremde Welt zwischen Propaganda, Gastfreundschaft, spiritueller Tiefe und stillem Zweifel. In seinem poetischen und zugleich scharfsinnigen Stil reflektiert er über Begegnungen, Geschichte und die ideologischen Brüche seiner Zeit. Zwischen Baikal, Bratsk und sibirischer Steppe entsteht ein vielschichtiges Panorama von Menschen und Orten, das sowohl vom utopischen Glanz als auch vom realen Zerfall durchzogen ist - ein ebenso nachdenkliches wie unterhaltsames Zeugnis einer vergangenen Epoche.