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Auf dem Weg erzählte Judith ihm die Geschichte ihres Bruders. Was hatte dem Bruder die Taufe genutzt? In der Kaserne gelte er dennoch als Itzig, dazu war er schwächlich und ängstlich. Der Reichtum des Vaters war bekannt. Zur Rassenverachtung kam der Neid der armseligen Rekruten, Feldwebel, Offiziere.
Es wäre doch ein leichtes für Ihren Vater gewesen, ihn vom Dienst freizukaufen?
Das Mädchen nickte. Gerade das wollte ihr Vater nicht. Mit dem Eintritt des Sohnes als Freiwilliger in die Armee erhoffte er sich die ersehnte Gleichberechtigung in der Bremer Bürgerschaft.
Plötzlich zügelte der Kutscher die Pferde. Entsetzt sahen beide, dass eine Abteilung der Bremer Wachmannschaft ein Haus umstellt hatte. Judith brach in Jammern aus. Zu spät. Sie haben ihn gefunden.
Friedrich sprang aus der Kutsche. Gerade wurde der Deserteur in Ketten aus dem Haus geführt. Der Junge erkannte ihn. Helfen Sie mir, Herr Engels! Friedrich richtete ein paar tröstende Worte an ihn, bevor Soldaten den Gefangenen weiterrissen. Er sah als letztes den angstvollen, verzweifelten Blick des Jungen.
Friedrich hielt das Mädchen, das die Kutsche verlassen hatte und ihrem Bruder nachlaufen wollte, zurück. Gebrochen sank sie in seine Arme.
Ein furchtbarer Verdacht stieg plötzlich in Friedrich auf. Judiths Verlobter, ein adliger Offizier ...? Haben Sie Ihrem Verlobten das Versteck Ihres Bruders preisgegeben?
Das Mädchen stutzte. Empörung, Entsetzen spiegelten sich auf ihrem Gesicht. Sie glauben doch nicht, dass Harald, der edelste Mensch, sein Wort gebrochen hat?
Also kannte er das Versteck.
Judith löste sich heftig von ihm. Was hat er Ihnen getan? Warum denken Sie so gemein über ihn?, schrie sie. Er versuchte, sie zu beschwichtigen. Aber ihr Anfall steigerte sich dadurch nur noch mehr. Lassen Sie mich in Ruhe! Lassen Sie mich! Wie besessen rannte sie zur Kutsche.
Friedrich blickte ihr nach. Unsicher wandte er sich ab. Allein ging er zu Fuß zurück in die Stadt. Sein Herz war von Mitleid und Selbstvorwürfen erfüllt. Judith - das schöne Judenmädchen - und ein junger blonder adliger Offizier ... In tiefer Liebe zueinander verstrickt, aber unglücklich, denn doppelte Schranken verhinderten ihre Vereinigung, die des Standes und die der Religion. Unglück drohte dem liebenden Herzen des Mädchens, Verzweiflung. Da entschloss sich der Vater, der das Verhängnis spürte, zum Äußersten. Bis dahin ehrwürdiger, gläubiger Patriarch, trat er mit seiner Familie zum Christentum über ... Aber um das Glück der Tochter zu retten, musste noch ein weiteres schreckliches Opfer gebracht werden. Der schwächliche Sohn musste als Freiwilliger zu den Soldaten ... Der Tragödie vierter Akt begann, eines Lessing, eines Shakespeare, eines Racine würdig. Und ich, ein bäurischer Tölpel, wittere Unrat, Berechnung, Verrat ... Ich werde ihr schreiben. In bittersten Worten werde ich mich anklagen und um Verzeihung bitten!
Tagelang schlug er sich mit diesem Vorhaben und seiner Zerknirschung herum. Bis er eines Nachmittags, aus dem Kontor heimkehrend, in die Martinigasse einbog. Vor der Kirche stand eine prachtvolle Hochzeitskutsche. Blumenmädchen bestreuten die Treppe. Ein Teppich war ausgerollt. Eine Kapelle spielte. Damen in festlichen Kleidern, Herren im Frack und in Uniform. Aus dem Portal des Rathauses trat mit weißem Brautschleier Judith. Da erstarrte Friedrich. Der Mann an Judiths Arm ..., das blasierte Gesicht des Offiziers aus dem Ratskeller!
Was wollen Sie, höhnte Maler Feistkorn, der neben ihn getreten war. Kotbek und seine Sippschaft sind bis zum Hals verschuldet. In der Familie des jüdischen Wucherers aber sind alle ehrliche Christenmenschen geworden. Geld und Adel. Eins stinkt dem anderen nicht. - Und der Sohn? - Der alte Goldstein hat sich offiziell von ihm losgesagt. Wie man hört, wurde er begnadigt.
Es brauchte ein paar Sekunden, bis Friedrich diese Geschichte verdaut hatte, dann lachte er, laut, sarkastisch, mit Tränen in den Augen.