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Am zweiten Samstag nehme ich mir vor, raus nach Mbare zu radeln. Einmal quer durch die Innenstadt mit ihren Schachbrettmusterstraßen und über die Bahnlinie hinweg, die mit ihrer Faktizität aus Eisen, Schotter, aufgeschütteten Dämmen und Unterführungen das City Center von den Stadtteilen im Süden trennt
Die Sam Nujoma runter bis zur Robert Mugabe ist noch alles so, wie ich es von anderen Innenstädten gewohnt bin: geordnet und durch Ampelschaltungen getaktet, nicht übermäßig laut und nicht übermäßig feinstaubbelastet.
Feinstaubbelastet. Ziemlich lächerlich, Harare mit so einem Wort zu kommen. Meine nordhalbkugeligen Welterkundungsmuster versuche ich abzulegen, so gut und je weiter in Richtung Mbare es geht.
Auf einer der Ostwestachsen erwische ich die falsche Abfahrt, eine zu früh. Die Taxibusse qualmen mich ein, aus den Läden rechts und links von der vierspurigen Fahrbahn dröhnen Amplifier um die Wette, und ja: ich werde angehauen, angehupt und angerufen, sicher auch angemacht. Nachher, als ich zurück in meiner Wohnung bin, bemerke ich den kleinen Klecks Scheiße, den mir irgendwer auf den Knöchel meiner linken Hand gestrichen hat. Vermutlich beim Fahrradnahkampf auf der Cameron Street, schon auf dem Rückweg, als auf einmal nichts mehr ging und alles stillstand, ein heillos verwirrtes Knäuel aus Blech und Passanten.
Ich hieve das Mountainbike auf der Hatfield Road über den Bordstein, der die Fahrbahnen voneinander trennt, und strample zurück Richtung Norden, wieder unter der Eisenbahn hindurch und ins Gewimmel hinein. Dann erwische ich die richtige Ausfallstraße, Richtung Südwest.
Ein halbes Dutzend Ladekabel für Mobiltelefone, sehe ich im Vorbeiradeln, bietet ein Straßenhändler an. Keine Sau hat so einen Bedarf: an Ladekabeln ja, vielleicht einer aus Zehntausend, aber nie und nimmer gibt es eine Nachfrage für gleich sechs auf einen Schlag. Die sechzigtausend Säue, die solch einen Bedarf haben mögen, kommen hier nicht vorbei. Und wenn doch, decken sie sich nebenan ein, oder bei dem an der Straßenecke weiter oben. Auf seiner Ware wird der Mann lange sitzen bleiben.
Aber geht es darum? Geht es tatsächlich darum, Umsatz zu machen? Oder sind die Ladekabel die Lizenz, um auf der Straße zu sein: das Alibi, das man halt braucht? Doch, genau das sind sie: die Lizenz zum Dasein, zur Teilhabe am Harare von diesem Tag, heute.
Laut ist es, verstörend und einschüchternd, von überall dröhnen wieder die Amplifier, die in den Läden stehen, den Eingängen. Ich nehme Harare durch die Ohren wahr. Ganz banal und unerwartet durch die Ohren und nicht etwa durch die Nase. Dort, in der Sinnregion Geruch, dominieren nach wie vor die Abgase. Das, was viel weiter nördlich der Feinstaub heißt.
Ich mache mich an Mbare ran. Denke ich. Die Straßenhändlerdichte nimmt zu, mir sticht der Karrenverkauf von Bananen ins Auge, 20 $ das Kilo. Der übliche Nachtmittagspreis, merke ich später, zum Sonnenuntergang hin wird das Pappschild umgedreht und dann steht da nur noch 14 $, oder zehn. Ich fahre im kleinen Gang eine Ausfahrt hinunter, auch die ist gesäumt von kleinen informellen Verkaufsständen. Ein einziger, den Remembrance Drive entlang gezogener Markt: scheinbar absichtlich verjüngt sich der Straßenmarkt aus der Perspektive des Fahrradfahrers auf die Tribünen des Stadions zu. Dahinten. Obwohl heute gar kein Ligaspiel ansteht, sondern erst morgen: Dynamos F.C. gegen Tripple B. Aber was ist schon ein Fußballspiel in der simbabwischen Premiere League gegen die mit jedem Sonnenaufgang zu ergatternde Teilhabe an diesem Tag, heute, in Harare?
Nicht viel. Eigentlich nichts.
Ich radele um das Stadion herum, schieße ein paar Fotos, vom Fahrrad aus. Ohne abzusteigen. We want fair elections an der Rückseite der VIP-Tribüne, daneben die rostigen turnstiles, die Drehkreuze und engen Eingangstore in den simbabwischen Landesfarben. Der Markt und Mbare sind um mich herum, haben mich aber nicht in sich aufgesogen. Wie auch, wenn ich meinen Arsch lieber auf dem Sattel halte, als abzusteigen.
Ich merke es und fahre zurück in den Markt mit Namen Remembrance Drive. Hier halte ich an und denke auf einmal an Köln. Meinen Weg zum Stadion durch den Grüngürtel von Köln, x-mal mit dem Fahrrad gefahren. Die Händler, die mir ausgerechnet mit Baseballkappen kommen, bemerke ich kaum. Ich bin in Gedanken in Köln, beim Fußball.
Und möchte gerne beim Fußball zuschauen, morgen. Hier in Harare. Jetzt überlege ich, ob ich das hinbekomme. Das going native auf den Tribünen, wenn es sowas gibt. Die Völkerverständigung über den Sport, von dem die FIFA
Ach komm, hör auf. Und sei ehrlich. Du kriegst es auf deinem Fahrrad nicht hin, und morgen wirst du auch fehlen bei deinem selbstausgerufenen Völkerverständigungs-Ausflug.
In der Cameron Street wird der Verkehr dichter und dichter. Taxibusse kommen zum Stillstand und hupen sich an. Das ist normal hier, doch selbst jetzt gehe ich, der ich die Zickzackkurven um die Busse ganz gut hinkriege, nicht aus dem Sattel. Längst habe ich meine Wiederankunft in der Wohnung im Kopf, von wo aus ich die Second Street alias Sam Nujoma runter losgeradelt war mit der, wie ich jetzt weiß, schwachsinnigen Idee eines going native für einen Tag im Kopf. In Harare. Wo sich andere jeden Tag danach strecken müssen, an diesem Tag teilhaben zu dürfen.