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Die Überstunden – geheime Rebellion am 1. Mai von Friedrich Wolf
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Preis E-Book:
0.99 €
Veröffentl.:
01.10.2024
ISBN:
978-3-68912-291-1 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 22 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Politik
Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Arbeiterklasse, Arbeitermoral, Drittes Reich, Fabrikarbeiter, Fluchtpunkt, Flugblätter, Gewerkschaften, Hitler, Klassenkampf, Mai-Feier, Nationalsozialismus, NS-Regime, Papierfabrik, Propaganda, SA und SS, Sabotage, Überstunden, Widerstand, Wirtschaftskrise, Zwangsarbeit
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K. W. Borchart, der Generaldirektor der Norddeutschen Papierfabriken AG, musste eine süße Miene machen zu dem Spiel. Gewiss, er verstand, dass Hitler in den ersten Wochen nach der Machtergreifung den deutschen Arbeitern neben den Hieben auf den Schädel zugleich etwas Zucker gab. Peitsche und Zuckerbrot, das ist eine bewährte Methode. Aber diese letzte Verfügung des Führers ging dem Generaldirektor Borchart doch etwas über die Hutschnur.

Hitler erklärte 1933 den 1. Mai zum „Festtag der Arbeit“. Genau jenen 1. Mai, den bisher auch „die Roten“ gefeiert hatten! Fühlte man sich schon so stark, dass man Erinnerungen nicht fürchtete? Wollte man hiermit jeder verbotenen Feier und geheimen Kundgebung von vornherein den Wind aus den Segeln nehmen? Glaubte man dies der Nationalsozialistischen „Arbeiterpartei“ schuldig zu sein? Zum Glück hatte die Verfügung ein Fuchsloch, einen Notausgang. Es hieß: Alle für die Wirtschaft unbedingt lebenswichtigen Betriebe können einen Teil der Belegschaft weiterarbeiten lassen.

Die Norddeutsche Papierfabriken AG hatte natürlich wie jede Papierfabrik eine Anzahl dringender Aufträge, darunter einige terminliche Auslandsorders nach der Schweiz und nach Dänemark. Auch forderte die deutsche Tagespresse ihre tägliche Belieferung. Es lag also – wenn man wollte – ein lebenswichtiges Interesse der deutschen Wirtschaft vor. Generaldirektor Borchart wollte. Er ließ als Führer des Betriebs einen Anschlag ankleben, dass ein Drittel der Belegschaft in der Kocherei, an den Presswalzen und den Trockenmaschinen im Interesse der deutschen Gesamtwirtschaft auch am 1. Mai weiterzuarbeiten habe. Die Arbeit werde als Überstunden gewertet.

Auf diesen letzten Satz war Generaldirektor Borchart direkt stolz. Dieser Satz war gradezu eine Edelmannsgeste.

 

Die Mehrzahl der Arbeiter verstand aber offenbar die großartige Geste sehr wenig. Die Arbeiter wollten am 1. Mai nicht in den Betrieb. Ob man dann zu der offiziellen Maifeier ging oder zu Haus blieb, das war eine zweite Frage. Die Hauptsache: Der 1. Mai war der 1. Mai!

Es entstanden lebhafte Diskussionen. Eine Gruppe der Arbeiter meinte, man müsse grade mit Hilfe der neuen Verfügung Hitlers dem Direktor seinen „Herr-im-Haus“-Standpunkt gründlich austreiben! Jetzt sei dazu eine großartige Gelegenheit! Einige Mitglieder der SA gingen sogar so weit zu fordern, dass man Borchart anzeigen und vor ein Volksgericht stellen müsse wegen Sabotage des Führerbefehls. Eine dritte Gruppe aber war der Ansicht, man solle ruhig arbeiten und sich die „Überstunden“ bezahlen lassen. Diese dritte Gruppe wurde von den andern der Prinzipienlosigkeit, der Feigheit, der „Arschkriecherei vor dem Prinzipal“ beschuldigt. Der SA-Mann Wernicke meinte mit einem Blick auf Hein, den Vorarbeiter an der Presswalze, vielleicht wollten sich einige auch vor dem Fest der Arbeit und dem Aufmarsch auf diese Weise drücken?

Die Überstunden – geheime Rebellion am 1. Mai von Friedrich Wolf: TextAuszug