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Eineinhalb Millionen Arbeiter, Bauern und Rotarmisten marschieren in acht Stunden über den Roten Platz. 1932
Sechs Uhr früh. Es ist noch dunkel, aber ganz Moskau ist schon auf den Beinen. Nur wenige Trams fahren noch bis sieben Uhr. Die Straßen werden schon eingeteilt für die An- und Abmärsche der Arbeiterkolonnen und der Roten Armee: überall rote Ordner und Miliz, die mit mächtigen Stricken die Neben- und Querstraßen absperren und die Menschenmenge der Viermillionenstadt dirigieren. Endlich gegen halb acht Uhr bin ich bei meinem Freund und Genossen Wischnewski. Ein Riesenglück: er hat doch noch einen Propusk, einen Ausweis, für mich für die Tribünen des Roten Platzes bekommen. Wischnewski ist der Übersetzer meiner Matrosen von Cattaro. Er war selber einer der roten Matrosen von Kronstadt, die vor fünfzehn Jahren die ersten Schüsse auf das Winterpalais abgaben und damit das Signal zum Eingreifen der Macht. Er kämpfte dann mit der Wolgaflottille jene schweren Kämpfe, die Larissa Reißner beschrieb; später zog er mit Budjonnys Erster Reiterarmee gegen die weißen Generäle der Ukraine, hat den polnischen Feldzug mitgemacht, erhielt den Orden der Roten Fahne; dann Jahre auf der Militärakademie; heute ist er mit fünfunddreißig Jahren Vizeadmiral, Kommandant einer Torpedobootsflottille auf dem Schwarzen Meer und einer der besten Dramatiker der Sowjetunion. Um neun Uhr stehen wir auf dem Roten Platz, etwa zwanzig Meter rechts vom Monument, dem Grabmal Lenins. Die Regimenter marschieren gerade auf, alle Truppengattungen, auch Matrosenbataillone und GPU. Gegen halb zehn Uhr ist die Hälfte des Riesenplatzes mit den Kadern der stehenden Formationen gefüllt. Anmarsch der Delegationen der Länder: Spanien, England, Japan, China, Frankreich, Amerika, Deutschland. Sie nehmen neben uns Aufstellung vor den Tribünen. Schon kommen die Botschafter und Vertreter der ausländischen Mächte mit ihren Damen und Militärattachés. Die Militärattachés postieren sich direkt vor uns; der Deutsche ist ein Oberstleutnant der Kavallerie. Punkt zehn der Kommandoruf Smirno! Die Bataillone stehen, sechs Musikkapellen setzen zu einem kurzen Signal ein, dass der Platz nur so dröhnt. Woroschilow sprengt von der Seite des Moskwa-Flusses heran. Die Bataillone salutieren, melden; die Internationale dröhnt über den Riesenplatz, jetzt hört man auch in verschiedenen Intervallen und Tonstärken andere Kapellen von der Iljinka her, vom Teatralnyj-Platz, von den Brücken die Internationale. Rechts von mir steht mein Kamerad Seka Saro, der japanische Delegierte zum Plenum unseres Arbeitertheaterbundes. Wir geben uns plötzlich die Hand; es ist kein Taumel; aber es läuft einem doch heiß und kalt den Rücken herunter. Vor uns der deutsche Oberstleutnant salutiert mit betonter Strammheit den erhobenen roten Fahnen und dem Kampfgesang des revolutionären Proletariats. Uns gegenüber an den ehemaligen riesigen Markthallen über die ganze Breite des Platzes weg die Losung: Es lebe der revolutionäre Weltoktober! gleich neben dem Lenin-Bild das Transparent in deutscher Sprache, dann in französischer, neben dem Stalin-Bild auf der andern Seite in chinesischer und dann in englischer Sprache!