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Einmal aber geschah etwas Seltsames im Walde Grünenacht, in dem auch bei Tage durch die hohen Kiefern und Tannen das Licht wie durch einen dichten grünen Vorhang fiel. Mitten unter die eifrig an den Rinden hämmernden, schwarz gefiederten Spechte stürzte wie vom Himmel herab etwas Blendendweißes, ein weißer Vogel mit weißer Brust, einem rötlichgelben Schnabel und langen, kühn geschwungenen weißen Flügeln. Der weiße Vogel sank erst auf die oberen Äste einer mächtigen Kiefer und fiel dann tiefer und tiefer von Zweig zu Zweig, bis er auf dem Moos des dunklen Waldesgrundes landete.
Es war die junge Möwe Leila. Sie hatte draußen auf dem Meer mit ihren Brüdern und Schwestern sich im Sturzflug geübt und war dabei wilder als alle andern geflogen, als eine Windböe sie erfasste und hoch zu den schwarzen Gewitterwolken emportrug. Dort war sie von dem Sturm hin und her geworfen und von grellen Blitzen geblendet landeinwärts geschleudert worden, wo ihr rechter Flügel an den Ast einer hohen Kiefer so heftig anschlug, dass drei ihrer Schwungfedern verletzt wurden.
Und nun liegt die Möwe Leila erschöpft und flügellahm, fern von dem vertrauten Meer, auf dem Moos des dunklen Waldes Grünenacht. Leila blickt um sich. Überall stehen, wie riesige schwarze Stäbe eines Käfigs, die Stämme der Bäume. Nirgends ist ein Ausblick auf die weite, freie Fläche des Meeres und den hohen, lichten Himmel, nirgends ein Raum, wo man im vollen Schwung die Flügel gebrauchen kann, in die Höhe zu stoßen, sich in die Tiefe zu werfen oder in weiter Kurve über das Wasser zu gleiten. Eng ist es hier und dunkel. Der Flügel schmerzt und hängt schwer herab.
Was ist das für ein seltsames Wesen?, meint der alte Jan Pikus, der mit seiner Frau Paula und seinem Sohn Pit am Stamm der mächtigen Fichte hinabgeklettert war. Wahrscheinlich man sieht es an den weißen Federn ist es ein alter Vogel, der vor Schwäche herabfiel.
Unsinn!, widerspricht die Mutter Paula. Es ist ein ganz junges Vogelweibchen; es will schöner sein als wir, es hat sich den Schnabel rosa und die Federn weiß gefärbt; es möchte etwas Besseres sein und hat vom Sturmgott seine Strafe erhalten!
Es blutet unter dem rechten Flügel!, sagt Pit Pikus und bringt etwas Moos heran, das er unter die Schwinge schiebt.
Die Möwe Leila dreht ihren Kopf herum und sieht Pit Pitkus an; dabei öffnet sie ihren Schnabel, als ob sie etwas äußern wolle.
Vorsicht, Pit!, schreit die Mutter Pikus auf. Schau nur ihre wilden blauen Augen, so blau wie draußen der hohe Himmel, und ihren Schnabel, so gekrümmt und scharf wie ein Raubvogelschnabel! Fort von hier, Pit, sie gehört nicht zu uns, mag sie sterben!