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Vor einiger Zeit hat der Marktschreier Goebbels den Leuten weismachen wollen, dass die Menschen in den bombardierten Städten sich mit guter Laune, ja mit Humor über ihr Ungemach hinwegsetzen. Besonders Frauen nähmen alle Unbequemlichkeiten mit heroischer Gelassenheit hin.
Nun müsste man doch in den Briefen, die solche Frauen an ihre Männer an der Front schreiben, wenigstens etwas von dem launigen Ton spüren, der Goebbels so imponierte. Das Seltsame ist nur, dass unter den zahllosen, bei gefallenen deutschen Soldaten gefundenen Briefen, in denen von Bombardements berichtet wird, nicht ein einziger ist, der Goebbels Vorstellungen von der heroischen deutschen Frau entspräche. Die Schreiberinnen sind meist so mit den Nerven fertig, dass sie nicht einmal mehr Rücksicht auf das seelische Gleichgewicht des Adressaten nehmen, der doch auch schon allerhand durchzumachen hat und dem die Stimmung zu versauen nach Goebbels Meinung schon eine Art Dolchstoß von hinten ist. Solche Erwägungen haben aber scheinbar in den von Angst und Verzweiflung erfüllten Frauenherzen keinen Platz mehr.
Ich nehme aus einem Päckchen nur drei Briefe wahllos heraus. Hier ist der erste. Da schreibt eine Frau Heinrichs aus Saarbrücken, die inzwischen nach Lothringen geflohen ist, an den Unteroffizier Heinz Heinrichs (Feldpostnummer 46 806):
Ihr werdet ja wohl wissen, dass nun auch Saarbrücken das Schicksal anderer deutscher Städte teilen musste. Weißt Du, die Schrecknisse der Nacht waren auch deshalb so groß, weil es eben einen einstündigen konzentrierten radikalen Angriff auf unsere ungeschützte Stadt gab. Das bisschen Flak war gleich erledigt. Wir sprachen am nächsten Morgen Heinz Mattern, als Flaksoldat bediente er mit 6 Kameraden ein Geschütz vor der Stadt, die Bestien stürzten sich gleich auf ihr Mündungsfeuer; 5 Kameraden sofort erledigt, darunter Paul Grischy. Eine Bombe schlug bei uns in den Keller in der Durchfahrt, hob den Bürgersteig hoch. Der Mörtelstaub lag uns im Mund. Das Haus steht noch, wenn auch nicht bewohnbar. Nur raus aus Saarbrücken! Aus allen Richtungen hagelten die Unglücksbotschaften, Ilseplatz, bei Haneckes, Winterberg, Erdmannstr., Malistatt, Burbach, Hohenzollernstr., die Lehrerhochschule, Gutenbergstr., Dudweilerstr. Mokkastuben mit zwei Nebenhäusern ist auch abgebrannt. Es ist so viel, ich weiß gar nicht alles. Irma ist mit ihren drei Kindern obdachlos geworden. Herr Hütt war tags zuvor nach Berlin gefahren zum Osteinsatz. Kurts Frau hat also auch dasselbe Schicksal, da wohnte auch die Mutter von Herrn Hoffmann. Es war furchtbar, als er mit der Mutter kam, was sie am Leibe hatten, war ihr eigen. So haben alle Leute, die wir kennen, etwas abbekommen, die einen mehr, die anderen weniger.
Das klingt nun verdammt nicht nach der guten Laune, die Goebbels der Welt einreden will.
Am Schluss lässt Frau Heinrichs ihre sehr schlechte Laune aber wieder an den Engländern aus, dass sie sich gar kein Gewissen daraus machten, ungeschützte Städte zu bombardieren.
Wie oft habe ich die Deutschen in meinen Radioansprachen gefragt: Seid ihr so blind, so einfältig oder so vergesslich, dass es euch nicht mehr in den Sinn kommt, wer diese Form der Kriegführung erfunden, zuerst angewendet und damit den Gegner erst gezwungen hat, sie auch gegen euch zu praktizieren? Habt ihr vergessen, wer schon vor fünf Jahren in Spanien Guernica und Barcelona, in diesem Kriege Warschau, Rotterdam, London und Saloniki bombardierte, alles ungeschützte Städte? Im Jahre 1938 war ich in Barcelona Zeuge der grausamen mörderischen Zerstörungen durch die Junkersgeschwader Hitlers. Damals rief ich am Barcelonaer Sender den Deutschen zu: Heut ist es Barcelona. Von hier aus nimmt das Verbrechen Hitlers seinen blutigen Anfang. Morgen schon kann es Paris und London sein. Sie sind nicht geschützter als Barcelona. Aber wiegt euch in Deutschland nicht in trügerischen Hoffnungen, dass all diese Verbrechen unvergolten bleiben! Übermorgen ist es Berlin!
Jedes Mal erinnere ich diese schrecklich vergesslichen Deutschen an die Tage, da sie mit Behagen Beifall klatschten, als Hitler ihnen versicherte, die englischen Städte erbarmungslos auszuradieren, und zitiere ihnen wieder alte deutsche Zeitungen, wie z. B. das Stuttgarter Neue Tagblatt, das am 8. August 1940 nach dem Bombardement englischer Städte schrieb: Ununterbrochen säen unsere Bomber Tod und Zerstörung, und diese Meldungen werden vom deutschen Volk mit dem Gefühl der tiefsten Befriedigung aufgenommen.
Hier liegt ein zweiter Brief vor mir, aus dem auch alles andere als heroische Gelassenheit atmet. An den Soldaten Berthold Anspach (Feldpostnummer 16 089) schreibt seine Mutter aus Wiesbaden:
Wenn du wüsstest, wie sie das schöne Mainz zugerichtet haben. 70 Prozent ist ein Trümmerhaufen. Ich war mit Tante Krammer drüben und habe auch nach Tante Kastriener geschaut, die Tochter, die das große Hutgeschäft hat, ist dem Erdboden gleich. Vor 14 Tagen ist ihr Mann an der Front gefallen, die armen Menschen sind ganz verzweifelt, so schlägt der Krieg Wunden, die nie heil werden, ich bin ganz niedergedrückt von dem, was ich gesehen habe, ach, es ist furchtbar. Mit Zigaretten ist es sehr schlecht, es sind ganze Lager in Mainz verbrannt, die ganze Zeit gibt es keine.
In diesem verzweifelten Brief ist keine Anklage. Solcher Briefe gibt es viele, meistens enden sie mit einer dumpfen fatalistischen Ergebung, nicht selten sogar mit Beschwörungen, die an religiöses Irresein erinnern. Nichts mehr von Siegeszuversicht wie vor einem Jahr, ja nichts mehr von der Selbsttröstung, der man häufig begegnete: Wir müssen es eben hinnehmen, es wird schon alles noch zu einem guten Ende kommen!
Von der hoffnungslosen Gemütsverfassung, in welcher sich besonders Frauen befinden, gibt ein dritter Brief Zeugnis. An den Soldaten Hans Kolß (Feldpostnummer 07 592 B) schreibt seine Frau aus Hamburg:
Um es geradeheraus zu sagen, der Angriff war sehr ernster Natur. Kurz einige Stichworte. Alsterpavillon, Alsterkamp, Eppendorfer Krankenhaus, Jerusalemkirche, Schäferkampsallee usw., Finkenwärder und die Deutsche Werft haben sie am hellen Mittag bombardiert. Ich stehe in der nächtlichen, einsamen, mondhellen Straße. Die Flak schießt, es kracht und splittert nur so. Der Tommy hat gleich unmittelbar nach der Warnung zu schießen angefangen. Die Hölle scheint losgelassen zu sein. Die schweren Torpedos pfeifen. Es dröhnt und kracht, als wenn die ganze Welt untergehn will. Die Erde erzittert, und die Scheiben klirren. Ich habe so was noch nicht erlebt. Weithin ist der Himmel rot. Es brennt. Eine Träne läuft über mein Gesicht, ich frage mich, ist das alles notwendig? Soll denn das das Ende sein? Lieber Herr und Vater, wir darben und hungern hier in der Heimat, nimm doch diesen Kelch von uns. Wir werden immer dünner und magerer, unsere Kräfte gehen bald zu Ende, ich fühle mich sehr elend.
Das waren drei Briefe von Hunderten. Diese drei Frauen haben nun zu ihrem Unglück noch ihre Männer an der Front verloren, vielleicht die einzigen, denen sie noch ihr Herz ausschütten konnten.