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Hymnen der Freiheit – Nachdichtungen von Iwan Franko von Erich Weinert
Autor:
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Preis E-Book:
5.99 €
Veröffentl.:
25.08.2025
ISBN:
978-3-68912-562-2 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 285 Seiten
Kategorien:
Lyrik/Russland und Sowjetunion, Lyrik/Tod, Trauer, Verlust, Lyrik/Liebe und Erotik, Lyrik/Natur, Lyrik/Politisch und Protesr
Historischer Roman, Kriegsromane: Zweiter Weltkrieg, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik
Iwan Franko, Erich Weinert, Nachdichtungen, Ukrainische Literatur, Revolutionäre Lyrik, Arbeiterbewegung, Sozialistische Dichtung, Freiheitskampf, Klassische Lyrik, Osteuropa, Galizien, Ukraine Geschichte, Politische Poesie, Aufstand, Kerkerdichtung, Arbeiterelend, Bauernleben, Solidarität, Hoffnung, Unrecht, Widerstand, Sozialkritik, Zarenherrschaft, Österreich Galizien, 19. Jahrhundert, Arbeiterliteratur, Revolution 1905, Internationale Literatur, Freiheitslyrik, Gesellschaftskritik, Unterdrückung, Volkspoesie, Literaturgeschichte, Osteuropäische Klassiker, Gedichtsammlung, Weltliteratur
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SURKA

1889

Poem

Surka heiß ich, bin ein armes

Judenmädchen. Gott verlieh mir

Keine Schönheit, bin verwachsen

Und bin hässlich von Gesichte.

Wie sollt auch die arme Surka

Wohlgestalt und Schönheit werden!

Ohne Mütterchen und Vater

Wuchs ich auf bei fremden Leuten,

Die mich prügelten und stießen.

Und so lebt ich zwanzig Jahre.

Lebte? Nein, von einer Schenke

In die andre musst ich kriechen,

Musste Tag und Nacht mich rackern.

Faul und leckrig war die Wirtin

Und der Wirt ein böser Frömmler,

Und die Gäste stolz und kiesig …

Alle hatten sich verschworen,

Immer nur die Magd zu hetzen;

Und, gekniffen und gestoßen,

Soll sie nicht zu winseln wagen,

Muss zum dummen Spiel noch lachen

Hinter der Empörung Tränen.

Ja, so lebt ich zwanzig Jahre.

Einmal hört den Wirt ich flüstern:

„Wirst du zu mir kommen, Surka,

Nachts, wenn meine Frau verreist ist?“

Bin ich unschön auch, verwachsen,

Mein Verstand noch dumm und dunkel,

Kann ich auch nicht lesen, schreiben,

Weiß auch nicht, zu Gott zu beten –

Ahnt ich doch im tiefen Herzen,

Was der Wirt von mir verlangte.

Erst gedacht ich fortzulaufen,

Dann der Wirtin zu erzählen.

Doch dann kam mir ein Gedanke:

Ist doch gleich, mein Leben rieselt

Wie das Wasser durch die Sümpfe,

Ohne Glück und ohne Freude!

Sterben werd ich und nichts wissen

Von dem Glück, das alle kennen;

Und wer unfruchtbar ist, soll ja

Auch nicht in den Himmel kommen.

Möcht doch gern ein Kindlein haben.

So ein kleines! Gott im Himmel,

Ach, wie werd ich lieb es haben!

Deine Händchen, deine Füßchen

Werd ich mit den Lippen wärmen!

Mir vom Munde werd ich sparen,

Dass von uns doch eines satt wird.

Mögen sie mich schimpfen, schlagen,

Wenn nur wie ein Menschenkindlein

Meine Blume sich entfaltet!

Ja, so gingen die Gedanken,

Wenn am Fluss ich Wasser schöpfte,

Wusch die Schüsseln in der Küche

Und des Schankwirts Krempel putzte.

Und ich fühlte stark und stärker,

Wie sich unter meinem Herzen

Etwas schon begann zu regen.

Oft versetzt es mir den Atem,

Und es fällt, als wär ich trunken,

Mir die Arbeit aus den Händen.

Sitze mit geschlossnen Augen …

Und im Halbschlaf flimmert’s, wimmert’s;

Ach, es ist das liebe Kleine;

Und ich fühl was Weiches, wie es

Nach der Mama Brüsten zappelt,

Lacht und strampelt mit den Beinchen.

Lange hätt ich so gesessen,

Hätte nicht die Wirtin heimlich

Mich beluchst; sie schrie und zankte,

Und sie schlug mich ohn Erbarmen.

So aus meinem Traum gerissen,

Schau sie an – doch ohne Bösheit!

Denn in jenen Tagen hatt ich

Nicht ein Krümchen Hass im Herzen –

Aber stolz wie eine Zarin

Hätt zum Weib ich sagen mögen:

„Bist du auch die reiche Wirtsfrau,

Ich die Schaffnerin, die ärmste,

Bin doch dir jetzt gleich geworden!

Böse, ich bin Mutter, Mutter!“

Als die schwere Stunde nahte,

Kam die Wirtin bald dahinter.

O was war das ein Gezeter!

Und in Schnee und Wind und Kälte

Jagten sie mich aus der Schenke.

Und der Wirt, der vor der Alten

Zittert, wagte nicht zu piepsen;

Doch im Herzen war noch Mitleid,

Spannt die Stute vor den Schlitten,

Brachte mich zur alten Amme,

Gab ihr heimlich ein paar Kronen;

Und er sagte: „Surka, Ärmste,

Magst, solang du kannst, hier wohnen;

Und ich werde für dich sorgen.

Fürchte Gott, und nie ein Wörtlein

Sollst du meiner Wirtin sagen,

Dass das Kind von mir ist, hörst du?

Weil die Böse sonst mich umbringt!“

Einen Jungen schenkte Gott mir,

Schön und kräftig, wie ein Engel.

Einen Monat bei der Amme

Lebt ich, bin schon wieder munter;

Doch mein Wirt lässt sich nicht blicken.

Alt und arm ist doch die Amme

Und hat selber nichts zu beißen.

Keine Arbeit, keinen Kreuzer –

Oh, es ging uns bitter, bitter.

Und die alte Amme sagte:

„Siehst doch, Surka, Ärmste, dass wir

Hier nicht länger leben können –

Jeder muss ein Nest sich suchen.

Mache zu mein Haus im Winter,

Such im Armenhaus ein Eckchen.

Aber du, pack auf dein Kindchen,

Geh zu deinem Wirt, du Ärmste!

Wenn die Wirtin dich nicht einlässt,

Musst du eben weiterziehen.“

Grausam war der Frostwind, beißend,

Und im Feld war Schneegestöber.

Barfuß lauf ich, nichts am Leibe;

Alles hatt ich nur gewickelt

Um das Kind, dass es nicht fröre;

An mich selber dacht ich wenig.

Und ich kam zur Schenke wieder,

Trat zur Tür ein. Doch die Wirtin

Fauchte an mich wie ein Sperber …

(Hatte eine neue Magd schon).

Böse keift sie: „He, was willst du?“

„Meinen Lohn mir holen“, sagt ich,

„Denn ich schaffte hier fünf Jahre.“

Oh, da fing sie an zu kreischen:

„Sag, du liederliche Natter,

Wessen Kind ist das, du Unzucht?“

„Meines“, sagt ich drauf, „und Gottes!“

„Sagst du nicht, von wem das Kind ist,

Kriegst du Lohn nicht einen Kreuzer!“

„Niemals werd ich’s sagen, niemals!“

„Marsch, dann aus dem Haus, du Fetzen!

Dass du nie mir vor die Augen

Kommst mit deinem grindgen Bankert!“

„Fürchtet Ihr nicht Gott, Frau Wirtin?“

Sag ich. „Seht den Schneesturm draußen;

Und ich bin fast nackt und barfuß.

Habe doch ein kleines Kindchen.

Es wird Nacht, wo soll ich hin denn?“ –

„Fort, mein Haus wird nicht besudelt!

Scher dich zu des Teufels Mutter!“

Wütend sprang sie auf, die Schlange,

Stieß mich aus der Tür. Da stand ich

Nun im Frost und Schneegestöber.

Wie von Sinnen ging und ging ich;

Ach, so schwer war mir’s im Herzen …

Wo war nur der Wirt geblieben?

Warum ließ er das geschehen?

Warum sprach er nicht, und warum

Wehrt er nicht der giftgen Natter?

Doch wo komm ich nachts nun unter,

Und an welche Türe klopf ich?

Wohl fünf Jahre in der Schenke

Lebt ich, doch war nie im Dorfe,

Kannte nicht die Leute, die dort

In den grauen Häusern wohnen.

Alle sind mir fremd geblieben,

Alle kamen nur, zu saufen,

Alle nur, die arme Jüdin

Zu beschimpfen und zu schlagen.

Und mir wurde schrecklich einsam.

So als wär im tiefen Wald ich

Unter Wölfen.

   Dunkel wird es.

Und das Kind fing an zu weinen.

Da ich fühle, dass die Brust noch

Milch hat, setz ich an den Zaun mich

In den Schnee im dunklen Winkel,

Dass ich seinen Hunger stille.

Und auf einmal fängt das Kleinchen

Fest und gierig an zu saugen –

Denn noch fühlt es nicht die Kälte.

Aber rote Bäckchen hat es.

Und es trinkt, mit schwarzen Augen

Blickt’s mir ins Gesicht und schaut so,

Ganz verständig, so als wollt es

Mir mit seinen Augen sagen:

„Brauchst dich nicht zu fürchten, Mama!“

Und da war mir’s so, als wär es

Um mich mild und hell geworden

Und der Schnee schon weggeschmolzen.

Und es wehten warme Winde,

Und es winkten grüne Zweige …

Und mein kleines Englein seh ich

An und kann mich gar nicht sattsehn –

Ungemach und Leid vergaß ich …

Plötzlich heulten wo die Hunde,

Und der Wind pfiff um die Ohren,

Warf den Schnee mir in die Augen –

Und auf einmal kam ich zu mir,

Fühlte, wie mir Händ und Füße

Hart und taub wie Eis geworden.

Auch das Kindlein fror und weinte,

Und so müde wurd ich, müde …

Gott im Himmel! Ich erfror ja!

Und in der Minute blitzte

Durch den Kopf mir der Gedanke:

„Ja, erfriere, nichts ist besser!

Wirst nicht mehr zu leiden haben.“

Doch des Kindes Weinen ging mir

Wie ein Messer durch die Seele;

Schändlich war ja, was ich dachte.

Mag ich selbst zugrundegehen!

Aber warum soll’s das Ärmste?

Alle Kraft nahm ich zusammen,

Wühlt und grub mich aus der Schneelast,

Denn ich war schon halb verschüttet,

Wickelte mein Kindchen fester …

Laufen, doch Gott weiß wohin nur,

Ohne Kräfte. Es zu wärmen,

Drückt das arme Kind ich an mich,

Doch war selbst schon ohne Wärme.

Und es war kein Weg zu sehen.

Ich versackte in den Schneewehn,

Und der Wind schlug ins Gesicht mir …

Fühllos stapf ich; und da seh ich:

Dort aus einem Häuschen blinzelt

Ein ganz schwaches Licht im Fenster.

Und auf einmal dacht ich: soll ich

Nicht mein Kindchen dort ins Vorhaus

Unters helle Fenster legen?

Denn hier schliefen noch nicht alle.

Wenn ein Kindlein weint, sie hören’s,

Und dann holen sie’s und wärmen’s …

Und dann lauf ich weg vom Hause,

Bis ich wo im Schnee verende.

Ja, so dacht ich und so tat ich;

Küsste zärtlich sein Gesichtlein,

Das schon angehaucht vom Frost war

Und beweht von kalten Flocken,

Packt es ein, so fest ich konnte;

Heimlich in die Mauernische

Unters helle Fenster schob ich’s.

Und ich selber wie im Schlafe

Ging nun, ging nun übers Schneefeld.

Ach, das war ein Weg, ein schwerer!

Und es war, als ob die Beine

Immer schwer und schwerer würden;

Keine Kraft mehr, sie zu heben.

In die Augen schlägt der Wind mir,

Pfeift um mich – und richtig hör ich

Wie er Worte pfeift: „Unzüchtge

Surka, schändliche, was tust du?“

Und da bleib ich stehn … Im Herzen

Wie mit Nadeln sticht’s. Ich lausche

In den Wind, und aus dem Rauschen

Immer wieder, denk ich, hör ich –

Wie das Kindlein bitter winselt.

Und ein schrecklicher Gedanke

Fing mir an im Kopf zu wühlen:

„Wie nun, wenn sie alle schliefen!

Niemand hört des Kindleins Weinen,

Und mein Kindlein muss erfrieren!

Wie, und wenn’s die Hunde hören,

Und sie fressen es lebendig!“

Und im Schnee versunken steh ich,

Wende mich mit allen Kräften,

Und ich fange an zu schreien:

„Rettet mir mein Kind! Zu Hilfe!“

Doch ringsum nur taube Leere,

Und der Wind frisst meine Stimme …

Wie ein Pferd sich losmacht, reiß ich

Aus dem Schnee mich, laufe, laufe

Nach dem Dorf zurück. Ich strauchle,

Falle, laufe, stürze wieder,

Schrei und weine – doch vergebens!

Laufe, unter Qualen lauf ich;

Und mir ist’s, als ob ich Stunden

Schon gelaufen, Ewigkeiten –

Doch das Licht ist nicht zu finden.

Schober seh ich, Weidenbäume,

Höre fern die Hunde bellen,

Hör die tiefen Schleusen gurgeln,

Doch das Haus ist nicht zu sehen!

Nun ergriff mich die Verzweiflung

Und zerriss mir meine Seele.

Plötzlich wie Wahnsinn ras ich,

Und im Toben schrei und heul ich.

„Was ist los?“, so fragt mich jemand.

Schau mich um – und der Gendarm ist’s!

Seh den Karabiner blinken

Und am Koppel ein Laternchen.

Als ich in der Schenke schaffte,

Hatt ich Angst vor dem Gendarmen,

Aber noch viel mehr der Schankwirt.

Aber hier auf einmal hatt er

Gar nichts Schreckliches mehr an sich.

Vor ihm auf die Knie hin sank ich

Wie vor meinem heilgen Retter.

„Herr“, so fleht ich, „Surka bin ich,

Die dort in der Schenke diente,

Und ich bin mein Kind am Suchen!“

Und erzählt ihm alles, alles.

Der Gendarm nahm an der Hand mich.

Führte mich herum im Dorfe,

Bis wir wo ein Lichtchen sahen.

„Ist es dieses Haus hier?“, fragt er.

„Herr, ich weiß nicht, ich will nachschaun!“

Ich ging hin – o Gott im Himmel!

Ja, es war’s, und auch die Nische –

Doch das Kindchen war verschwunden!

Und wie leblos stand ich, sagte:

„Fort das Kind!“ Doch da, im Hause

Ward es hell, ich hörte sprechen …

Der Gendarm klopft an … Wir treten

In die Tür, da hör ich weinen

Schon mein Kindchen. „Gott im Himmel!“

Konnt ich nur noch schrein, dann fiel ich

Draußen auf dem Flur in Ohnmacht.

Weiß nicht mehr, was dann geschehen,

Nur noch eins, als wenn’s ein Traum war,

Dass im Bauernhaus ich liege,

Hell die Stube, warm und sauber …

Bei mir sitzt die gute Alte,

Sitzt, und traurig wiegt den Kopf sie,

Und ganz leise, leise sagt sie:

„Ach, wie dumm doch warst du, Surka!

Warum klopftest du nicht? Sind wir

Solche Hunde wie dein Schankwirt

Und sein Schandweib? Wir sind Menschen!

Sag, ist das erhört, im kalten

Schnee ein Kindchen auszusetzen?

Noch ein Glück war’s, dass ich wach war

Und gebetet hab. Da hör ich:

Dort im Vorhaus, unterm Fenster

Kläglich mauzt es wie ein Kätzchen …“

Wieder kam die Ohnmacht …

   Hier erst

Kam ich zu mir, im Gefängnis,

Im Spital. Drei Wochen hätt ich,

Sagen sie, verbracht im Fieber …

Und nun soll ich vor den Richter.

Mag er richten, meinetwegen!

Ist mir gleich, wie sie mich richten!

Ist mir gleich, wie sie mich strafen!

Stand ich nicht in jener Nacht schon

Vor dem Richter? Überstand ich

Etwa nicht die schwerste Strafe?

Was nun wird – soll mich nicht kümmern.

Arbeit hab ich nie gefürchtet;

Und vor nichts im Leben schreck ich,

Hab ich nur mein Kindlein bei mir.

Dafür will ich alles leiden …

Einmal sagten sie, sie wollten

Mir das Kind nicht wiedergeben.

Nun, und weil ich so gefiebert,

Haben sie’s nicht zugelassen.

Denn sie sagen, unaufhörlich

Hätt gerast ich und geschrien,

Immer nur gesucht das Kleine,

Dass der Doktor schließlich sagte:

„Gebt das Kind ihr, sonst kann ich mich

Für ihr Leben nicht verbürgen!“

Und es ist schon schön gewachsen,

Und sogar schon lächeln kann es.

Seht doch, wie es spielt und zappelt,

Mit den Händchen nach der Brust langt!

Ach, mein einzger Schatz, mein kleiner.

Du mein ausgelassner Wildfang! …

Hymnen der Freiheit – Nachdichtungen von Iwan Franko von Erich Weinert: TextAuszug