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Die 2300-Kilometer-Therapie. Die Story des Jakobswegs der Freude von Bert Teklenborg
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Preis E-Book:
5.99 €
Veröffentl.:
13.06.2020
ISBN:
978-3-95655-932-7 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 99 Seiten
Kategorien:
Reisen/ Frankreich, Reisen / Spanien und Portugal
Reiseführer, Europa, physisch
Jakobswege, Wandern, Frankreich, Spanien, Angst-Erkrankung, Therapie
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Nun zurück auf den Wanderweg, den ich bei Dijon verlassen habe. Die Stadt geht auf das römische Kastell Divio zurück, das an der Straße von Lyon (Lugdunum) nach Mainz (Moguntiacum) lag. Bereits im Jahr 525 wurde die Abtei Saint-Bénigne gegründet und Robert I, Herzog von Burgund, machte sie zur Hauptstadt. Mit Philipp dem Kühnen (1364-1404) begann die glanzvollste Zeit der Stadt; ihr Ruhm und ihre Bedeutung endete 1477 mit dem Tod Karls des Kühnen. Wer den Namen „Burgund“ hört, denkt an Weinberge; schon im 3. Jahrhundert wuchsen an der Côte d'Or berühmte Weine und seit dem frühen Mittelalter förderten die Klöster den Weinbau. Der berühmte „Clos de Vougeot“ entstammt einem Weingut, das im 12. Jahrhundert durch die Mönche von Citeaux angelegt wurde. Von dort wandere ich durch die Rebhänge nach Reulle-Vergy; hier verläuft der GR 7 durch eine landschaftlich besonders reizvolle Gegend. Der Wanderweg führt über den Belvédère zum Chateau de Vergy, Tour St. Denis und an den Ruinen von St. Vivant vorbei hinunter nach Curtil-Vergy. Über Arcenant geht es nach Bouilland und dort hinauf zu den Ruinen der Abtei Sainte-Marguerite. Die Choräle der weißgekleideten Augustinermönche, die sie im 9. Jahrhundert gegründet hatten, sind schon lange verstummt. Zwischen den Säulen der gotischen Kirche wandert der Blick ungehindert in einen strahlend blauen burgundischen Himmel.

Entlang der Felsenklippen bei Saint-Romain komme ich zum „Cirque du Bout du Monde“; dieses Landschaftsschutzgebiet zeigt in der wasserreichen Jahreszeit ein beeindruckendes Naturschauspiel. Am Ende eines Talkessels stürzt aus 25 Meter Höhe ein Wasserfall herab. Eine Höhle, etwas für erfahrene Forscher, kann besichtigt werden. Die ersten Spuren menschlicher Besiedlung stammen aus der Jungsteinzeit um 4000 v. Chr; später wurde der Platz, wie der Fund von 47 Silbermünzen bezeugt, zur keltischen Zufluchtsstätte. Nun ist es nicht mehr weit bis Nolay. Eine Herberge lädt ein und nachdem ich ein Bett bezogen habe, gibt’s zur Feier des Tages ein Vesper, das ich mir zuvor als hiesige Spezialität in der Metzgerei kaufte: gekochter Schinken, gefüllt mit Petersilie. Dazu würde ein guter burgundischer Rotwein passen, denke ich und spontan beschließe ich, noch vor Sonnenuntergang einen Stadtrundgang zu machen.

Vor dem Tor eines Weingutes, einer Domaine, wie diese hier genannt werden, steht der Patron und grüßt freundlich, fragt nach, wie es mir geht – Comment ça va? – ich antworte Ça va bien, merci. Et vous??, und war es Intuition – als könne er Gedanken lesen, bietet er mir auf Deutsch an, von seinem neuen Wein zu kosten. Den hebt er mit einem Tastevin aus dem großen Tank, gießt ihn in zwei kleine Gläser und prostet mir zu. „Schmeckt ganz vorzüglich, gibt einen guten Jahrgang!“ Nach einem herzlichen Danke verabschiede ich mich und komme an den Bouleplätzen vorbei, auf denen eine Gruppe Männer spielt. Ich schaue eine Weile zu und stelle schnell fest, dass es Profis sein müssen, so wie sie mit den Kugeln umgehen. Aber eigentlich sagt das noch nicht viel aus – schließlich ist jeder boulespielende Franzose ein Profi.

Danach schlage ich einen Bogen und lande auf dem mittelalterlichen Marktplatz, mit einer alten Markthalle aus dem Jahr 1388 in der Mitte. Das Dach ist mit Lavasteinen gedeckt, deren ungeheures Gewicht auf einem Balkengerüst ruht. Da sehe ich einen alten Mann; er hat sich eingemummt in eine dicke, braune Jacke und sitzt auf seinem Rucksack vor einem Schaufenster, wo von einer Lampe soviel Licht nach draußen scheint, dass er in einem Buch lesen kann, das auf seinem Schoß liegt. Es ist ein dickes Buch, wahrscheinlich ein Roman mit der Schilderung von Abenteuern. Er hebt den Kopf, als ich vorbei gehe und neugierig zu ihm rüberschaue. Fast gleichzeitig grüßen wir uns „bonsoir“ – „bonsoir“ – und etwas wie Erkennen liegt in diesem Gruß. Ich blicke für einen kurzen Moment in seine Augen, die sich gleich darauf wieder dem Buch zuwenden. Und dann sehe ich die Schlafdecke, bereits ausgebreitet auf einer Bank, für die Nacht. Jetzt erkenne ich seine Situation; er ist als Clochard unterwegs und hat seine „Wohnung“ bezogen, mit Leseecke und Schlafzimmer. Es ist wohl 10 Uhr abends, als plötzlich das Licht im Schaufenster ausgeht. Wahrscheinlich hat der Automat ausgeschaltet, denke ich noch, da erhebt sich der Mann, nimmt seinen Rucksack und bezieht sein Nachtlager. Ich sehe die Zielstrebigkeit, mit der der Platz unter den Arkaden des Marktes ausgewählt worden war, und das Ganze strahlt eine gewisse Zufriedenheit aus. Mit wie wenig muss er auskommen und was denkt er über seinen „Stellenwert“ in der Gesellschaft? Ob ihn das interessiert? Wahrscheinlich nicht, schließlich findet Seelengröße ihren Ausdruck in uns selbst.

 

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