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Das Kurhaus. Erzählung von Wolfgang Schreyer
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Preis E-Book:
5.99 €
Veröffentl.:
01.06.2021
ISBN:
978-3-96521-462-0 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 126 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Biografisch, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Politik
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Biografischer Roman, Familienleben, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.)
DDR, Ahrenshoop, Kurhaus, Schriftsteller, Investor, Bebauungsplan, Tourismus, Ortsbild, Presse, Mecklenburg-Vorpommern, Fördermittel, Landesregierung
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Diesem Herrn folgen hieß, dem Leben das Positive abzuringen. Was ihm fehlte, war meine Neigung zur Selbstbeobachtung. In ihm, so dachte ich hinter Stralsund, pulsiert eine Grundgestimmtheit, die lebensverlängernd wirkt. Sie schont die Nerven, hebt das Selbstwertgefühl, stählt seine Schlagkraft und lässt kein Grübeln zu. Einer wie er glaubt nämlich, irgendwann werde sich die Welt – oder auch ein Dorf nebst Gemeinderat – aus schierer Einsicht in seine Richtung bewegen müssen. Was gut ist für die Firma, das ist auch gut für den Ort.

Unter solchen Betrachtungen langte ich in Ribnitz an. Kein Mensch stand am Straßenrand, nicht mal hier wollte jemand aufs Fischland mitgenommen werden, anders als früher, vor der Wende. Ein Beifahrer hätte mich angenehm abgelenkt, meine Sorgen zerstreut. Im Stillen fürchtete ich Ablehnung daheim und stellte mich auf Verteidigung ein. Schon Schiller hatte gewusst: Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Dinge.

Vera empfing mich freudig. „Gott sei Dank“, rief sie aufstrahlend wie in den frühen Tagen unserer Verbindung. „Du bist wieder da, Alexander! Warum rufst du nie von unterwegs an? Gestern wolltest du schon zurück sein! Wie ist es denn gelaufen?“

„Bestens“, sagte ich und löste mich aus der Umarmung. „Du, ich hab ’nen dicken Fisch an Land gezogen. Arbeit für den Rest meiner Tage.“

Während ich sprach, kam Fred hinzu, unser Sohn. Trotz seines Denkvermögens, einer Art von logischem Fundamentalismus, sah er wie achtzehn aus. Alle meine Kinder wirken fünf bis zehn Jahre jünger, als sie sind; was sie eher den Müttern verdanken. „Mit denen hast du verhandelt?“, fragte er, einen Anflug von Fassungslosigkeit im asketisch schmalen Gesicht.

„Schluss mit der Reiserei, endlich wieder Heimarbeit ...“ Ich fing schon an, mich zu wehren. „Seht ihr, der alte Zirkusgaul hört die Trompete ...“

„Und wo trabt er hin?“

„In die Manege. Das Kurhaus im Wandel der Zeiten, so steht es im Vertrag.“

„Vertrag! Die haben dich gekauft.“

„Nicht unter Wert“, sagte ich. „Du kannst dein Klavier haben, und Vera bekommt ihren Farbkopierer.“

„Ich will kein Klavier von deren Geld.“

Veras Protest klang gedämpfter, nicht so endgültig. Immerhin fragte sie: „Und wie sind die gerade auf dich gekommen? Überleg das mal! Die hätten doch ebenso an Ruth Kraft oder Herbert Otto herantreten können, besser noch an Friedrich Schulz. Der ist als Dorfchronist mit seinem Archiv viel kompetenter als du.“

„Die sind aber alle noch älter. Offenbar zieht Herr Garcón bei fünfundsiebzig die Grenze.“

„Lass dir sagen, weshalb du es sein sollst“, erwiderte sie. „Dein Schwiegersohn soll ihnen die Mehrheit im Gemeinderat bringen.“

„Das tut Udo sowieso. Er schwärmt doch für das Grandhotel.“

„Als einziger Autor wohnst du seit vierzig Jahren im Dorf, bist hier familiär verwurzelt. Das erst macht dich für die wichtig.“

Ich schwieg; das ergab keinen Sinn. Und es verdross mich, dass Vera annahm, irgendetwas anderes als mein Name, mein Schreibtalent habe die Wahl beeinflusst. Weil ihr mein Stil manchmal so fremd blieb wie gewisse Stoffe der Zeitgeschichte, die mich fesselten, und übrigens auch Ironie sie nicht immer erreichte, waren ihr außerliterarische Gründe plausibler.

Der Fangstoß kam von Fred. „Nein, das gilt uns“, sagte er mit jener apodiktischen Strenge, zu der er in solchen Fällen neigt. „Die wissen, wir sind im Förderkreis aktiv. Folglich ködern sie ihn, das spaltet uns und nimmt Druck weg von ihrem Grandhotel.“

An dem Punkt brach ich das Gespräch ab und ging einfach zu Bett. Kontroverse Debatten sind Gift für eine Nachtruhe, die nur ohne Tabletten erholsam ist. Schlaffördernd hingegen wirkt ein Roman. Mit Bedacht wählte ich den „König David Bericht“ meines verstorbenen Freundes und Mentors Stefan Heym. Sah ich mich doch, in verkleinerndem Maßstab, ein bisschen in der Rolle des Helden Ethan, des biblischen Historikers, der die Dynastie des Königs Salomo festigen soll, indem er dessen Vater David verherrlicht, obschon der über Leichen gegangen war. – Was für Hoteliers, selbst baskischer Abkunft, ja mitnichten gilt.

Das Kurhaus. Erzählung von Wolfgang Schreyer: TextAuszug