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Ins besetzte Gebiet zu kommen war nicht schwer. Doch hatte der französische Militarismus seine Taktik gegen früher schon geändert. Im Anfang versuchte er es mit Arbeiterfreundlichkeit. Er ließ die revolutionären Arbeiterorganisationen möglichst ungeschoren und unterstützte sogar jede Schwierigkeit, die das Proletariat des besetzten Gebietes den deutschen Machthabern durch Forderungen bereitete. Diese Tatsachen hatten schon große Teile der Arbeiterschaft verwirrt. Sie liefen zu den Separatisten über. Auch in den Arbeiterorganisationen kam es zu Auseinandersetzungen. Die Franzosen arbeiteten mit allen Mitteln der Bestechung und des Justizterrors. So waren die Genossen oft unter sich nicht mehr vor Denunziationen sicher, denn auch die Spitzel in den eigenen Reihen waren vorsichtig. Die einzige Methode, die Spitzel auszusondern, bestand neben der Beobachtung in der prinzipiellen Zerlegung der Gedankengänge, die gekaufte Elemente in die Organisation tragen wollten, bekleidet mit einem Mantel revolutionär sein sollender Phraseologie. So kamen die Genossen, die unbedingt Vertrauen zueinander hatten, im Geheimen zusammen und beschlossen, eine prinzipielle reinliche Scheidung vorzunehmen. Der Aufenthalt illegaler Genossen wurde nie genannt und stets gewechselt. Zu Versammlungen wurde erst kurz vor Beginn eingeladen. Die Erfahrungen der Berliner Arbeiter in illegalen Zeiten wurden mit Erfolg zunutze gemacht, und es währte nicht lange, dann war in der einen, der zweiten, der dritten Stadt die Spreu vom Weizen gesondert. Sobald der Feind aus den eigenen Reihen verbannt war, ging es wieder zum Angriff über. Mit Flugblättern, Zeitungen, mündlich. Doch ward die Anwesenheit fremder Aufwiegler rasch bemerkt, und die Hunde waren auf deren Fersen. Doch über die Mittel und Wege, wie sie genasführt wurden in diesem Fall rächten sie sich durch wahllose Verhaftungen , soll hier nicht die Rede sein, aus ganz natürlichen Gründen. Die Tätigkeit war mit Erfolg beinahe vollendet. Noch eine letzte Instruktion im letzten Ort.
Bei allem Flüchtlingsleben hat Papa wohl an die Weintrauben, an den Wein, an den Kaffee, an die Schokolade gedacht und Glück gehabt. Bis zur Abreise sollte alles ins unbesetzte Gebiet geschafft werden, durch den Wirt selbst, einen Genossen, der dies freudig übernahm und es sich nicht nehmen ließ, den Löwenanteil selbst zu tragen. Es ließen sich die Tage ausrechnen, wo der D-Zug Papa nach Berlin bringen wird und der Lohn für Strapazen und Gefahren seiner wartet.
In diesem Vorgefühl der Freude ging es abends von der Wohnung eines vertrauten Genossen ins Versammlungslokal. Von meiner Anwesenheit waren nur wenige unterrichtet und nur zuverlässige Genossen eingeladen. Ich betrat froh angeregt den dunklen Raum, um alle Kämpfer zu begrüßen, doch statt des herzlichen Empfanges auf allen Gesichtern stummes Schweigen. Keiner rührte sich vom Fleck.
Der erste Gedanke, der mir ob dieses Gebarens aufstieg, war der, in einer Mausefalle zu sitzen, von Spitzeln und geheimen Polizisten umstellt, und dass die dort versammelten Genossen schon einen Entschluss gefasst hatten. Doch hatte ich keine Zeit, dem weiter nachzuhängen. Ein alter Bekannter kam auf mich zu und gab mir einen Wink, beiseite zu kommen. Mich bei der Hand nehmend und einen flüchtigen Gruß stammelnd, frug er: Hast du Nachricht von deiner Frau? War sie gesund, als du weggingst? Ein zweiter Genosse sah meine Überraschung und konnte nicht länger an sich halten. Er empfing die Post von der Organisation. Sag es ihm doch, dass seine Frau gestorben ist, kam es aufgeregt über seine Lippen. Ersterer überreichte mir stumm einen Fetzen Papier, ein Telegramm. Dort stand: A. sofort benachrichtigen. Frau verstorben. V.