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Die Fremden von Erich-Günther Sasse
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
23.03.2014
ISBN:
978-3-86394-006-5 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 194 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Moderne Frauen, Belletristik/Politik
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories, Kriegsromane, Liebesromane, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.)
Zwangskollektivierung, DDR, 2. Weltkrieg, Nachkriegszeit, Gefühlskälte, Spießbürger, Macht
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Oder ist das mein Wolfgang? Die Alte starrt den jungen Mann an. Um besser sehen zu können, kneift sie die Augen zusammen und blinzelt.

Wolfgang, Wolfgang, das junge Mädchen schüttelt den Kopf, der kommt nicht mehr!

Der junge Mann sieht, wie die alte Frau sich duckt. Sie rutscht schneller auf der Ofenbank hin und her, presst ihre Knie zusammen und schimpft: Das weißt du doch nicht, freches Gör. Dir werde ich, sie hebt ihre Hand.

Wer weiß, wo der begraben liegt, sagt das junge Mädchen.

Der junge Mann stellt sich neben sie und sagt: Was ist denn los?

Weiter nichts, du kannst dich wieder setzen!

Bist du vielleicht Wolfgang, die Alte leckt ihre Lippen, ich weiß genau, dass er wiederkommt.

Der junge Mann sieht in das dürre Gesicht, auf die gelben, trüben Augen, die Lippen, die zittern, und sagt: Das freut mich aber!

Die Zigeunerin hat es mir auch gesagt, sagt die Alte, das war eine gute Frau!

Setz dich doch endlich, das junge Mädchen versucht, den jungen Mann in einen Sessel zu ziehen.

Ich will nicht, er schiebt ihre Hand weg.

Guck nicht, als ob du vom Mond kommst, sagt das Mädchen.

Wolfgang, sie kommt mit ihrem Mund ganz nahe an sein Ohr heran, ihr Sohn, niemand weiß, wo er fünfundvierzig abgeblieben ist. Ihr Mund berührt sein Ohr: Lange, bevor wir auf der Welt waren ...

Ach, sagt der junge Mann und setzt sich nun doch. Das junge Mädchen beugt sich zu ihm herunter, ihr Haar fällt auf sein Gesicht. Er hat lange allein gelebt. Er weiß, dass er es nun nicht mehr könnte. Er will sich nicht mehr hassen müssen.

Der junge Mann schielt auf seine Finger, deren Nägel sauber sind, und hört, wie die Alte fragt: Wenn er nicht Wolfgang heißt, wie denn?

Hans-Georg, das junge Mädchen lässt den jungen Mann los, habe ich dir doch schon gesagt, du vergisst aber auch alles!

Hans-Georg, die Alte nickt. Hans-Georg, kichert sie. Plötzlich ist sie still und stiert die Wand an.

Der junge Mann kann auf der Tapete einen hellen Fleck erkennen. Er ahnt, dass dort ein Bild hing, und weiß, dass es seinetwegen abgenommen wurde. Er nimmt sich vor, das Mädchen zu fragen.

Hans-Georg, die Alte spielt mit den Enden des grob gestrickten Tuches, das um ihre Schultern liegt, ist ja ein feiner Name. Wolfgang war auch ein feiner Name. Sie beugt sich vor, kneift wieder die Augen zusammen und fragt: Passt der Kerl denn überhaupt zu uns?

Das soll deine Sorge nicht sein! Das junge Mädchen tritt ans Fenster, schiebt die Gardine zur Seite und winkt dem Vater, der sich an den Kaninchenställen zu schaffen macht.

Der junge Mann sieht, wie der Vater stutzt und dass ein Lächeln über sein breites Gesicht geht; er schließt die Stalltüren und winkt zurück. Auf einmal hat er es eilig, ins Haus zu kommen.

Der junge Mann hört ihn im Flur mit der Frau flüstern.

Ich weiß alles, die Alte starrt wieder auf den hellen Fleck an der Wand und drückt den Rücken gegen den Ofen.

Du hast dich aber fein gemacht, sagt das junge Mädchen.

Die Tür wird aufgerissen, mit einem Satz springt der Mann in die Stube, ist er bei seiner Tochter und sagt: Na, ihr seid ja schon da!

Ist ja schön, er hält dem jungen Mann die Hand hin, nun kann der Winter kommen, die Kohlen sind im Keller, das Schwein ist in den Gläsern, und wir haben euch hier, ja, er tritt von einem Fuß auf den anderen, nun kann der Winter wirklich kommen. Der Mann grinst verlegen, als er die Hand des jungen Mannes schüttelt.

Guck mal, sagt die Alte zu ihrem Sohn, der junge Mann sieht, dass sie den Fleck auf der Tapete nicht aus den Augen lässt, ob der da wirklich nicht Wolfgang ist, wär doch schön, so zu Weihnachten.

Wissen Sie, jetzt blickt sie den jungen Mann an, dass er bisher jedes Weihnachten hier war. Ich wundere mich, noch nicht mal eine Karte hat er geschrieben, sie schüttelt nachdenklich den Kopf.

Da könnt ihr ja richtig ausschlafen, der Mann zeigt seine weißen, gesunden Zähne und sagt: Man weiß doch, wie die Studenten so leben!

Woher du das wissen willst, das junge Mädchen streicht ihre langen Haare zurück.

Dem jungen Mann fällt auf, wie ähnlich sie ihrem Vater ist. Er findet, dass sie ein bisschen zu überlegen tut, und nimmt sich vor, es ihr nachher zu sagen.

Sag doch endlich, dass es Wolf gang ist, fordert die Alte ihren Sohn auf.

Wir können ja mal zusammen in den Wald gehen, sagt der Mann zu dem jungen Mann, als die Tochter ihm den Tabak in die Hand drückt. Danke, er lässt das Päckchen in seiner Hosentasche verschwinden.

Können wir machen, sagt der junge Mann und hat wieder das Gefühl, hier wichtig zu sein.

Der Mann sagt zu seiner Tochter: Denn will ich man Muttern helfen.

Sie rauchen wohl nicht, fragt er den jungen Mann, der kaum Zeit hat zu verneinen.

Das werde ich ihr sowieso sagen, fährt die Alte dazwischen, dass du hier heimlich Tabak annimmst, wenn ich auch schlechte Augen habe ...

Du hast recht, sagt der Mann. Ich habe meine Ruhe!

Die Alte presst ihren Rücken gegen den Ofen. Ganz weiß ist ihr Gesicht, als sie sagt: Ist doch Wolfgang, das spüre ich. Sie kneift ein Auge zu wie eben ihr Sohn und blinzelt wieder. Ich kann bloß nicht richtig gucken, wie er jetzt aussieht.

Wirst eben alt! Das junge Mädchen nimmt aus dem Schrank eine Decke.

Sie drückt dem jungen Mann einen Zipfel in die Hand und sagt: Fass mal mit an! Sie legen die Decke auf den Tisch. Das junge Mädchen streicht sie glatt.

Endlich öffnet die Frau die Tür. Der Mann bringt das Tablett herein, auf dem das Geschirr steht und eine große Kaffeekanne, bauchig und geblümt.

Die Frau stellt alles auf dem Tisch zurecht, die Tochter hilft ihr dabei und gießt Kaffee in die Tassen.

Für sie nicht soviel, sagt die Frau leise, du weißt doch. Habe ich total vergessen, sie rennt aus der Stube und kommt mit einer Schüssel Schlagsahne zurück.

Ihr seid wohl im selben Studienjahr, fragt der Vater.

Weißt du doch ganz genau, sagt das junge Mädchen.

Setzen Sie sich bitte, fordert die Frau den jungen Mann auf.

 

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