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Amerikaheinrichs Rückkehr von Erich-Günther Sasse
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
22.03.2014
ISBN:
978-3-86394-791-0 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 181 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Politik
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories, Familienleben
Graf, Kutscher, LPG, Ehrlichkeit, Arroganz, Macht, Menschlichkeit
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Als er wieder mit der Kutsche bestellt wurde, zog er sich die Livree an. Sie passte nicht mehr in den Schultern, und über dem Bauch spannte sie. Ein Knopf riss ab, Heinrich nähte ihn allein an. Die schöne Livree, am Arm war ein großes Loch, die Motten waren drin gewesen.

Als die Alte Heinrich sah, lief sie laut schreiend in den Hühnerstall. Jesusmaria, jammerte sie.

Und Heinrich sagte, so oder so, jetzt werden wir zum Schluss kommen.

Natürlich sah jeder, was los war. Der Direktor war verhindert. Seine Frau stutzte einen Moment, dann drehte sie sich um und zischte, das wird Folgen haben. Heinrich rief hinter ihr her, da warte ich doch bloß drauf.

Heinrich brachte die Pferde in den Stall zurück und ging nach Hause. Die Alte war nicht da. Heinrich suchte nach ihr. Im Schlafzimmer fand er sie. Sie saß auf dem Bettrand und heulte Rotz und Wasser. Ich tu mir noch was an, schrie sie, das kann ich nicht mehr aushalten.

Schweigend zog Heinrich die Livree aus. Sie riss auch noch unter dem anderen Arm auf. Er hängte sie in den Schrank. Du brauchst dir nischt antun, sagte er, ich höre schon auf.

War es denn wirklich so schlimm, fragte er und kniete sich vor das Bett und nahm die runzligen Hände der Alten in seine Hände und erschrak, die ganzen vierzig Jahre mit mir? Er wischte der Alten die Tränen mit den Händen aus den Augen, und sie war schon wieder ganz vergnügt, als sie sagte, i wo, das sage ich nicht.

Sie zog ihn an seiner grauen Haarsträhne, die immer am Hinterkopf abstand, auch dann, wenn er sich nass kämmte. Und sie lächelte.

Du verstehst es immer noch, sagte Heinrich und gab ihr einen Kuss, einen ganz leisen, leichten.

Komm in die Küche, sagte die Alte, ich mache uns Eierkuchen mit Heidelbeeren.

Die aß Heinrich besonders gern. Was bist du nur für einer, sagte die Alte, dass du dich so um die Politik kümmern musst!

Solange wir uns aufregen, Alte, sagte Heinrich und stopfte einen Eierkuchen in sich rein, solange geht’s uns was an, solange leben wir. Und was gibt’s Schöneres, was, Alte, sagte Heinrich und streichelte die Alte an der Backe. Sie wurde rot und sagte, wie du redest, nein aber auch, na, hier zu Hause kannst du’s ja.

Ein paar Tage später wurde Heinrich ins Büro bestellt. Agronom Holze saß im Vorzimmer und sagte, das wird schlimm, Heinrich, aber ich denke da anders, das musst du mir glauben!

Is man gut, sagte Heinrich, das weiß ich ja, und ging eine Tür weiter.

Der Direktor saß hinter dem Schreibtisch, er räusperte sich und sagte, wir brauchen die Wohnung, so viel junge Leute wohnen nur in einem Zimmer. Er zählte ein paar Namen auf. Zwei Leutchen in einem Haus, das geht nicht, und so viel Einsicht kann man auch von Ihnen verlangen, sagte er.

Als der Direktor von gesellschaftlicher Notwendigkeit sprach, als er sagte, wir sitzen in jedem Fall am längeren Hebel, dachte Heinrich, dir grünem Bengel könnte ich jetzt eine knallen. Einsicht, von wegen Einsicht, du wohnst in sechs Zimmern, und das muss so sein. Heinrich dachte an die Alte. Er drehte sich halb rum und blinzelte den röhrenden Hirsch an, der da an der Wand noch vom Grafen Auerstein hing. Heinrich war schwer zumute, deshalb sagte er - es wurde ihm sauer genug -, sagen Sie man Ihrer Frau, ich hätte mich entschuldigt.

Zwischen den Zähnen presste er durch, jede Woche schreibt mir der Graf. Der hat sicher Besseres zu tun!

Der Direktor sah hoch. Wie, fragte er.

Ach, nur so, sagte Heinrich. Der Direktor wurde rot. Jede Woche, ich schreibe ihm, wie es den Pferden geht und meiner Alten, Heinrich hüstelte.

Dann ging er raus und wollte die Tür zuknallen, aber er sah die Alte vor sich, deshalb schloss er sie sehr leise, sie knackte kaum. Heinrich ging langsam nach Hause, ihm war elend genug zumute, er fühlte sich schwer. Wenn er an die Zukunft dachte, fror ihn, dabei war Sommer.

Die Alte hatte den Mittagstisch gedeckt und sprach kein Wort. Auf dem Tisch brannten Kerzen. Am helllichten Tag, sagte Heinrich, was soll denn das, ist hier Beerdigung? Ach, winkte die Alte ab und fing an zu heulen, die Mönchmann ...

Heinrich schwieg. Er wusste auch nicht, was er sagen sollte. Das hat man davon, heulte die Alte, vierzig Jahre. Heinrich pustete die Kerzen aus und sagte, mach s gut. Er legte sich in der Stube auf das Sofa, und alles tat ihm leid, und er sich selbst am meisten.

Die beiden Araberstuten standen wochenlang im Stall. Keiner kümmerte sich um sie und Heinrich.

Er dachte, die werden mir noch steif, und spannte sie vor die Kutsche und fuhr im leichten Trab mit ihnen über die Feldwege, an den Weiden vorbei und durch den Wald. Nirgendwo hielt er an.

Die Vögel sangen, die Sonne schien. Heinrich ließ den Kopf hängen und guckte nicht nach rechts und nach links. Ihm war so schwer zumute. Ich hätte mich doch nicht entschuldigen sollen, dachte er immer wieder. Dann sah er wieder die Alte vor sich mit ihren paar dünnen grauen Haaren auf dem Kopf, ihren verarbeiteten Händen, und ihm war zum Heulen.

Und ich habe doch recht, sagte er ganz laut, nischt is anders geworden!

Heinrich fuhr zurück, brachte die Pferde in den Stall und ging nach Hause.

Am Abend kam Agronom Holze vorbei und sagte, ich bin anderer Meinung, das müsst ihr mir glauben.

Die Alte brachte Schnaps und goss ein, und ihre Finger zitterten dabei.

Sie trank auch mit. Heinrich sagte, is schon gut, Willi. Die Alte sagte dauernd prost. Sie soff wie ein trockenes Fass. Ich tu mir noch was an, sagte sie, solange wir verheiratet sind, wohnen wir in dem Haus.

Und nun - alles wegen solchem Quatsch. Heinrich fuhr sie an, was für dich Quatsch ist, muss es noch lange nicht für mich sein.

Heinrich brachte Holze zur Hoftür. Am Arsch soll er mich lecken, sagte er, ich ziehe hier nicht aus.

Sorgfältig verschloss er das Hoftor und zog den Schlüssel ab und sagte zur Alten, ich gehe morgen zu Tischler Grabe, der muss einen neuen Haustürschlüssel machen. Und du lässt mir niemanden ins Haus.

Ach, winkte die Alte ab. Ich ziehe hier nicht aus, sagte Heinrich, und wenn sie mit der Polizei kommen. Meinst du wirklich, lallte die Alte. Sie hielt die schon ziemlich leere Schnapsflasche in der Hand.

Wie du wieder redest, lallte die Alte, richtig schlau.

Nun singen wir, sagte sie und fing auch schon an: Am Brunnen vor dem Tore. Ihre Stimme war dünn. Sie nahm die Flasche zum Mund und trank den letzten Tropfen aus. Alles ist alle, kicherte sie.

Hör auf, sagte Heinrich. Ich fange erst an, lallte die Alte. Nun wollen wir tanzen. Tanz doch, sagte Heinrich. Schlau sein ist eins, lallte die Alte, aber Herz haben das andere. Donau so blau, so blau, sang sie und drehte sich, und auf einmal saß sie auf dem Teppich und schnarchte. Heinrich brachte sie ins Bett.

Heinrich fuhr jeden Tag mit der Kutsche aus, keiner kümmerte sich um ihn, wieder vergingen Wochen, in denen nichts geschah.

Der große Festtag kam heran, ein bedeutender Jahrestag. Aus diesem Anlass wurde der Doktor zum Professor ernannt.

Sogar in der Zeitung wurde darüber geschrieben. Die Alte las es Heinrich vor. Hör bloß auf damit, sagte er, nachts hat er gearbeitet, wenn andere Leute schlafen.

Die wichtige Entdeckung bringt großen Nutzen, las die Alte. Sogar in Japan interessiert man sich dafür.

So, sagte Heinrich, und wenn er zehnmal in Japan berühmt ist, hier habe ich doch recht.

Amerikaheinrichs Rückkehr von Erich-Günther Sasse: TextAuszug