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Heimatfront, Gasmaske und Fliegeralarm
In seinem Buch „Mops Eisenfaust oder Der Blindgänger“ erlebt ein kleiner Junge den Krieg und eine Übersiedlung von Köln nach Sachsen
Er ist ein kleiner Junge. Und er versteht die Welt wie sie eben kleine Jungen verstehen. Das gilt auch für die Front, wo der Vati ist und für die Heimatfront: „Was ist Heimatfront? Heimatfront, das ist die Feuerpatsche: Ein Scheuerlappen an einem Besenstiel, dazu zwei Eimer voll Wasser und Sand im Treppenhaus. Heimatfront, das sind schwarze Rollos an den Fenstern: Die Verdunkelung.“
Aber Heimatfront ist noch mehr: „Und der neue flache Karton ist auch Heimatfront. Mutti hebt den Deckel ein bisschen ab, neugierig lugt Mops hinein. Und beginnt zu zittern. Aber unerbittlich zieht Mutti seine Hand zu dem Glotztier, das nun offen aus dem Karton schaut. Mopsens Fingerspitzen berühren die gläsernen Augen und etwas Kaltes, das ebenfalls zittert.
„Das ist doch nur Gummi!“, sagt Mutti. Mops aber schreit. Mutti redet auf ihn ein: „Wir machen ei, wir machen ei, gute, liebe Gasmaske!“ Er reißt sich los, flieht zu Heitler unter den Schrank. Es dauert Tage, bis er sich das Glotztier übers Gesicht ziehen lässt. Das Gummi reißt an den Haaren, obwohl Mutti seinen Schopf extra gasmaskenkurz geschnitten hat. Innen riecht es streng und fremd. Mops erhält den Befehl zu atmen. Atmen ist: Rauschen, Schnarchen, Rauschen, Schnarchen. Ein Topf mit Löchern wird aufgeschraubt: Der Filter. Er lässt kein Gas in die Kinderlunge.
„Was ist Gas, Mutti?“ Seltsam dumpf klingt die eigene Stimme. „Böse Luft, die Menschen totmacht. Sie könnte in einer Bombe aus einem englischen Flugzeug abgeworfen werden. Obwohl die Engländer das nicht dürfen.“ Wer beim Gasmaskeaufsetzen kein bisschen mehr weint, ist schon ein großer, verständiger Junge. Der heißt nicht mehr einfach Mops oder Mopswange. Wenn ihn einmal große Leute fragen, wie er heißt, und wo seine Mutti ist, nennt er ihnen seinen großen Namen: Justussallmannkölnehrenfelderstraßeeinundfünfzig.“
Fast poetisch erzählt der Schriftsteller Günter Saalmann, wie ein kleiner Junge den Krieg erlebt – auch wenn es nur die Heimatfront ist. Aber auch da warten Gefahren und Tod. Zunächst aber der Fliegeralarm. Was versteht ein kleiner Junge unter Fliegeralarm? „Was ist Fliegeralarm? Fliegeralarm ist u-u-u-i-i-i-u-u-u-i-i-i-u-u-u, das Heulen der Sirenen auf den Dächern. Die haben das Heulen bisher bloß geübt. Tagsüber. Jetzt können sie es gut und tun es bei Nacht mitten in den Traum hinein, auf und ab, auf und ab. Dann hebt Mutti ihren Jungen aus seinem warmen Bett, das seit Vatis Besuch nun alle Abende auf dem Wohnzimmersofa aufgeschlagen wird. Weil Mops jetzt groß ist, und ein großer Junge schläft nicht mehr im Elternschlafzimmer. Schlüpfer, Leibchen, Strümpfe, Hemd, Pullover, Hose, Mantel, alles liegt griffbereit. Mutti hilft. Aber während sie sich dann selbst hastig ankleidet, krabbelt er mitsamt seinem Kopfkissen unter den hochbeinigen Schrank, taumelig vor Schlaf. Dabei weiß er, es gibt kein Entrinnen. Er muss den kleinen, grünen Rucksack mit Teddy und Gasmaske tragen. Mutti nimmt die großen, schweren Sachen.“ Das sind Eindrücke, die ein Leben lang bleiben werden. Plötzlich gibt es im Luftschutzkeller wirklich Gasalarm … und alle Menschen darin verwandeln sich in Glotztiere.
Später wird er aus Köln, wo er das alles erlebt hat, mit der Mutter nach Sachsen übersiedeln, und noch ganz andere Dinge zu überstehen haben und sich eine Pistole beschaffen. Ob diese Pistole etwas mit seinem Namen zu tun hat: Justus, Justus, der Gerechte …
Der 1991 im KinderBuchVerlag Berlin erschiene Roman von Günter Saalmann wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem „Roten Tuch“, dem antifaschistischen Jugend-Medienpreis der SPD Berlin-Charlottenburg und Zehlendorf.
Der 1936 in Waldbröl im Bergischen Land geborene, aber in Sachsen aufgewachsene Schriftsteller Günter Saalmann war über die Tanzmusik zum Schreiben gekommen: Die Schlager- und Liedtexte des Posaunisten hatten ihm Mitte der 1970er Jahre einen Studienplatz am Leipziger Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ eingebracht. Danach wurde er freischaffender Schriftsteller - und Musiker. Zusammen mit dem Jazzgitarristen Helmut „Joe“ Sachse trat er in dem musikalisch-literarischen Programm „Po(e)saunenstunde“ auf, bei Litera erschien 1983 eine gleichnamige LP. Saalmann, der seit Jahren in Chemnitz lebt und arbeitet, schreibt vor allem Kinder- und Jugendbücher, aber auch Kindergeschichten für (Groß)Eltern. Nach eigenen Worten spricht er „Kinder von 92 – 174 cm und Erwachsene ab drei ausgelesenen Büchern“ an. Auch seine musikalischen Programme seien „für alle Altersgruppen von 6 bis 99 geeignet“.