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Hast du gehört, was er gesagt hat?" Ulrike zieht Schuh und Strümpfe aus.
Der Ast ist morsch!"
Der hält!"
Die sonnendurchglühte Baumrinde duftet nach Kirschharz und kitzelt angenehm an den Fußsohlen. Der Starenschwarm hat sich mit einem Flurrr! in die Luft erhoben, doch ein Vogel nach dem andern kehrt zurück. Bald lassen sich auch die Jungen nicht im geringsten mehr beim stibitzten Mittagsmahl stören, picken wie die Alten. Jörg bleibt dicht beim Stamm sitzen und hält Ulrike an den Beinen fest. Sie liegt bäuchlings auf dem knorrigen Ast, kleidsame Gehänge aus Kirschen über den Ohren, und spuckt große Bogen. Freigebig versorgt sie auch ihren Freund, der fortwährend barmt: Kriech nicht zu weit! Der Ast knackt schon!"
Angsthase! Willst morgen Riesenrad fahren, und hier wird dir schon schwindlig! Ulrike schmatzt. Steck lieber ein paar Kirschen ein für Pappeholz, wir werden ihn ja gleich überholen!"
Ja, wirklich, sie werden ihn gleich überholen, aber anders, als Ulrike sich das vorgestellt hat. Denn hinter der Kurve brummt der Zweiuhrbus die Steigung herauf. Der Ast, durchhängend von dem ungewohnten Gewicht, schabt über das Verdeck. Ulrike langt aus Spaß nach dem kleinen Geländer auf dem Dach.
Aber da passiert die Sache noch nicht ...
Vor einer Minute noch hat Heike, Heike mit der neuen Doktortasche auf dem Schoß, vergnügt aus dem Heckfenster des Busses geschaut. Hat sich bald den Hals verrenkt nach dem Lastwagen, der hinter dem Bus herpolterte und die ganze Zeit nicht zum Überholen ansetzte, obwohl er es sehr gut gekonnt hätte. Am Lenkrad saß, staubbedeckt und schwitzend, der junge Fahrer Wolf von der Obsterntebrigade.
Wolf ist so dicht wie möglich aufgefahren und lacht ihr zu.
Was für kräftige Zähne! denkt die Ärztin Heike noch, dass mir das in der Schule früher nie aufgefallen ist ...
Plötzlich winkt sie wie wild mit der Tasche.
Wolf winkt zurück - nachher will er gleich einen Spankorb voll frisch gepflückter Kirschen von der Ladefläche nehmen und zu Heikes Eltern tragen: Gratuliere zur bestandenen Prüfung!
Plötzlich bremst der Bus, Wolf muss überholen. Warum alle mit den Armen Zeichen machen und der Busfahrer ihm hinterherhupt?
Ob an meinem Lastwagen was locker ist? Aber ich bin ja gleich am Ziel", spricht Wolf zu sich, blinkt, gibt gewaltig Zwischengas, schaltet und biegt in die Toreinfahrt der LPG ein, über der noch das Familienwappen der Frau Baronin hängt ...
Hühner zetern, stieben auseinander, mit einem Satz rettet sich ein alter Mann - ah, das ist Papa Holz -, er quetscht sich an die Mauer und hält schimpfend seinen Hut.
Wolf lacht: War doch bloß Spaß, Pappeholz!" Er freut sich und weiß nicht, warum, bremst mitten auf dem Hof, springt aus dem Fahrerhaus: He, nichts für ungut, Papa Holz, wir trinken einen zusammen!" Wolf schlägt den eisernen Riegel an der Wagenrückwand zur Seite, klappt sie runter ...
... in den Kirschkörben sitzt ein kleines Mädchen, anzusehen wie ein zerraufter Bluthänfling, über und über rot gesprenkelt, und schreit erbärmlich.
Aus der Futterküche stürzt Ulrikes Mutter, im Laufen wischt sie sich die Hände an der Kittelschürze sauber und fängt an zu schelten: Was habt ihr wieder angestellt! Ich hau euch den Hintern voll!"
Noch immer schimpfend, nähert sich Papa Holz. Faßmanns Gekläff verstärkt den Spektakel.
Ulrikes Vater kommt eilenden Schritts aus der Remise, schiebt die blaue Schweißerbrille in die Stirn.
Frau Hausmann läuft herbei, gefolgt von zwei Kolleginnen in weißen Küchenhauben, die die Hände beim Anblick des armen Kindes erschrocken über dem Kopf zusammenschlagen.
Das arme Kind aber hat so viel Publikum nicht erwartet und stellt das Geschrei ab. Ihm tut nämlich nichts weh, das Rote am Hosenlatz ist gottlob nur Kirschsaft. Ulrike lässt sich in die Arme der Mutter fallen und versteckt das Gesicht an ihrer Schulter. Eine verirrte Träne tropft auf eine Kittelschürzenblume und zittert dort ein Weilchen. Mein Mummelchen, mein Mummelchen", sagt die Mutter.
Umgestürzte, eingedrückte Spankörbe liegen auf dem LKW über- und untereinander, dazwischen kollern und hüpfen zerquetschte Kirschen im Takt des Motors, der noch immer läuft, über der ganzen Bescherung liegt ein knorriger Ast. Ein zerzaustes Starennest löst sich aus einer Astgabel und segelt sacht zu Boden.
Wolf steigt aufs Trittbrett des Fahrerhauses, schaltet den Motor ab und betastet sorgenvoll die frische Schramme auf dem neu lackierten Dach.
Der Junge war auch dabei", sagt Papa Holz in die plötzlich eingetretene Stille. Wo ist mein Junge?", ruft Frau Hausmann mit hoher Stimme.
Faßmann winselt auf und versucht an der herabhängenden Wagenrückwand hochzuspringen. Bewegung kommt in den Ast, er wird zur Seite gehoben, und darunter taucht Jörg empor, blass um die Nase ...
Was war denn?", flüstert er und wischt sich mit dem Arm über die Stirn wie einer, der aus dem Schlaf erwacht.