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Lieblingsplatz Garagendach
In seinem Nachwende-Roman „Ich bin der King“ erzählt Günter Saalmann eine Geschichte zwischen Harmlosigkeit und Gefahr
Rex – das ist Latein. Das lateinische Wort für König. Und dieser Rex, mit dem uns Günter Saalmann in seinem erstmals 1997 im Ravensburger Druckverlag (Ravensburger Junge Reihe) erschienenen Nachwende-Roman bekannt macht, ist der King. Und Rex hat einen Lieblingsplatz, zumindest früher:
Das Garagendach war der Lieblingsplatz meiner Kinderzeit. Ich stieg einfach aufs Aschehaus, das später den Kompost enthielt, und zog mich weiter hinauf. Besonders im Sommer war es dort oben herrlich, denn die schwer herabhängenden Äste unseres alten Klarapfelbaums bildeten ein schattiges Versteck. Ich lag bäuchlings auf der warmen Teerpappe, sog den strengen Chemiegeruch tief in die Nase und übte mich im Schießen. Meine Waffe war ein gläsernes Blasrohr, in das ich gekaute Papierkügelchen lud, ich zielte nach den gutmütigen metallicblauen Brummern, die es bei uns reichlich gab, und flüsterte hingerissen „Volltreffer!“, wenn ich einen erwischte.
Einmal traf ich versehentlich einen Schmetterling, einen prächtigen, goldbraun schimmernden Großen Fuchs, der mit hochgestellten, wie atmend zuckenden Flügeln auf einem Blatt gesessen hatten. Ich starrte gebannt auf das unförmige Loch in den zart geäderten Schwingen, sah dann das todgeweihte Tier verzweifelt umhertaumeln und begann zu schniefen.
Ein anderes Mal beobachtete ich von hier oben aus meine Eltern. (Das muss lange vor dem Gespräch über Dessous gewesen sein.) Ich hörte unbekannte Geräusche aus dem weitgeöffneten Fenster von Papas Zimmer. Film-Clip: Das Bett. Mama wippt rittlings auf Papa, stößt leise Schreie aus. Ich sehe ihren schmalen Hinterkopf mit der schwarzen Kurzfrisur, den muskulösen Rücken, schweißglänzend, die Rinne ihrer Wirbelsäule. Papas roter Bart ragt in die Luft, in seinen braunkarierten Socken krampfen sich die Zehen, als wollten sie etwas greifen. Halb bin ich da schon aufgeklärt, oder viertel. Ich will Spaß machen und rufe: „Mama, was machst du mit dem Papa für Sport? Ich seh alles!“ Sie hört auf zu wippen, dreht den Kopf zum Fenster und sagt mit normaler Stimme: „Mach dich runter vom Dach! Kannst dir ein Eis aus der Truhe holen, ich komme gleich.“ …
Jetzt ist Rex, Sohn eines jetzt arbeitslosen DDR-Ingenieurs und einer Spitzensportlerin, der King und er ist in heftigen Schwierigkeiten. Einzelhaft. Und der King plant den dritten Ausbruchsversuch. Aber wie und warum ist er überhaupt im Gefängnis gelandet?
Der sehr spannend zu lesende Roman „Ich bin der King“ stand 1998 auf der Auswahlliste für den Deutschen Jugendbuchpreis.
Der 1936 in Waldbröl im Bergischen Land geborene, aber in Sachsen aufgewachsene Schriftsteller Günter Saalmann war über die Tanzmusik zum Schreiben gekommen: Die Schlager- und Liedtexte des Posaunisten hatten ihm Mitte der 1970er Jahre einen Studienplatz am Leipziger Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ eingebracht. Danach wurde er freischaffender Schriftsteller - und Musiker. Zusammen mit dem Jazzgitarristen Helmut „Joe“ Sachse trat er in dem musikalisch-literarischen Programm „Po(e)saunenstunde“ auf, bei Litera erschien 1983 eine gleichnamige LP. Saalmann, der seit Jahren in Chemnitz lebt und arbeitet, schreibt vor allem Kinder- und Jugendbücher, aber auch Kindergeschichten für (Groß)Eltern. Nach eigenen Worten spricht er „Kinder von 92 – 174 cm und Erwachsene ab drei ausgelesenen Büchern“ an. Auch seine musikalischen Programme seien „für alle Altersgruppen von 6 bis 99 geeignet“.