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Von Köln nach Ballinlough. Eine deutsch-irische Nachkriegskindheit von Herbert Remmel
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Preis E-Book:
9.99 €
Buch:
12.80 €
Veröffentl.:
08.08.2016
ISBN:
978-3-95655-706-4 (Buch), 978-3-95655-707-1 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 209 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Biografisch
Memoiren, Berichte/Erinnerungen, Biografischer Roman, Familienleben, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Soziales, Erste Hälfte 20. Jahrhundert (1900 bis 1950 n. Chr.), Irland
Köln, Zschornewitz, Irland, 2. Weltkrieg, Nachkrieg, Bombenangriff, KZ, Zuchthaus, Farm, Kinder, Rotes Kreuz
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Am nächsten Morgen wurde mir von Eugene erst einmal das zivilisatorische Niveau meiner neuen Heimstatt klar gemacht, als ich nach dem stillen Örtchen fragte. »Also, Herbert, jetzt im Winter kannst du, wenn du willst, fürs große Geschäft in den Kuhstall gehen. Du kannst dich aber auch behind the ditch, also hinter die Hecke verkrümeln, das ist sozusagen unsere Sommertoilette, die aber auch im Winter funktioniert.« Als ich mein kleines Geschäft an anderer Stelle erledigt hatte und meine Morgentoilette beginnen wollte, suchte ich den Wasserhahn. »Also Herbert, du kannst dir die Waschschüssel hier aus dem Eimer mit dem Quellwasser füllen. Dann aber musst du dafür sorgen, dass der Eimer wieder gefüllt wird, also zur Quelle gehen. Den Weg dorthin zeige ich dir noch. Du kannst aber auch das Waschwasser aus dem Regenwasserbassin am Giebel des Hauses holen, das füllt sich ja von selbst wieder.« Dass ich es nach dem Ende der Kälteperiode vorzog, meine beileibe nicht immer gründliche Körperpflege unter allen Wetter- und Unwetterbedingungen draußen am Regenwasser-Auffangbecken durchzuführen, sei nur deshalb erwähnt, weil ich wohl aufgrund dieser Abhärtungstour nicht ein einziges Mal hier in Irland unter irgendwelchen Erkältungen zu leiden hatte. Kurzum: Nicht nur im County Mayo des Jahres 1947 gab es auf dem Lande keine Elektrizität, kein fließendes Wasser und, soweit ich das überblicken konnte, in der Regel auch keine Toiletten, nicht mal ein Plumpsklo habe ich irgendwo gesehen. Und - das gefiel mir!

Nach dem Frühstück, Eugene war nach dem Melken mit dem Fahrrad irgendwohin verschwunden, forderte mich Mae auf, mich umzusehen. Das weiß getünchte Haus, das ich abends zuvor im Scheinwerferlicht des Autos gesehen hatte, entpuppte sich als the Old House, als das alte, aus Feldsteinen errichtete niedrige Haus, in dem die Nallys wohnten, bevor das jetzige Wohnhaus gebaut worden war. Der ehemalige Wohnraum war jetzt Futterküche. Ein mächtiger, total verrußter Kamin mit dem bekannten Galgen, an dem ein gusseiserner Kugeltopf von einer bis dahin nie gesehenen Größe hing, in welchem die Kartoffeln fürs Schweinefutter gekocht wurden. In einer Ecke bildeten schmale, halb hohe Betonmauern ein kleines Gehege, in das die Milchkälbchen kamen. Eine Halbtür führte in den Hof. Dort nahm eine an drei Seiten von niedrigen Betonmauern eingefasste Dunggrube den meisten Platz ein.

Rechtwinklig zum Old House ein Stallgebäude, der Kuhstall. Darin standen die alte Kuh (irische Bauern geben ihrem Hornvieh in der Regel keine Namen), eine jüngere Kuh, eine tragende Färse und - ein ebenfalls namen- und zudem noch hodenloser Esel, der sich vorerst als sturer und eigensinniger Kotzbrocken entpuppen sollte, der mich anfänglich permanent zur Weißglut trieb. Im Winkel zwischen diesem Stall und dem Old House, in dessen ehemaligen Schlafzimmer jetzt ein Schweinestall eingerichtet war, grunzte eine Sau bei ihren Ferkeln. Am anderen Ende des Old House noch ein Stall: sechs Ochsen, drei links, drei rechts angebunden. Der Schuppen mit dem Großen Tor erwies sich im vorderen Drittel als »Remise« für eine schöne kleine Ponykutsche, der ich jedoch mangels Pony nur den Esel vorspannen konnte, wenn ich Granny sonntags zur Kirche kutschierte. In dem hinteren Zweidrittel dieses Schuppens der fensterlose Pferdestall. Der war so eng, dass der Gaul nur rückwärts zur Tür raus konnte. Der Gaul war ein kräftiger, gut im Futter stehender Wallach namens Charly - Pferde haben in Irland Namen - der mir viel Freude bereiten sollte. Bleiben noch der Hühnerstall, der zwischen Old House und Schuppen eingeklemmt war und die Wellblech-Scheune seitlich hinter dem Kuhstall im Garten, deren Gerüst aus ausgedienten Eisenbahnschienen bestand. Weil das Wellblech, das übrigens auch alle soeben beschriebenen Gebäude deckte, verzinkt war, sprach man stets von Galvanized Sheds, von galvanisierten Scheunen, die in den 1920er und 1930er Jahre in Irland wie Pilze aus der Erde geschossen sein mussten. Sie gab und gibt es noch überall im Lande. Unbedingt erwähnt werden muss noch die Torfpyramide (turf reek) vor dem Wohnhaus auf der gegenüberliegenden Seite des Weges. Hier lagerte, kunstvoll aus Torfsoden zu einer länglichen Pyramide »aufgemauert«, der Heizvorrat für den Winter und Kochmaterial für den Sommer. Die Tage im Torfmoor (the bog, auch peat bog), an denen der Torf gestochen und geborgen wird, werden mit zu den schönsten zählen, die ich in Irland erlebt habe.

Nallys Farm umfasst etwa 20 Acre (ca 8 Hektar), eine Streifenflur, deren Felder sich vor und hinter dem Haus erstrecken, vergleichbar mit den Hagenhufen in Mecklenburg. Hinzu kommt noch ein Stück »Bog Land«, ein ausgetorftes Stück Torfmoor etwa einen Kilometer abseits, und weiter entfernt noch Pachtland von etwa 6 Acre, »Black Jacks« genannt. Die Farm eines irischen Kleinbauern ist etwa vergleichbar mit den Büdnereien in Mecklenburg. Dörfer gibt es nicht, jeder Bauer wohnt auf seiner Scholle. Die Farmen reihen sich wie auf einer Perlenschnur, jedoch in unterschiedlichen Abständen, entlang des jeweiligen Landweges, deren schmälste Bordeen genannt werden. Eine solche mehr oder weniger zusammenhängende Ansiedlung nennt sich »Village«. Meine Village war Ballinlough, (gälisch/irisch: Baile an Locha = Siedlung am See). In der Postadresse erscheint noch Balla, ein kleines nahebei befindliches Städtchen, das zusammen mit den entfernter liegenden Städtchen Claremorris und Kiltimagh ein Dreieck bildet, in dessen Mitte sich unsere Village befand.

Das alles war also mein künftiges Reich - meine Farm! Toll, einfach toll. Ich konnte es wieder mal nicht fassen, ich war überwältigt. Zur Hölle mit dem Spruch »Zur Hölle oder nach Mayo«. Mayo ist mein Paradies!

 

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