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Gelangweilt - so sah es jedenfalls aus - empfingen die jungen Leute ihre neue Lehrerin, die ihnen im Halbdunkel des Klassenraums bei tropfendem Wasserhahn mit ihren Fragen kam. Ihr wären im Augenblick die Kräche der Stadtschule lieber gewesen als dieses lauernde Prüfen.
In der Dunkelhaarigen, Glutäugigen und der Blonden daneben vermutete Hanna die angekündigten konkurrierenden Töchter der Fernsehansagerinnen. Den Kopf in eine Hand gestützt, musterten sie die Neue ungeniert von Kopf bis Fuß und prüften das ungeschminkte Gesicht. Vor ihnen saß ein schmächtiges rothaariges Mädchen mit einem Sommersprossengesicht. Die vorderen Plätzen hatten die Jungen belegt. Einer von ihnen, besonders groß und mit einem trotzigen Gesichtsausdruck unter dem weißblonden Haar, blieb ernst, als alle anderen kicherten, weil die Neue vergeblich versuchte, den tropfenden Wasserhahn abzustellen. Hanna verwarf die vorbereiteten Fragen und ihre fein als Chorsatz gegliederte Vorbereitung. Sie verwarf sie und sagte aus dem Augenblick heraus: „Schreibt eure Lieblingsbeschäftigung auf und euer liebstes Buch – und eure Lieblingsmusik. Ihr braucht eure Namen nicht aufschreiben!“
Der Weißblonde brubbelte etwas von einer sanften Tour, mit der sie ihnen da käme. Das hätten auch schon andere probiert und wären nach kurzer Zeit verschwunden und: „Sie haben auch schon in den Akten geschmökert.“ Hanna versuchte, es zu überhören und stellte ihre letzte Frage: „Was wollen und können wir tun in diesem neuen Jahr und überhaupt in dieser Zeit in Siebensee?“
Der Name flog ihr so heraus. Sie ertappte sich erst bei den erstaunten Blicken ihrer Schüler. Sie sammelte schweigend die Blätter ein.
„Wie war’s?“, fragte Anna nach dieser ersten Stunde.
Hanna hob ein wenig ratlos die Schultern und wies auf den Blätterstapel. „Sie sind seltsam still. Es ist schwieriger als es mit den Krächen in der Stadtschule war. Soviel Resignation und skeptisch Abwartendes.“ Anna hatte auch gar keine Zeit, eine Antwort abzuwarten. Sie hatte Aufsicht und lief davon.
Gisela Färber ging in der Pause auf dem mit Steinplatten ausgelegten Appellplatz neben Hanna: „Du hast nichts gesagt zu meiner Probestunde? Wir brauchen doch messbare Ergebnisse.“ Prüfend sah sie die neue Kollegin an.
„Die Frage ist doch: Was brauchen unsere Schüler?“, erwiderte Hanna.
„Ich denke, das Wichtigste lässt sich gar nicht messen und auch nicht in Zensuren ausdrücken. Und wenn ich eine Handvoll im ganzen Leben, vielleicht einen oder eine in jeder Klasse wirklich erreiche, dann ist das Glück.“ Ob jemand von denen, die da in ihrer Klasse mit dem tropfenden Wasserhahn vor ihr gesessen hatten und sitzen würden, je dazugehörte, stand in den Sternen. Gisela Färber lachte: „Solche Augenblicke - wo gibt es die, außer auf dem Theater - und wenn, dann verfliegen sie rasch.“ Es klingelte ja auch schon zur nächsten Stunde.