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Eine Mutter im Himmel und eine auf der Erde von Ingrid Möller
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
23.11.2015
ISBN:
978-3-95655-564-0 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 146 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Familienleben, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Biografisch, Kinder-und Jugendbuch/Familie/Adoption
Biografischer Roman, Familienleben, Mecklenburg-Vorpommern, 1940 bis 1949 n. Chr.
2. Weltkrieg, Biografie, Familienbeziehungen, Adoption, Familie, Kindheit, Historisch, Nachkriegszeit, Russen, Kinder, Schule, Krieg, Fünfeichen, Missbrauch
12 - 99 Jahre
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Am nächsten Morgen wacht Doris spät auf. Bei geschlossenen Augen horcht sie auf die Geräusche. Alles ist wie immer. Die Perpendikeluhr über dem Bett tickt. Nebenan plätschert Wasser in der Waschschüssel, draußen kreischen die Mauersegler, die wie jedes Jahr die jungen Stare aus dem Nest geschmissen haben und nun selbst im Starenkasten brüten.

Kein Aufwachen also auf Wolkenpolstern in den Armen ihrer richtigen Mutter, wie sie gehofft hatte. Auf nichts ist Verlass.

Totheulen - auch das muss wohl so ein verlogenes Erwachsenenwort sein, dem man nicht trauen darf. Es funktioniert nicht. Sie hat sich die größte Mühe gegeben. Schlapp hat sie sich schließlich gefühlt, das ja. Aber dann muss sie wohl doch gegen ihren Willen eingeschlafen sein. Schlapp fühlt sie sich noch immer.

Sie lässt die Augen auch noch zu, als die Mutter leise ins Zimmer kommt und die Rollos hochzieht.

"Doris, es wird Zeit!" Auch das sagt sie ganz behutsam und leise. Doris tut, als würde sie gerade erst aufwachen.

"Meine Güte!", sagt die Mutter und setzt sich auf den Bettrand, "guck mich mal an, du hast ja ganz fiebrige Augen!" Sie fühlt die Stirn. Heiß. Sie rennt nach dem Fieberthermometer, kommt zurück und steckt es Doris in die Achselhöhle. "Tut dir was weh?"

"Der Hals bisschen."

Mund auf, Aaah sagen, Zunge runter. Ja, der Hals ist gerötet.

"Wie kommt das nun wieder -", sagt die Mutter wie zu sich selbst. Das Fieberthermometer zeigt über 38. Und das schon am Morgen.

"Du musst liegen bleiben. Ich ruf Doktor Hagemann an. Und in der Schule sage ich auch Bescheid."

Vorerst gibt es kalte Wadenwickel, eine Speckschwarte wird auf die Brust gebunden und sie muss den verabscheuten Sud aus Zwiebelsaft und Zuckerrübensirup trinken.

Doris lässt sich in die Kissen fallen. Müde und matt ist sie wirklich. Und beim Schlucken tut es auch weh. Dass sie nicht zur Schule muss, kann ihr nur recht sein. Sie müsste sich - gerechterweise - bei Irene entschuldigen und das würde ihr schwerfallen. Schließlich sind allerhand böse Worte gefallen. Blöde Ziege und Lügnerin und so.

Kranksein hat auch sein Gutes. Keine Pflichten. Nichts muss man tun. Kein Können beweisen. Keine Aufmerksamkeit vortäuschen, wo einen der Unterricht langweilt. - Doris stellt sich vor, wie die anderen jetzt eifrig bemüht sind, im Kettenrechnen mitzukommen. "Drei plus sieben minus vier mal drei geteilt durch zwei" - alles schnell gesprochen ohne Punkt und Komma. Wie sie das hasst! Aber Raubein - wie sie den Rechenlehrer nennen - schwört darauf, dass nur solche Aufgaben den Geist angemessen schulen.

Sie reckt sich. Eigentlich hat sie es da zu Hause doch viel gemütlicher. Alle werden sie in Ruhe lassen. Kranke brauchen Schonung. "Der Arzt kommt halb zwölf", sagt die Mutter und fängt an, das Zimmer aufzuräumen. Jetzt schon.

"Hast du auf irgendwas Besonderes Appetit?" Sie stellt Apfelsaft hin. Von Apfelsaft ist der Keller voll. Kein Wunder bei einem Garten mit fast hundert Apfelbäumen. Doris schüttelt den Kopf. Keine Sonderwünsche. Nur:

"Kannst du bitte die Rollos runterlassen? Das Licht blendet so."

"Gut. Wenn du möchtest."

Das Dämmerlicht tut gut. Doris hat oft gehört, dass Trauernde sich in dunklen Räumen einsperren. Sie fühlt sich als Trauernde. Schließlich hat sie neun Jahre sorgloses, unbeschwertes Dahinleben gutzumachen, hat sich zu fragen, wieso sie alle verdächtigen Ahnungen beiseiteschieben konnte.

 

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