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Sie reißt die Augen weit auf. Zwei Männer greifen nach ihren Händen und ziehen sie aus dem Raum. Entsetzt versucht sie, sich aufzurichten. Die Fußfesseln lassen aber ihren Versuch kläglich scheitern. Nach einigen Metern wird sie auf dem Hof liegen gelassen. Servio Plinius und Eklasteos kommen auf sie zu.
Noch völlig benommen hört sie Servio Plinius sagen: "Mit deinem Wissen hast du versucht dich als Weib und Sklavin über uns zu stellen. Das ist eine Beleidigung aller Männer! Es ist eine Beleidigung der Götter! Eklasteos, nenne die Strafe, die auf deine Sklavin wartet!"
Eklasteos bemüht sich um Fassung. Nervös, mit zitternden Händen erklärt er: "Aphrodite, Servio Plinius hat recht. Nach zwanzig Schlägen mit der langen Rute auf dem Marktplatz kommst du an die Schandmauer. Den ganzen Tag hast du Zeit, über alle deine Vergehen gründlich nachzudenken. Am Abend will ich von dir dann hören, wie du dich künftig verhalten willst!"
Servio Plinius warnt zerknirscht Eklasteos: "Du gehst mit deiner Sklavin sehr milde um. Sie hätte einen qualvollen Tod verdient. Gut, sie ist dein Eigentum. Sie gehört dir. Ich akzeptiere deine Entscheidung! Bei mir hätte sie den heutigen Tag nicht überlebt!"
Den zwei Soldaten, die am Eingang stehen, ruft Plinius zu: "Männer, ihr habt es eben gehört. Schafft sie zum Marktplatz und vollzieht an der Sklavin die Strafe!"
Die Soldaten ergreifen Aphrodite. Sie wird auf den bereitstehenden Karren gezerrt und stehend festgebunden. Der Karren wird von einem Esel gezogen. Die Angst würgt Aphrodite und raubt ihr die Luft zum Atmen. Sie lässt den Tränen freien Lauf. Nur verschwommen nimmt sie den Weg zum Markt wahr. Von Frauen, Männern und Kindern wird sie beschimpft und angespuckt. Der Markt ist viel zu schnell erreicht. Die Soldaten drücken sie auf den Boden. Die Fußeisen werden ihr abgenommen und das Gewand vom Leib gerissen. Sie liegt bäuchlings und nackt mit weit gespreizten Armen und Beinen auf dem Boden. Pflöcke an den Füßen und den Handgelenken halten sie mit starken Riemen fest. Um sie herum beginnen sich Menschen zu sammeln. Ein abstraktes Bild tut sich vor ihr auf. Sie sieht nur Füße und Gewänder. Die meisten Füße sind nackt und dreckig. So dreckig wie ihre eigenen Füße. Aber auch Füße in edlen Ledersandalen, kunstvoll verarbeitet, entdeckt sie. Einige Sandalen sind sogar mit Gold oder Bronzeschnallen verziert.
Alles kommt ihr so unrealistisch vor. Sie zweifelt jetzt sowieso an ihrem Verstand. Im Angesicht der Höllenqualen und des möglichen eigenen Todes die Füße schaulustiger Leute zu studieren ist total verrückt. Aber irgendwie erscheint ihr alles in diesem Moment absurd. Vor unzähligen blutrünstigen Gaffern liegt sie hier nackt im Sand und erwartet vielleicht einen qualvollen Tod. Den Worten Marottis glaubt sie in diesem Moment nicht mehr. Zwanzig Schläge mit dem Stock kann kein Mensch überleben. Die Ärztin Maria Lindström glaubt das schon gar nicht. Die Zeit der Selbstbetrachtungen ist für Aphrodite denkbar kurz.
Denn einer der Soldaten greift in ihr Haar und schneidet es mit einem Dolch grob ab. Aus den Augenwinkeln sieht Aphrodite, wie der Mann triumphierend das abgeschnittene Haar mit einem Knoten an seinem Gurt festbindet. Der Soldat daneben hält eine daumenstarke Rute vor ihr Gesicht. Aphrodite schätzt die Länge auf zwei Meter. Die Rute wird sie in tausend Stücke hauen. Überleben kann sie das niemals. Ihr Leiden soll nur schnell zu Ende gehen.
Der Mann wiegt die Rute prüfend in der rechten Hand. Dann bringt er sie durch rasche Bewegungen in der Luft zum Singen. Ein schauriger Ton, der sie in den qualvollen Tod begleiten wird.
Eklasteos steht plötzlich ganz dicht vor ihr. Seine Sandalen kennt sie nur zu gut. Zu oft hat sie diese Füße geküsst. Die Füße ihres Herrn. Vom Boden aus gesehen sieht er für Aphrodite sehr bedrohlich aus. Ein aberwitziger Gedanke kommt in ihr auf. "Wenn ich jetzt zubeiße, kann ich vielleicht noch einen oder zwei Zehen von ihm abbeißen. Eine süße Rache", denkt Aphrodite, "die Eklasteos noch lange nach meinem Tod an mich erinnern wird." Sie muss lachen. Doch in diesem Moment tritt er zurück und will wohl sein Zeichen für den Beginn der Bestrafung geben.
Eklasteos scheint zu zögern. Unruhe kommt bei den Menschen auf. Erste Stimmen aus der Menge hört Aphrodite rufen: "Schlagt die Hure tot. Fangt endlich an! Schlagt sie tot!"