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Ich will einen Turm besteigen von Siegfried Maaß
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
13.12.2014
ISBN:
978-3-95655-201-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 436 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Liebesroman/Erwachsenwerden, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Politik
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Familienleben, Liebesromane, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.)
Nachkriegszeit, DDR, Republikflucht, 17. Juni 1953, Talsperrenbau, FDJ, Freundschaft, Liebe
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Eine Frau Mertens - das entnahm ich meinen Notizen, als Peter den zweiten Strauß erwarb - wohnte gegenüber von dem Blumenladen. Es war ein großes Mietshaus mit einer kleinen Anlage davor, die sich in eine sanfte Kurve der Hauptstraße einpasste. Frau Mertens wohnte im zweiten Stock.

„Das ist aber nett“, sagte sie, noch ehe ich eine neue Neffenvariante erfinden konnte. Sie machte die Tür sperrangelweit auf und dirigierte uns mit der Hand in einen dunklen Korridor. „Ich dachte schon, diesmal hätten sie mich vergessen. Gerade diesmal, wo ich so allein bin.“

„Vergessen?“, sagte ich, verspürte ein flaues Gefühl im Magen und hätte mich gern durch einen Blick mit Peter verständigt, aber im Korridor war es so dunkel, dass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Die Frau öffnete eine Tür und lud uns an einen gedeckten Kaffeetisch ein. Ich wusste nichts zu sagen und starrte auf Peter, der unschuldig dreinschaute und die Unterlippe hängen ließ.

Die Frau war am Tisch stehen geblieben, griff nach der leeren Vase, die zwischen Tassen und Kuchen stand, und nahm Peter die Blumen aus der Hand. „Sehr schön sind sie. Olga weiß, dass ich Levkojen liebe.“

Wäre es nicht der zweite Stock gewesen, ich hätte das Fenster aufgerissen und einen Satz gemacht. Für wen hielt uns die Frau? Wen hatte sie erwartet? Vielleicht geht sie mit den Blumen hinaus, macht Wasser in die Vase ... Aber sie stellte das Bukett nur hinein.

„Tja“, sagte sie, „dann wollen wir mal. Achtundsechzig werde ich heute. Noch nie haben sie meinen Geburtstag vergessen, seit die Olga bei der Volkssolidarität ist. Sie wäre ja gern selbst gekommen, hat sie gesagt, aber sie hat mir gestern schon angekündigt, dass sie Volkshelfer zum Gratulieren schickt. Langen Sie zu.“

Über den dampfenden Kaffee hinweg warf ich Peter einen Blick zu, aber die Torte nahm ihn so sehr in Anspruch, dass er für meine Augensprache keinen Sinn hatte. Langsam stieß nun auch ich die Kuchengabel in das Gebilde aus Creme, Nüssen, Schokolade und etwas Teig.

„Schmeckt es Ihnen? Wie lange sind Sie denn schon Volkshelfer? Ich hab Sie noch nie gesehen.“

„Mensch“, sagte ich zu Peter, als die Frau an die Tür gegangen war, wo die Klingel angeschlagen hatte, „was machen wir nun? Ich halt nicht mehr lange durch.“

„Wir können nicht abhauen, sie freut sich doch so.“

Als Frau Mertens wieder auf der Schwelle stand, schien sie weit ab von jeglicher Freude zu sein. Sie hielt Blumen in der Hand und gab einer älteren Frau, die am Stock ging, den Blick auf uns frei. „Nein, nein, meine Liebe, diese Burschen kenne ich gar nicht, wer weiß ...“

„Frau Mertens , sagte ich schnell, indem ich aufstand, „das war ein Missverständnis von Ihnen, und das ging alles so schnell, aber wir hätten den Irrtum noch aufgeklärt. Das ist so ...“

Die hinzugekommene Frau trat an den Tisch, und Peter sprang auf, um ihr den Stuhl unterzuschieben. Das hätte ich ihm nie zugetraut.

„Das ist nämlich Olga, von der ich gerade sprach“, sagte Frau Mertens. „Aber wie war das nun mit Ihnen?“

„Sie haben doch ein Zimmer frei — haben wir jedenfalls gehört , sagte ich und stellte fest, dass sich die eigenartige Spannung auf dem Gesicht der Besucherin in ein verständnisvolles Lächeln verwandelte, „und da wollten wir fragen, ob Sie nicht ..."

„Ihr seid mir welche!“, rief Frau Mertens und stimmte in das Lachen Olgas ein, „aber eigentlich könnt ihr ja nichts dafür, dass ich euch für Olgas Volkshelfer hielt. Also das Zimmer wollt ihr …“

„Er“, sagte ich und deutete auf Peter, der inzwischen seinen Kuchenteller leer gegessen hatte und nickte.

Frau Mertens betrachtete Peter, und es wirkte so, als hätte sie seine Anwesenheit bisher noch gar nicht recht wahrgenommen und sei nun sehr erstaunt. „Ach, nur er“, sagte sie, wandte sich an Olga und fragte: „Was meinst du, soll ich ihm das Zimmer überlassen? Ich wäre dann wenigstens nicht mehr so allein.“

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