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Aber dies war es nicht oder nicht allein, was ihr den Umgang mit ihm beinahe unentbehrlich machte, es war etwas anderes, dem sie sich nicht entziehen konnte. Damals musste es begonnen haben, dass er sie wie in seinen Briefen Mütterchen, liebes Mütterchen nannte, da sie ihn an seine verstorbene Mutter erinnerte. Er schrieb ihr oft ein Billett, auch wenn er sie erst kurz zuvor besucht und eigentlich nichts mitzuteilen hatte. "Bin müde, Mütterchen", hieß es da, "erzählen Sie mir etwas; ich will die Augen zumachen und hören, wie Sie sprechen, oder von Ihnen träumen. Gestern Nacht träumte ich von Ihnen, Sie saßen und schrieben... Sie sagten nichts und schrieben weiter, hinter zwei Wachskerzen wie die weiße Frau. Mütterchen, lieb Mütterchen, ich habe gewiss im Schlafe Sie gesehen und bin magnetisch bei Ihnen gewesen, wie Sie an mich geschrieben haben. Bekomme ich morgen das? Gottes Segen über Sie, mein armes, geplagtes Mütterchen. Ich will sogleich recht für Sie bitten, wenn ich nach Bett gehe, dass der liebe Gott Sie segne und ich Ihr frommes Kind bin."
Das klang so zurechtgestutzt, so unecht, die Naivität wirkte eher kindisch als kindlich, und dennoch: das Mutter-Sohn-Verhältnis, in das er sie drängte, war ihr lieb, obgleich sie das Bedenkliche daran nicht verkannte: Sie war nun einmal nicht seine Mutter und er nicht ihr frommes Kind. Sie aber ging darauf ein, spielte das Spiel mit, das ihr ernst war, bot es doch die Möglichkeit, ihre wahren Gefühle zu offenbaren, die sie sonst hätte verbergen müssen. Unbesorgt konnte sie ihn ihren lieben Jungen und ihr kleines Pferdchen nennen, ihm über die Haare streichen oder seine Hand in der ihren halten wie eine Mutter, die ihren Sohn zärtlich liebt.
Dass es ein gefährliches Spiel war, darüber wurde sie sich erst spät klar, nach ihrem Gespräch mit Elise auch darüber, dass sie ihm nicht mehr überlegen war wie in seiner Schülerzeit und dass er sie unsicher machte, wie sie ihn früher unsicher gemacht hatte.