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Sein letzter Tag. Die letzten Stunden von Conrad Blenkle von Heinz Kruschel
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Preis E-Book:
2.99 (4.99)) €
Veröffentl.:
26.10.2014
ISBN:
978-3-95655-120-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 87 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Biografisch, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Politik
Abenteuerromane, Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Kriegsromane, Biografischer Roman
Faschismus, Widerstand, Hinrichtung, Dänemark, Bremen, Schweiz, Kommunist
12 - 99 Jahre
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Conrad schrak nicht zusammen, als sich die Tür wieder öffnete und Poelchau hereintrat. „Lassen Sie sich durch mich nicht stören, ich setze mich still hin und lese, aber sie kontrollieren die Zellen, Sie dürfen ungefesselt nicht allein sein.“

„Dann lassen Sie mich wieder fesseln.“

„Bin ich Ihnen so zuwider, Herr Blenkle?“

Conrad lächelte. „Entschuldigen Sie, Doktor, bleiben Sie hier, Sie stören mich nicht mehr, ich bin darüber hinweg.“ Er aß wieder eine Scheibe Brot und trank einen Schluck Tee. Es lag ihm fern, Poelchau zu beleidigen, der Pfarrer war ein tapferer Mann, der viel für die Todgeweihten riskierte.

„Sie schreiben noch nicht? Ich finde das nicht überraschend, ich habe so viele Menschen in den letzten Stunden ihres Lebens kennengelernt, und viele, die hier sterben mussten, haben nicht dumpf geschlafen vorher oder sich betäubt oder getobt und geschrien, das habe ich früher bei kriminellen Häftlingen erlebt, Sie sind von anderer Art, Sie und Ihre Freunde haben viel Kraft und holen sich nicht den Zuspruch eines andern, nein, Bestätigung und Zuspruch werden aus dem eigenen Leben entnommen, meine Hochachtung, Herr Blenkle, entschuldigen Sie ...“ Der Pfarrer, verlegen die letzten Worte murmelnd, vertiefte sich in die Bibel. „Sie ... geben mir selber ... viel, Blenkle.“

So hatte Conrad den Pfarrer noch nicht erlebt, er nahm sich vor, mit ihm zu reden, aber erst nach seiner letzten Arbeit, nach dem Fazit, wie er dachte. Poelchau würde das dünne Tuch der Stille, das in diesen Stunden über der Anstalt lag, nicht zerreißen, er war zu taktvoll und feinfühlig. Conrad schloss die Augen. Er dachte: Ich will mir das heranholen, was wichtig war in meinem Leben, was man Zäsuren nennt, und ich will mich selber betrachten wie einen Freund, zu dem man kritisch sein muss, dem man nie gleichgültig gegenüberstehen darf.

 

Und so tauchten in seiner Erinnerung Orte und Namen, Sätze und Geschehnisse, Szenen und Personen auf, nicht geordnet in einem zeitlichen Nacheinander, eher in einem Nebeneinander wie Mosaiksteine, die man nicht alle - aus zeitlichen Gründen - würde aufnehmen, ordnen und zu einem Bild zusammensetzen können.

Gertrud. Gertrud hatte ihm einmal vorgeworfen, nicht träumen zu können, sie hatte Lenin und Majakowski zitiert, ein Kommunist müsse träumen können, denke mal zwanzig Jahre weiter, ein sozialistisches Deutschland. Oder dreißig, vierzig Jahre, ein sozialistisches Europa. Gut, Gertrud, träume du, ich muss morgen gegen Ruth Fischer sprechen, die die Einheitsfrontpolitik mit den Sozialdemokraten ablehnt, die unsere ganze Situation maßlos überschätzt, auch unsere gegenwärtigen Kräfte, die träumt schon zu gefährlich, zu gefährlich für die ganze Partei ...

Die Fischer. Dann sprach er gegen sie, die die Parteiführung vertrat und gewählt worden war. Sie hatte vor ihm geredet: „Die Situation, Genossen, ist akut revolutionär!“ Und sie konnte reden, temperamentvoll, zündend, mit Verve, und viele hatten ihr Beifall gezollt, der gut aussehenden, üppigen Frau, die in einem weit ausgeschnittenen Kleid hinter dem Rednerpult gestanden hatte, eine ultralinke Jeanne de Arc, eine vollbusige Diana der Revolution ... Und dann kam der junge Genosse, erst seit Kurzem Vorsitzender der deutschen Jungkommunisten, eine unauffällige Erscheinung. Er wartete, bis sich der Beifall legte, einen spöttischen Zug um den Mund, und sagte: „Mit so nackten Tatsachen wie die Genossin Fischer kann ich freilich nicht aufwarten, aber …“ Und da brach der Beifall wieder aus, diesmal von der Arbeitergruppe um Thälmann, und Conrad analysierte sachlich die Lage, zerstörte in wenigen Sätzen die schillernden Schleier der Illusionen, forderte die parlamentarische Arbeit der Kommunisten, forderte die Kleinarbeit in den Gewerkschaften, mit den sozialdemokratischen Arbeitern: „Unsere Weltanschauung ist keine Sammlung von Rezepten in jeder Situation ohne Berücksichtigung der konkreten Lage, Genossen …“

 

Brunner. Der Exkommunist Brunner, der Wahlredner der SPD, hatte ihm noch im Schlesischen, als die Nazis bereits an der Macht waren, die Maslow und Fischer und Scholem vorgeworfen und gemeint, die Geschichte der Kommunistischen Partei bestünde aus einer Kette von Fehlern. Frei von Fehlern sind wir nicht, Brunner, aber unsere Fehler sind im Vorwärtsgehen begangen worden, im Kampf um die beste Strategie. Und im Vorwärtsgehen haben wir immer versucht, die Fehler zu überwinden. Dieser Brunner, diese Straße in Bremen um die Mittagszeit, der Margarineverkäufer: Ich will was tun, Conrad, du kennst mich doch. Er musste ihn abweisen. Aber was mag aus ihm geworden sein? Vielleicht haben sie ihn wieder eingestellt, Beamter mit Pension, ein Denunziant. Oder sie haben ihn eingezogen und in einer der Schlachten im Osten eingesetzt, dekoriert oder begraben ...

 

Hoernle, der kluge, gute Edwin Hoernle. Conrad stellte sich den Saal vor, das Siminatheater in Moskau, die Abordnungen aus den Fabrik- und Schulzellen, Kopf an Kopf, Komsomolzen, überfüllt der ganze riesige Kuppelraum, in dem eine Melodie angestimmt wurde, ein bekanntes Lied: Die Junge Garde - Molodaja Gardia. Und er sah sich auf der Bühne sitzen im Präsidium, neben Jefim Zetkin, Richard Schüller und Edwin Hoernle. Reden und tosende Zustimmung, als der Versammlungsleiter ihn, Blenkle, den Vertreter der Jugend des revolutionären Berlins, ankündigte. Und sie sprangen alle auf, und Conrad stand mit seiner roten Fahne vorn an der Rampe, in der Fahne des Tuchs waren noch die Spuren der Kugeln, die aus Noskes Maschinengewehren am Jugendtag 1919 auf die jungen Demonstranten abgefeuert worden waren. Zwei Fäuste um den Fahnenschaft: die eines deutschen und die eines russischen Arbeiters. Dann sah er sich, wie sie ihn auf die Schultern hoben, dann hörte er Hoernle: „Wir sagen der Fahne nicht ade, ihr werdet sie uns entgegentragen, wenn der Tag der Befreiung des deutschen Proletariats anbricht, und wir werden euch entgegenmarschieren ...“

 

Ottomar Geschkes Stimme am Telefon: „Der Reichstag wurde aufgelöst. Das Zentralkomitee braucht dich für die Wahlarbeit, du fährst als Vertreter der Jugendinternationale zurück. Du weißt, dass du in Deutschland gesucht wirst. Du fährst mit dem ,Roten Pfeil‘ nach Leningrad und von dort mit einem sowjetischen Frachter nach Hamburg. Du musst dich beim Einfahren in die deutschen Gewässer verstecken. Sollten dich Zöllner dennoch entdecken, so fragst du immer nur ,Tschto on askasal? Was hat er gesagt?‘ und grüße Teddy!“

 

Das kleine Büro in der Rosenthaler, der Blick von oben auf die belebte Straße - und die Meinung eines Genossen:

„Du bist mein Vorbild, Conrad, aber in organisatorischen Dingen bist du manchmal zu großzügig, darüber müssen wir uns im Jugend-Zentralkomitee mal aussprechen. Das ist falsch, die organisatorische Arbeit überlässt du uns, in grundsätzlichen Fragen bist du exakt bis zur Kleinlichkeit, aber Organisation hat viel mit grundsätzlichen Fragen zu tun. Ich konstatiere einen Widerspruch bei dir, Conrad.“

„Ich begreife dich nicht, du hast dich doch immer an Teddy orientiert, Conrad. Du stimmst nun einem Antrag der Versöhnler zu, Teddy abzulösen, schön, sie haben euch überrumpelt, aber du revidierst dich nicht wie die andern, dabei hast du dich doch geirrt!“

„So einfach ist das nicht, Gertrud. Wittorf hat Parteigelder unterschlagen, und er war mit Teddy befreundet ...“

„Ja, ja, ja, das weiß ich, aber ich weiß auch, dass Heckert und Ulbricht und viele andere in Moskau waren, als der Antrag gestellt worden ist, ein geschickt gewählter Zeitpunkt also, und du weißt, Conrad, wie die Gruppen im ganzen Land gegen den Beschluss protestierten, wie das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale Einspruch erhob. Der Versuch war doch durchsichtig, sie wollten die Gelegenheit nutzen und die Parteiführung ändern. Du bist kein Versöhnler.“

„Also, bitte sachlich. Ich weiß, dass Thälmann nichts mit der Sache zu tun hat, er ist für mich völlig integer, und was er mir bedeutet, das weißt du genau.“

„Dann revidiere dich.“

„Das kann ich nicht, weil ich der Meinung bin, dass nicht einmal der Schatten eines Verdachts auf unseren Vorsitzenden fallen darf.“

„Dickkopf und Fantast! Conrad, es ist wohl eine Kunst, beharrlich auf einem gemachten Fehler zu bestehen, denke ich.“

„Lass mich, Gertrud, das dauert bei mir.“

„Sie werden dich als Vorsitzenden ablösen.“

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