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Das Moor schweigt von Heinz Kruschel
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Preis E-Book:
4.99 €
Veröffentl.:
20.10.2014
ISBN:
978-3-95655-096-6 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 93 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik, Belletristik/Verbrechen
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Kriegsromane, Kriminalromane und Mystery
2. Weltkrieg, Werwolf, Moor, Amerikaner, Kapitulation, Sabotage, SS
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„Das ist kompletter Unsinn", platzte Jonny Renkel heraus und sprang auf. „Ich kämpfe doch für mein Leben, um mein Leben. Ich will nicht sterben wie dein Dichter!"

Eine Leuchtkugel trudelte in den Nachthimmel und erleuchtete gespensterhaft die Szene. Für Sekunden sah Pohnert das verzückte Gesicht Mannis, der die Augen geschlossen hatte und leise sagte: „Es ist süß, an Totes zu denken. Alle Menschen müssen sterben, und da ist schließlich der Zeitpunkt ihres Todes völlig gleichgültig!"

Das war auch für Sohne zu viel. „Leg dich hin, Manni, du hast Fieber. Wer will schon verrecken? Etwa Kozruk? Nicht mal der, der will einen Orden, weiter nichts. Ich will weder tot sein noch einen Orden haben, noch an Totes denken!"

Manni flüsterte: „Ihr versteht mich nicht, ihr könnt mich nicht verstehen. Und alle müssen sterben. Man müsste ein Tröpfchen Schleim sein in einem großen Meer, ohne Bewusstsein der Existenz, sonst nichts!" Er erhob sich und ging. Die ebenerdige Tür des Waschhauses schabte über den Boden. Die Jungen schwiegen bedrückt.

Die Stille der Nacht wurde von eintönigem Rasseln auf der Dorfstraße unterbrochen. Die drei Jungen gingen hinaus. Mit abgeblendeten Lichtern fuhren Kübelwagen, Lkws, Sturmgeschütze und Tigerpanzer durchs Dorf, nach Osten, immer nach Osten.

Was war denn mit der Westfront los? Wurde sie aufgelöst?

Auf den Fahrzeugen waren grauerdige Gestalten: Infanteristen. Wie Schatten hockten sie da und pressten die Knarren an sich und ließen sich durchschütteln.

„Das kann doch nicht sein", sagte Jonny entrüstet, „die hauen ab und lassen uns sitzen!" Er sprach aus, was alle dachten.

Eine tiefe Männerstimme neben ihnen sagte: „Ganz hauen sie nicht ab, sie beziehen gleich hinter Wurmfing neue Stellungen, dann sind wir Frontgebiet, aber unmittelbar, versteht ihr? Ihr vergesst, dass wir Werwölfe sind. Unsere Arbeit beginnt erst, wenn der Ami hier ist. Dann wird von diesem Dorf allerdings nicht mehr viel zu sehen sein!"

Die Jungen fuhren herum und sahen einen der alten Volkssturmmänner, die mit ihnen in einer Gruppe waren und von denen sie wussten, dass sie schon den ersten Weltkrieg mitgemacht hatten. Im matten Licht der abgedunkelten Fahrzeuge erkannten sie auf der anderen Straßenseite den Stammführer, der ein missmutiges Gesicht zog und eine Zigarette rauchte, obwohl das eigentlich für Jungvolkführer verboten war. Aber in diesen Tagen sah sogar Leutnant Wenzlau darüber hinweg. Dann brach die Kolonne ab, die Nacht verschluckte die Wagen, und sie waren wieder allein in Wurmfing.

„Was sagst du dazu, Stammführer?", rief Jonny.

„Prahl gefälligst nicht so, Renkel." Kozruk wies ihn zurecht. „Was hast du dir darüber für Gedanken zu machen?"

„Arschloch!", sagte Jonny leise.

Die Jungen gingen schlafen. Kalle kam noch nicht mit, sicher hatte er wieder einen Sonderauftrag. Hans war ein wenig enttäuscht, denn er hätte Christine gern gesehen. Warum war sie nicht 'rausgekommen wie viele andere, als die Panzer kamen? Manni hatte sich zur Wand gedreht, er schlief bereits oder tat jedenfalls so.

„Man müsste Kozruk einen Streich spielen, das Bett einreißen, damit er durchkracht. Der spielt sich auf wie ein Gorilla auf Urlaub", brummelte Jonny und begann am Bett des Stammführers herumzubasteln.

 

Es wurde nichts aus dem Schlaf in dieser Nacht. Ein ohrenbetäubendes Getöse ließ sie hochschrecken. Fensterscheiben klirrten und zersprangen. Sie kleideten sich an, und kurze Zeit später befahl sie ein Melder zum Leutnant.

Die motorisierte Kolonne war in ein Minenfeld geraten, das die Werwölfe zusammen mit einer inzwischen abgezogenen Pioniereinheit gelegt hatten. Es waren Minen mit Verzögerungssätzen gewesen, die erst dann hochgingen, als sich die Kolonne darauf befand. Panzer, Sturmgeschütze und mehrere Kübelwagen mit Offizieren waren vernichtet worden. Ihr Minenfeld! Sie hatten eine eigene Einheit vernichtet. Der Leutnant tobte und geiferte, alles war unverständlich.

Die Wegweiser wurden überprüft; ihre Richtung war geändert worden. Das konnte nur von dritter Hand vorgenommen worden sein! So war es auch. Es war Sabotage.

Die Werwölfe lagen mit der Feldgendarmerie und dem Volkssturm draußen und horchten in die Nacht.

Aber nichts geschah, sie hörten nur das trockene Bellen leichter Geschütze und das wellenartige Gewummer der näher rückenden Front. Gegen vier Uhr morgens schickte Leutnant Wenzlau die Jungen in die Waschküche zurück.

 

Der Schlaf saß ihnen noch in den Gliedern, als sie am frühen Morgen antreten mussten. Der Verdacht lag nahe, dass der Täter in Wurmfing war und auch hier gewesen sein musste, hatte er doch von dem Minenfeld gewusst.

Die Vermutung verstärkte sich, als der Miltenmichler meldete, dass sein Knecht Balthar plötzlich verschwunden wäre.

Da der Leutnant den Stammführer für den Zuverlässigsten hielt, übertrug er den Werwölfen, das Mitteldorf zu durchsuchen, Kozruk selbst übernahm mit Jonny den Hof des Gastwirts. Im Wohngebäude und in den Ställen fanden sie nichts. Nur die Schwester des Wirtes stand ängstlich in der Küche, und ein Offizier der Feldgendarmerie spreizte sich im Gastzimmer, trank einen Kognak und fixierte sie spöttisch. Sie durchsuchten die Schuppen. Der warme Brodem benebelte die unausgeschlafenen Jungen. Kozruk befahl, die letzten Gebäude getrennt durchzukämmen. „Das Schwein wird längst über alle Berge sein."

Ein Mensch beobachtete furchtsam die beiden Jungen: Christine Zimdars. Sie stand unter der kleinen Holztreppe, die zu ihrer Wohnung hinaufführte. Was soll ich tun, dachte sie, was soll ich nur tun? Sie werden Balthar finden. Wo sollte ich ihn auch verstecken? Es war schon schwer genug, ihn mit der Hüftwunde die Treppe hochzuschleifen, ihn zu verbinden. Er war nicht rechtzeitig weggekommen, ein Minensplitter hatte ihn gestreift. Wenn Hans hier suchen würde, wäre alles leichter, er ist kein Mörder, aber dieser da ...

Hätte sie nichts tun sollen? Aber sie konnte doch Balthar nicht hilflos auf dem Hof liegen lassen, sie hatte ihm helfen müssen, und sie würde es auch weiter tun. Balthar war zu ihr immer wie ein Vater gewesen, und Vater hätte sicherlich ebenso gehandelt. Balthar war ein guter Mensch, er wollte das Dorf retten ...

Als Christine sah, dass der Stammführer die steile Treppe hinaufging, stieg sie ihm nach. Ihr Gesicht war bleich, Kozruk spähte in den halbdunklen Raum und erkannte gestapelte Säcke, zum Trocknen ausgebreitete Erbsen auf flachen Rosten und Stroh in der Ecke. Hinter ihm knarrte leise die Tür. Er drehte sich schnell herum, die Pistole in der Hand, den Finger am Abzug. Dann lächelte er, denn in der Tür stand Christine. Sie atmete hastig. „Stammführer?", sagte sie sehr leise, „Stammführer, hier oben ist niemand!"

Er musterte sie ungeniert und frech. „Woher weißt du denn das?"

Auf ihren Wangen zeigten sich rote Flecke, die sich rasch vergrößerten. „Ich habe hier aufgeräumt, das hätte ich merken müssen, bestimmt."

Der Junge dachte: Hier stimmt was nicht, sie muss was wissen. Laut sagte er: „Das werden wir gleich sehen!" Er ging einige wenige Schritte auf den Strohhaufen zu.

Christine blieb neben ihm und fasste seinen Arm. „Lass das Suchen", flüsterte sie, „es ist wirklich sinnlos, glaube mir!"

Im Stroh raschelte es leise, aber Kalle sah nicht hin. Ihm war ein Gedanke gekommen, ein teuflischer Gedanke, den seine Augen verrieten und seine Hände, die über die Arme des Mädchens glitten, über den zitternden Rücken, die schmalen Hüften und über die Brust.

Sie blieb unbeweglich stehen. Der Ekel würgte sie und machte sie steif. Sie dachte: Geschieht nicht bald etwas, kann Hans nicht kommen und dieses Tier niederschlagen? Ich muss es schaffen, ich muss Balthar retten, ich muss, ich muss ... Ihre Gedanken wiederholten sich und drehten sich wie ein Karussell, das man nicht stoppen kann.

Das Moor schweigt von Heinz Kruschel: TextAuszug