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Jenseits des Stromes von Heinz Kruschel
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
26.10.2014
ISBN:
978-3-95655-108-6 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 215 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Moderne Frauen, Belletristik/Politik
Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Liebesromane, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.)
DDR, LPG, SED, Dorfleben, Landarbeit, Dorfklatsch
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Eine Frau wartete. Sie stand am Zaun und wusste nur, dass der Mann jeden Abend durchs Dorf ging, und sie wartete auf ihn und kam sich nicht vor wie ein junges Mädchen, das während der Tanzstunde das Herz flattern spürt, ob sie denn wohl aufgefordert wird. Die Frau war über das Alter hinaus, sie hatte weder Tanzstunde noch Eltern kennengelernt, sie war immer genommen worden, meist gegen ihren Willen. Sie hatte vom Leben nichts mehr wissen wollen. Nun war dieser Mann gekommen, der ihr harte Worte gesagt hatte, über die sie lange nachdenken musste. Der Mann hatte sie nicht geil angesehen, er hatte ihr geholfen, wie er vielen im Dorfe geholfen hat, auf eine einfache Art, ohne große Geste, ohne viel Worte.

Der Mann gefiel ihr. Darum wartete sie auf ihn. Darum hatte sie die weiße Bluse mit dem runden Ausschnitt an. Darum hatte sie sich in ihrem Zimmer die Lippen nachgezogen, sich verlacht ob ihrer Ungeschicklichkeit, denn sie hatte einen Fleck in das Handtuch gerieben. Trude Blechschmidt hätte nicht erklären können, was in ihr vorging. Sie hatte sich gesagt: Es ist lächerlich, was du denkst, was du dir wünschst. Was weißt du von dem Manne, und wie werden die Leute reden, und du wolltest dich nie wieder mit einem Kerl einlassen, geh sofort ins Haus zurück und wisch dir die Lippen ab und zieh das geschlossene Kleid an.

Aber sie ging nicht. Sie hatte vor zwei Stunden aus Fiete Bohnsacks Laden Bohnenkaffee und eine kleine Flasche Kognak gekauft.

Sie sagte sich, wie zur Entschuldigung: Ich muss ihm von dem Gespräch erzählen, das ich im Laden mit angehört habe, er soll davon erfahren, darum stehe ich hier. „Das muss man dem Röske lassen", hatte die Bohnsack gesagt, „der hat uns alle hier aufgemöbelt und seine Aufgabe erfüllt wie wohl kein anderer. Aber nun ist es wohl genug, wir sind nicht dumm und würden uns ein Armutszeugnis ausstellen, nein, niemand kann von ihm verlangen, dass er ewig hierbleiben soll."

Ilse Prager hatte einen neuen Fünfzigmarkschein aus der Tasche geholt und geantwortet: „Siehst du, Fiete, das ist mehr als ein Schein, das ist eine Prämie, frisch und eben auf dem Felde erhalten. Du staunst? Als ich früher bei dir sauber machte als Mädchen, habe ich mal zwei Mark gekriegt, wenn ich auf meinen Sonntag verzichtete, manchmal aber nur; Schwamm drüber, die Zeit ist vorbei. Aber der Röske wird bleiben, verlass dich drauf. Es sei denn, er will selber weg."

Fiete hatte mokiert die Lippen gespitzt. Sie ließ sich nicht gern daran erinnern, dass die Prager mal ihr Dienstmädchen gewesen war. „Was soll er noch hier", hatte sie gesagt, „den Rest schaffen unsere Männer, keiner wird ihn halten können, keiner." Dabei hatte die Alte mich angesehen, dachte Trude, oder bilde ich mir das nur ein, sehe ich schon Gespenster? Nein, sie wollen den Röske los sein, die Fiete und Kätelhöhn und Projahn und Freddrich.

Als Karl Röske kam, verschränkte sie die roten, rissigen Hände auf dem Rücken und blickte ihm entgegen, als wäre es selbstverständlich für sie und ihn, dass sie sich trafen, als hätten sie sich verabredet. So stellte sie es sich auch vor.

„Ärgerst du dich noch?", fragte sie ihn.

„Ich weiß nicht, worüber", sagte er und grinste, „aber wenn ich dich sehe, sowieso nicht, du hast Staat angelegt."

„Eine frische Bluse nach elf Stunden Feld", sagte sie schnippisch.

„Sie gefällt mir."

„Deine Hose ist wieder trocken, was?"

„Ich glaube", sagte Röske und schlenkerte mit einem Bein wie ein übermütiger Junge.

„Und kein Schnupfen?"

„Nein."

„Da hast du Glück gehabt."

„Ach Gott."

„Du hast überhaupt Glück, Instrukteur. Die Zeitung hat auch eine Berichtigung bringen müssen. Das hast du gut gedreht."

„Das war ich nicht mal, sondern Roost", sagte Karl. Der alte Urban kam aus dem Haus, eine Angelrute über der Schulter, und grüßte schalkhaft. Heute würden die Fische beißen, meinte er, auch die Aale, nicht wahr, Trude?

Sie sahen ihm nach. Dann ging die Frau einige Schritte in den Vorgarten hinein, pflückte einen Blumenstern und sagte: „Dann will ich hoch. Oder hast du Lust auf eine Tasse Kaffee?"

„Das Herz verträgt sie, auch am Abend. Wo ich ohnehin noch zur Nachtschicht will, gern."

Trude Blechschmidt zögerte einen Augenblick in der Tür, dann stiegen sie schnell die schmale Treppe empor. Er sah sich neugierig in dem Zimmer um, während sie mit dem Geschirr klapperte. Es war einfach und sauber. Sie hatte alles vorbereitet. Der Kaffee war gemahlen, und die Tassen standen bereit. Das machte ihn froh und verlegen.

Sie tranken schweigend. Der Kaffee war stark gekocht. Dann rauchte er, während sie hastig von dem Gespräch im Konsum erzählte.

Sie schenkte einen Kognak ein.

„Auf dein Wohl, Mirza Kviek", sagte er.

„Das war einmal."

„Es passt aber besser zu dir."

Sie musste daran denken, dass vor Jahren in der Kutscherwohnung ein Mann ihr auch so gegenübergesessen hatte, der Sohn des Schiffsbesitzers Projahn, der Paul, ein starker Kerl. Sie wollte die Bilder zurückdrängen, aber es gelang ihr nicht. Er hatte Kognak getrunken und gelacht dabei. Was, dein Mann, hatte er geprahlt, lächerlich, der Kutscher, der Speichellecker, der Säufer. Wir werden heiraten, du lässt dich scheiden, was ist das für ein Leben für eine Frau wie dich. Schöne Worte sind Weihrauch. Trude hatte sie geglaubt, diese Worte, die ihr Herz streichelten, und sie gab sich dem Manne hin, während der eigene mit dem Gutsherrn unterwegs war. Immer kam Paul zu ihr, er wusste, wann sie allein war. Bis zu dem Tage, da sie ihn hinausprügelte, weil sie von der Verlobung mit Stine Bohnsack erfahren hatte. Die Prügel hatte er ihr bis heute nicht verziehen.

„Du bist still geworden, ich glaube, du hörst auch nicht zu", sagte Röske leise. „Müde? Es ist wohl auch Zeit."

„Bleib nur, manchmal spazieren die Gedanken, und man kann sie nicht aufhalten und möchte es gern."

„Dein Fehler, denk an heute."

„Leicht gesagt, es ist schon zu spät."

Er nahm ihre Hand. „Siehst du", sagte er, „deine Lebenslinie läuft bis zum Handgelenk. Du wirst achtzig Jahre alt und mehr. Dann hast du Zeit, dir die Vergangenheit zurückzuholen."

„Hokuspokus. Trinken wir."

Ihre Augen glänzten. Sie füllte die Gläser. „Was denkst du eigentlich von mir?"

„Ist das wichtig?"

„Sehr."

Sie sah an ihm vorbei. Röske liebte keine schönen Worte, er kannte Frauen, die nur Süßholz haben wollten. Aber diese ist anders, das fühlte er, das wusste er. Wenn man das durchgemacht hat, ist man misstrauisch jedem schönen Worte gegenüber.

„Was möchtest du hören?"

„Nichts."

„Das ist besser." Er erzählte von sich und seinem Leben, obwohl sie ihn nicht danach gefragt hatte, und von Weißlose. Hier würde man einen Fehler beseitigen und gleich drei neue dabei kennenlernen oder auch selber machen, meinte er, und dabei seien die Menschen nicht anders als in seinem Dorfe. Aber kann man sich wohlfühlen, wenn Menschen unglücklich sind?

„Man spricht gut über dich", sagte die Frau, „wir haben hier dahingeschludert, es war jedem gleichgültig, was geschah ..." Und nach einem Augenblick: Nun sei er gekommen ...

Röske schüttelte den Kopf. Was ist das schon. Ein Mann kommt ins Dorf, und alles verändert sich? Wenn das so leicht wäre. Viele hätten das tun können, Hansi oder Urban oder die Prager, Hingst, der Schäfer, Roost. Sie auch, die doch immer gewartet hat auf ein Leben ohne Herren.

„Früher", sagte sie, „früher haben wir es noch versucht, ich auch. Aber ohne Nutzen. Man musste nachher rabiat werden, um existieren zu können."

„Wem gehört denn die Produktion? Euch."

„Ein schönes Wort. Das Gefühl kannten wir hier nicht." Röske dachte: Sie hat recht. Ist es jetzt schon anders? Kann nicht ein Windstoß viel wieder zum Einsturz bringen? Er hat es gemerkt, als der Artikel erschienen war. Manche sind sofort zurückhaltend geworden.

„Auch du musst mir helfen."

„Was ist das schon."

„Für mich viel, Mirza."

„Ja, wenn man ein zweites Mal leben könnte, ganz von vorn."

„Man muss richtig leben."

Jenseits des Stromes von Heinz Kruschel: TextAuszug