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Holbein hämmert mit dem Klopfer gegen die Tür. Dumpf kommt das Echo aus dem Innern des Hauses. Nichts rührt sich. Noch einmal lässt er den Klopfer gegen die Tür fallen, dann schreit er: »Elisabeth!«
Zum ersten Mal nach langer Zeit ruft er wieder ihren Namen. Alles bleibt still.
Noch einmal:
»Elisabeth!«
Nichts rührt sich. Ist das wirklich sein Haus? Holbeins Augen wandern über die Fenster, die Tür, den Trittstein und die Hausmarke sein Haus! Und doch lässt ihn niemand ein. Wenn er früher an die Tür klopfte, so öffnete sie sich ... Ist es nun nicht mehr sein Haus?
Nach langem Warten wird in den Fenstern des Obergeschosses ein schwaches Licht sichtbar, eigentlich nur ein Schimmer. Holbein sieht hinauf. Täuscht er sich? Da öffnet sich ein Fensterflügel, wenn auch nur einen Spalt breit, und eine Stimme fragt: »Hans, bist du es?«
Die Stimme klingt so leise, so heiser und spröde, dass er kaum die Worte verstehen kann.
»Ja, ich bin es!«
»Warte einen Augenblick, ich öffne sofort.«
Holbein nimmt seinen Reisesack auf und starrt auf die Tür. Sie öffnet sich nicht. Elisabeth müsste längst unten sein. Weshalb zögert sie so lange? Noch immer rührt sich nichts. Erst nachdem wieder eine Spanne Zeit vergangen ist, kann er schlurfende Schritte hören, die sich unglaublich langsam der Haustür nähern. Und nun wird der Eichenriegel zurückgeschoben. Als die obere Tür sich öffnet, weicht Holbein entsetzt zurück. Eine Fremde! Das Gesicht einer Greisin, von wirren Haaren eingerahmt, sieht ihn eindringlich an, mager, abgezehrt, nur Haut und Knochen, ein Gesicht, in dem allein die Augen leben. Holbein wagt nicht, in ihren Tiefen zu forschen. Der Reisesack fällt ihm aus der Hand. Achtlos lässt er ihn in einer Pfütze liegen. »Elisabeth?« Seine Stimme ist rau und zersprungen.
»Ja, Hans, ich bin es. Willst du hereinkommen? Überlege es dir, wir alle sind krank. Mir geht es schon besser, aber die Kinder ... Ich weiß nicht, ob sie wieder aufkommen werden. Willst du hereinkommen? Es ist gefährlich. Ich öffne nur den barmherzigen Schwestern, deshalb habe ich nicht auf dein Pochen geachtet. Soll ich die Tür ganz öffnen?«
»Ja, ja ... mach auf, ich fürchte mich nicht.«
Frau Elisabeth schiebt nun auch den Riegel der unteren Tür zurück. Sie kann sich dabei kaum auf den Beinen halten.
»Willst du deine Sachen draußen lassen? Sie könnten gestohlen werden.« Er kehrt um und holt den Reisesack herein. Im Haus sieht es unordentlich und unwohnlich aus. Fassungslos stellt Holbein seinen Reisesack in die Diele neben Holzspäne, neben einen zerbrochenen Stuhl und einen Korb verfaulter Äpfel. Der Magen droht sich ihm umzustülpen.
»Bist du hungrig? Willst du essen?«
»Bemühe dich nicht. Ich werde für mich sorgen. Es ist kalt hier. Du wirst dich erkälten.«
Frau Elisabeth lacht bitter auf.
»Erkälten! Was ist schon dabei ...«
Als Holbein sieht, wie mühsam seine Frau die Treppe hinaufsteigt von Krankheit und Kummer gebeugt, ohne Kraft, da zerbricht etwas in ihm: ein Damm, hinter dem er sich völlig sicher geglaubt hat. Tränen stürzen aus seinen Augen. Zum ersten Mal seit Jahren weint er. Stöhnend lässt er sich auf eine Bank fallen. Er stürzt in einen Abgrund der Verzweiflung. Woran soll er sich festhalten, um diesem Sturz zu entgehen? Sein Blick fällt auf den Reisesack. In ihm sind die Zeichnungen von Jeanne Trechsel - der Abgrund ... In ihm ist aber auch der Geldbeutel von Monsieur Trechsel. Er weiß plötzlich, was er mit diesem Geld zu tun hat: gute Ärzte müssen her! Elisabeth muss genesen und die Kinder - er wagt nicht, an sie zu denken ...
Mühsam steht er auf und geht in die Küche. Barmherziger Gott, wie sieht es in Frau Elisabeths geliebtem Paradies aus! Scherben, Asche, verdorbene Lebensmittel, Spinnweben, Schmutz ... Dazu ein unerträglicher Gestank! Er öffnet das Fenster und hört, dass draußen der Regen noch stärker geworden ist. Er steckt den Kopf hinaus und lässt die eisige Nässe über das brennende Gesicht laufen. Dann wischt er Tränen und Regentropfen mit dem Ärmel fort.