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Die stumme Braut von Renate Krüger
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
30.06.2014
ISBN:
978-3-86394-316-5 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 217 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Christlich/Geschichte, Belletristik/Jüdisch, Belletristik/Moderne Frauen, Belletristik/Verbrechen, Belletristik/Politik
Abenteuerromane, Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Bezug zu Christen und christlichen Gruppen, Kriminalromane und Mystery, Bezug zu Juden und jüdischen Gruppen
Judenverfolgung, Scheiterhaufen, Mittelalter, Mecklenburg, Sternberg, Wismar, Antoniter, Begine
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Mit dem Vierschornsteinhaus für Bartholomäus Lembcke in Rostock war es nichts geworden, denn Herzog Magnus war zu der Meinung gekommen, Lembcke hätte sich nicht genug für die fürstliche Sache eingesetzt, sondern sei vor allem seinen eigenen Interessen gefolgt. Eine jüdische Büchersammlung, Professor der hebräischen Sprache - welch ausgefallene Ideen! Dafür konnte er keine besonderen herzoglichen Privilegien erwarten oder gar fordern.

Als in Sternberg Fragen laut wurden, ob die Juden denn wirklich ein so hartes Schicksal verdient hätten, ließ der Herzog das Haus, in dem Lembcke die Bücher und die weniger wertvollen Kultgegenstände zusammengetragen hatte, kurzerhand in Brand setzen, und die Redereien verstummten.

Lembcke kehrte in sein Studierstübchen an der Rostocker Jakobikirche zurück, fand dort aber keine Ruhe und Muße zum Studium mehr. Das Verhalten des Herzogs hatte ihn enttäuscht. Die Professoren ließen keine Möglichkeit vorübergehen, ihn als dahergelaufenen Herzogsgünstling an den Pranger zu stellen, ihn zu demütigen und zu verleumden. Als sie erfuhren, dass der Herzog für Lembcke nichts mehr übrig hatte, wurde es noch schlimmer. Die Studenten mieden den Doktor. Trotz bescheidenster Lebensführung fand er sein Auskommen nicht mehr.

Als er einem der Fraterherren, der auch an der Universität unterrichtete, seine Schwierigkeiten schilderte, empfahl der ihm, Rostock und die Universität aufzugeben und sich in der Stadt Wismar niederzulassen. Er habe gehört, dass der dortige Rat einen Schreiber suche. Es gäbe in Wismar genug Kaufleute und Schiffseigner, die für Schreiber- und Juristendienste etwas springen ließen. Mit großer Wissenschaft habe das freilich wenig zu tun, aber der Broterwerb sei nun einmal wichtiger. Der Doktor solle in Wismar die Verwandte des Fraterherrn, die Begine Dorothea van der Gheenst, aufsuchen, die werde ihm schon weiterhelfen.

Es fiel Bartholomäus Lembcke ganz und gar nicht leicht, Abschied von seinen wissenschaftlichen Träumen zu nehmen, aber er war nüchtern und weltklug genug, um sich nicht an Träume zu verlieren. Was er von seinen Habseligkeiten selbst tragen konnte, nahm er mit auf den Fußweg nach Wismar. Bücher und Schriften ließ er in der Obhut des Fraterherrn, der sie beim nächsten Besuch seiner Verwandten mitbringen wollte.

Es zeigte sich schon bald, dass Bartholomäus Lembcke mit seiner Umsiedlung nach Wismar die richtige Entscheidung getroffen hatte. Er konnte die Arbeit, die man ihm anbot, kaum schaffen, und mit den Wismarer Kaufleuten und Schiffseignern ließ sich viel besser auskommen als mit den Rostocker Professoren. Sie waren nüchtern und konnten rechnen. Wenn man gut plante, arbeitete und rechnete, zeigte sich das Ergebnis als handfeste Summe aus großen und kleinen Münzen, und Lembckes Anteil konnte genau bestimmt werden und war nicht nur von Wohlwollen oder Missgunst seiner Auftraggeber abhängig.

Er kam schnell zu einem kleinen Überschuss und dann zu wachsenden Ersparnissen. Allmählich wuchs die Aussicht, dass Lembcke das kleine Haus, das ihm der Wismarer Rat zugewiesen hatte, zu seinem Eigentum machen könnte. Und seine Gedanken wagten sich noch weiter in die Zukunft: er wollte heiraten und einen eigenen Hausstand begründen. Und er wollte auf den Tag hinarbeiten, an dem er selbst einen Ratsherrenstuhl einnehmen würde.

Der größte Gewinn erwuchs ihm daraus, dass er dem Wismarer Rat unentbehrlich wurde, weil er sich mit den jüdischen Gepflogenheiten auskannte. Man hatte sich nämlich der herzoglichen Anordnung, alle Juden aus der Stadt auszuweisen, gebeugt, nicht so sehr im Gehorsam gegen den Landesherrn, sondern mehr in Hinsicht der vielen Vorteile, die man selbst davon hatte.

Man achtete streng darauf, dass alles nach Recht und Gesetz ablief. Taufe oder Ausweisung - das war doch sehr großzügig! Und wie eindringlich hatte man auf die angesehenen und reichen Juden eingeredet, sich doch nicht durch Verstocktheit und Starrsinn ins eigene Unglück zu stürzen und sich taufen zu lassen! Aber sie hatten es nicht anders gewollt und die Ausweisung gewählt.

Sie durften mitnehmen, was sie von der Stelle bewegen konnten, und schleppten mehr, als sie zu tragen vermochten. Noch lange sprachen die Leute vom weggeworfenen Judenschatz, der hier und da den Weg säumte, den sie gegangen waren. Was sie zurückließen, wurde genauestens inspiziert, verzeichnet, geschätzt, berechnet und an treue Hände zur Verwaltung übergeben.

Diesen Bereich konnte man sich ohne Doktor Bartholomäus Lembcke gar nicht mehr vorstellen. Hier kam Vermögen zusammen, hier häufte sich Reichtum an, hier floss Geld. Auf jüdisches Gerät und jüdische Bücher legte kaum jemand Wert, und Lembcke fühlte sich nicht im Unrecht, wenn er solche Dinge auf die Seite legte und auf dem Dachboden seines Hauses unterbrachte. So hatte er doch wieder eine eigene Schriftensammlung. Irgendwann würde er Zeit finden, seine hebräischen Studien fortzusetzen.

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