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Der Magen von Paris von Bernhard Kellermann
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Preis E-Book:
0.99 €
Veröffentl.:
14.10.2025
ISBN:
978-3-68912-589-9 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 26 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Politik, Belletristik/Afroamerikaner/Allgemein
Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Paris, Markthallen, Großstadtleben, Reportage, Nachtszene, Straßenleben, Gesellschaft, Industrialisierung, Menschenmassen, Armut, Reichtum, Blumenmarkt, Fischmarkt, Fleischhalle, Kneipenleben, Lichter der Stadt, Sittenbild, Zeitdokument, Stadtgeschichte, Frühmoderne
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Bei Barrat kann man vornehm und reinlich, allerdings auch teuer, dinieren, befrackte Kellner mit verschlagenen Mienen und süßester Höflichkeit servieren. Barrat ist ein besseres Restaurant, wo sich die elegante Halbwelt versammelt, die ergebnislos bei Bullier tanzte und in den Tavernen vom Boulevard St-Michel promenierte. Hier spielt eine Kapelle, Paare drehen sich mit der unnachahmlichen Grazie der Pariser Tänzer, die Seidenhüte glänzen, und die gestickten Vorhemden blenden. Hier sah ich einmal ein Mädchen, das zu den schönsten Frauen zählte, die ich je erblickte. Sie hätte mit Adel einen Fürstenthron geziert.

Interessant ist es jedoch, den „Caveau des Innocents“ oder den „Ange Gabriel“ zu besuchen, die zwei berüchtigtsten Lokale von Paris. Den Eingang zum „Caveau des Innocents“ bildet eine kleine Bar, die man durchquert, um eine schmale steile Treppe hinabzusteigen. Dumpfe, verdorbene Luft und tobender Lärm steigen einem wie durch einen Kamin entgegen. Der Keller besteht aus etwa vier kleinen niedrigen Gewölben, die einem oder zwei kleinen Tischen Raum geben und vollgepfropft sind von schreienden, schlafenden, lachenden und stumm-verzweifelten Menschen. Zumeist sind es Apaches, alles dunkle Existenzen mit eindeutigen Gedanken hinter den geduckten Stirnen und verwegener Entschlossenheit in den glänzenden, unverhohlen prüfenden Augen. Im ersten Kellergewölbe sitzen zwei Stadtsergeanten mit Pistolen vor sich auf dem Tische. Verschlagene, freche, totenbleiche und abgelebte Gesichter heben sich erstaunt und neugierig. Das Lächeln der gesunkensten Dirnen von Paris grinst an den Tischen. Im letzten Gewölbe befindet sich ein ununterbrochen tobendes Klavier, das Gesänge begleitet, die einzeln oder im Chor gesungen werden. Der Text dieser Lieder ist nicht wiederzugeben, doch hörte ich einen Fremdenlegionär ein sehr schönes und schwermütiges Lied mit großem Anstande vortragen. Der Lärm hier ist unbeschreiblich. Ein junges, etwa fünfzehnjähriges Mädchen mit lieblichem Gesichte und unschuldig blickenden Augen verbringt hier seine Nächte, es singt, lacht und trinkt. Der Kopf des Klavierspielers ist wie eine Vision des Entsetzens, er ist ganz starr, bleich, ohne jedes Leben, mit großen, rollenden Augen, und ich würde ihn für tot gehalten haben, hätten nicht die Hände gehämmert und die Augen gerollt. Man erzählte mir, dass er taub und blind sei. Der „Caveau des Innocents“ ist alt, eine Kneipe, die die Toleranz der Polizei seit Jahrhunderten Verbrechern und Dieben und Arbeitsscheuen zur Belustigung und als einen Unterschlupf für die Nacht offenlässt. Die Wände sind mit Namensinschriften bedeckt, man zeigte mir die Namen berühmter Verbrecher.

Einen ganz anderen Charakter bietet der „Ange Gabriel“. Hier ist es schmutzig-elegant, das Publikum ist besser gekleidet, man entdeckt sogar Seidenhüte, und die aufgeschwemmten Damen, die hier Austern schlürfen, tragen Brillantboutons in den Ohren und feine Spitzen über den dicken Händen. Der „Ange Gabriel“ ist aber, wenn möglich, noch berüchtigter als der Caveau der Unschuldigen. Hier ist es still, etwas Atemverhaltenes, Lauerndes liegt in der Luft, und eine traurige Ironie grinst aus den schlechtgemalten Darstellungen von Szenen, in denen der Erzengel Gabriel figuriert, die die Wände bedecken. Hier kann man Augen sehen, die eine Tragödie enthalten, und ein Lächeln kann die letzte menschliche Verworfenheit offenbaren. Die Gäste hier sind geübt in der Beurteilung und Einschätzung der Menschen, mit einem scharfen, blitzschnellen Blick ist die Prüfung beendigt. Die Sprache ihrer Mimik ist hoch entwickelt, ein leises Senken des Augenlids übermittelt dem andern Beobachtungen, Abmachungen, Pläne etc. Ich habe hier ein kleines Abenteuer erlebt.

In all den hundert Kneipen rings um den Hallen kreist in jeder Nacht ein wirres und unfassbares Leben, der hüpfende, tanzende Schaum und Schmutz, den der große, tosende Strudel gegen die steinernen Ufer schleudert.

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