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Reisen in Asien von Bernhard Kellermann
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
12.11.2025
ISBN:
978-3-68912-609-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 842 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Politik, Belletristik/Afroamerikaner/Allgemein
Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Asienreise, Japan, Indien, Persien, Tibet, Kambodscha, Siam, Thailand, Tempel, Kolonialzeit, Kulturbegegnung, Abenteuer, Spiritualität, Reisebericht, Beobachtungen, Menschenbilder, Tradition und Moderne, Weltliteratur, Entdeckungsreise, Fernweh, Reportage
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Wieder sind wir unterwegs.

Nur ungern haben wir der alten freundlichen Stadt Jezd Lebewohl gesagt. Mohammed Aga sitzt wieder auf dem Trittbrett, mit einer Ruhe und einem Gleichmut, als sei er entschlossen, auf seiner Benzinkiste die Reise um die Erde zu machen.

Ein neuer Passagier ist dazugekommen: ein kleiner Hund, Bulbul genannt, die Nachtigall. Wir haben ihn winselnd und elend in der Gasse der Seidenweber aufgefunden und mitgenommen. Er ist noch völlig hilflos und sieht eher aus wie ein weißes Lämmchen.

Der Weg von Jezd nach Kirman führt anfangs durch den fruchtbaren Vegetationsgürtel, der die Stadt umschließt. Bald aber bleiben die grünen Felder und die Gärten mit Maulbeerbäumen zurück. Die Ruine der großen Karawanserei von Mohammadabad wirkt fast wie ein zerfallenes Schloss, so imposant hatte Schah Abbas sie angelegt. Wir fahren über Grus und Sand und lange Strecken durch das Geröll ungeheurer, flacher Flussbette, ein Riesendelta von Steinen und Schwemmsand. Dann durchqueren wir eine Reihe riesiger Hochebenen, die nur durch niedrige Sättel voneinander getrennt sind. Es ist dunstig geworden, und ein eisiger Sturm weht, so dass wir uns in unsere Mäntel wickeln müssen. Vor uns, etwas nach Osten zu, tobt ein Sandsturm. Die Wirbel tanzen über die Wüste. Man sieht sie entstehen, sich emporrecken, drehen – dann setzen sie sich plötzlich in Bewegung. Ein Wirbel fegt auf uns zu und packt uns so heftig, dass der Wagen nicht mehr vorwärts kommt. Im Nu hat der Sturm das Dach des Autos aufgerissen. Mohammed Aga ist in heller Angst, sein Wagen könnte vollständig in Trümmer gehen. In aller Eile schnürt er das zerfetzte Dach notdürftig fest.

Die Gegend ist die ärmste, die ich in Iran passierte. Kaum ein armseliges Dorf, ein paar öde, geschwärzte Gendarmeriestationen. Den ganzen Tag über begegnen wir ein paar Eseln, nichts sonst. Bei der alten Karawanserei Shima liegt hinter den zu einer Mauer aufgeschichteten Lasten, frierend unter den eisigen Windstößen, eine Karawane von etwa sechzig Kamelen. Sie bringt Hennablätter nach den Mühlen von Jezd.

In der Dämmerung erreichen wir, völlig durchfroren, das Dorf Anar. Der Telegrafist der Telegrafenstation, ein Armenier, der gut Englisch spricht, nimmt uns freundlich in seinem Garten auf.

Dieses Dorf Anar, halb oder besser gesagt dreiviertel Ruine, ist ein wahrhaft armseliges Nest. Gegen die Wüste zu liegen die Trümmer eines Räuberdorfes, das man niederbrannte, um die Wegelagerer auszuräuchern. Noch stehen Teile der Türme und der dicken Mauern. Der Gouverneur, der den Räuberhauptmann gefangen nahm, drohte ihm die Zunge ausschneiden zu lassen. Der Räuber kaufte sich von dieser Folter für den Preis von hunderttausend Toman frei, wurde aber trotzdem gehängt.

In den sechs Monaten, die der Telegrafist in Anar verbrachte, passierten im Ganzen drei Europäer das Dorf. Er ist glücklich, etwas plaudern zu können. Seine Frau lag drei volle Monate zwischen Tod und Leben, und er musste ihr Pfleger und Arzt zugleich sein. Er behandelte sie nach den Anweisungen, die ein Arzt in Jezd telegrafisch erteilte. Noch heute steht ihm der Schrecken im Gesicht geschrieben.

Hat man den Trümmerhaufen von Anar gesehen, so ist man erstaunt über die Üppigkeit und Größe der Felder, die zum Dorf gehören. Die Bauern, in langen Reihen aufgestellt, sind eben dabei, zu rigolen. Sie sind nichts anderes als Leibeigene. Ganz Anar gehört zum größten Teil ein paar Reichen und den Mollas. Der Bauer erhält für seine Arbeit jährlich hundert Man Gerste, seinem Herrn erarbeitet er fünfzehnhundert Man. Geht ihm das Korn im Winter aus, so lässt sich der Herr herab, ihm Gerste vorzustrecken, er fordert aber für ein Man bei der nächsten Ernte drei Man zurück!

Unsere Hoffnung, der Sturmwind von gestern würde sich über Nacht gelegt haben, erfüllte sich nicht. Kaum waren wir aus den Feldern Anars heraus, so fegte der Orkan auch schon wieder über die Hochflächen.

Die Tromben wirbelten und tanzten. Östlich von uns wogten Rauchfetzen einer bösen schwefelgelben Färbung bis zu den Wolken empor und verhüllten die Gebirge, ewig wechselnd, rastlos und unbegreiflich. Neue Sandwirbel erhoben sich aus der Wüste. Manche bewegten sich kaum von der Stelle, andere flogen rasch dahin. Jetzt sind sie auch hinter uns! Schwarze Rauchwolken schrauben sich empor und beginnen gespenstisch zu ziehen. Die Wüste sieht aus, als flöhen Abertausende von Schafen in rasender Flucht.

Nun aber sind die Luftwirbel ringsum. Wir müssen hindurch! Im Augenblick sind wir vom sausenden Sand eingehüllt. Nichts ist zu sehen, der Chauffeur tastet sich vorwärts, kaum dass man eine Staude am Boden erkennt.

Ein derartiger Sandsturm in einem Auto, dessen Motor intakt ist, bedeutet nichts als eine Unbequemlichkeit. Das Auto durchfährt die wirbelnde Zone in einer Viertelstunde, in zehn Minuten. Diese Zone aber auf dem Rücken eines Tieres zu durchqueren muss eine geradezu ungeheure Anstrengung sein.

Reisen in Asien von Bernhard Kellermann: TextAuszug