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Am Bahnsteig steht schon der Bernauer. Der Zug nach Bernau. Den nehme ich. Sonst muss ich wieder sieben Minuten warten. Dann lieber umsteigen. Hinter mir drängeln zwei ältere Frauen mit lauter großen schwarzen Taschen in den Wagen. Der Wagen ist um diese Zeit ziemlich leer. Aber sie setzen sich nicht hin. Sie gucken ängstlich umher. Ihre Taschen halten sie fest. Vielleicht haben sie ihre Millionen da drin. Oder ihre Juwelen. Nein, nein, Elsbeth, sagt die eine, der Beamte hat doch gesagt, wir können jede Bahn nehmen. Aber da steht Bernau dran, Lichtenberg steht da nicht dran, Charlotte, sagt die andere. Bernau betont sie auf der ersten Silbe: Bernau. Jetzt guckt Charlotte mich an. Der Zug fährt doch nach Lichtenberg, ja?, fragt sie. Nun guckt mich auch Elsbeth an. Ich bin die Reichsbahnauskunft. Ich sage: Nein, der fährt nach Bernau. Sie müssen in Ostkreuz umsteigen. Die Treppe runter. Richtung Strausberg. So, sagt Charlotte, wie viel Stationen sind das denn so? Die vierte, sage ich. Ach, sagt Charlotte. Sie setzt sich hin und lässt ihre Taschen ein bisschen los. Elsbeth traut mir noch nicht ganz. Sie hat den Streckenplan an der Wand entdeckt. Aber sie findet sich nicht zurecht. Sie ist mit dem Finger in Westberlin. Ach sieh mal, Charlotte, sagt sie, hier ist Bahnhof Zoo, wo Karlchen immer Pscht, macht Charlotte. Nun weiß ich nicht, was Karlchen immer beim Bahnhof Zoo Schlimmes gemacht hat. Vielleicht ist er da Gangster gewesen? Aber Gangster heißen doch nicht Karlchen. Hier ist ja Friedrichstraße, sagt Elsbeth, da muss man aussteigen, wenn man zum Friedrichstadt-Palast will. Da waren wir damals mit Alfons, als dort noch die Korsische Nachtigall gesungen hat. Aber wo ist denn nun Lichtenberg? Meinst du wirklich, wir sind im richtigen Zug, Charlotte? Charlotte sagt: Aber ja doch, du hast doch gehört, was der Kleine gesagt hat. Trotzdem guckt sie schon wieder etwas zweifelhaft. Das gefällt mir. Erst bin ich die Reichsbahnauskunft, und nun bin ich der Kleine. Bahnhof Plänterwald steigt ein Mann mit abgeschabter Lederjacke und Schiebermütze ein. Er setzt sich gegenüber von Elsbeth und Charlotte. Was nun kommt, weiß ich. Klarer Fall. Es geht schon los. Ach, verzeihen Sie, sagt Charlotte, wir wollen nämlich nach Lichtenberg, und ob wir da wohl richtig sind in diesem Zug? Die tun so, als ob ich gar nicht da bin. Erst guckt der Mann sie still an und sagt überhaupt nichts. Dann sagt er: Nee, meine verehrten Damen, nee, nee, nee. Er wackelt ein bisschen auf dem Platz hin und her und guckt ganz müde. Klarer Fall. Der hat einen kleinen Schnaps getrunken. Vielleicht auch zwei. Charlotte und Elsbeth machen erschrockene Gesichter und sammeln ihre Taschen ein. Da sagt der Mann: Momang, liebe Frauen. Also, also die Sache ist doch folgende, der Zug als solcher, nicht wahr, der fährt nach Bernau. Aber Sie haben die Möglichkeit, nicht wahr, des Umsteigens. Einfach in Ostkreuz immer die ollen Treppen runter. Aber det Se mir nicht hinfallen. Er droht aus Spaß ein bisschen mit dem Zeigefinger. Vielen Dank, sagt Elsbeth. Sie setzt sich ganz kerzengerade hin und guckt streng. Charlotte genauso. Einer ist ihnen zu klein, einer hat ihnen zu viel Schnaps getrunken. Was müssen sie auch verreisen. Aber in Lichtenberg is nischt los, sagt der Mann, komm Se mit mir nach Heinersdorf in meinen Jarten, da wächst richtiget grünet Gras, da können Se ausspannen, aber Lichtenberg, nee. Er schüttelt sich. Vielen Dank, sagt Charlotte. Sie setzt sich noch gerader hin. Elsbeth genauso. In Ostkreuz steige ich schnell aus. An der Treppe drehe ich mich um. Elsbeth und Charlotte umzingeln gerade den Stationsvorsteher.