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Der Glatteisagent - Eine Geschichte aus der Zeit des Kalten Krieges von Ulrich Hinse
Autor:
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Preis E-Book:
9.99 €
Buch:
12.80 €
Veröffentl.:
07.01.2015
ISBN:
978-3-95655-252-6 (Buch), 978-3-95655-248-9 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 236 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Thriller/Spionage, Belletristik/Thriller/Politik
Abenteuerromane, Spionagethriller, Politthriller/Justizthriller
Agent, Kundschafter, Spionage, Verrat, Reiner Paul Fülle, Stasi, BKA
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Unter der Wendeltreppe schob Fülle eines der beiden Fahrräder beiseite, zog seinen Mantel aus und stopfte ihn unter die Kartons. Danach rückte er das Fahrrad wieder auf die alte Position. Es war nicht abgeschlossen, hatte aber einen Plattfuß. Eine Luftpumpe sah er nicht. Auch nicht an dem zweiten Rad, welches mit einer dicken Kette zwischen Hinterrad und Rahmen gesichert war. Über die Treppe kamen Personen herunter. Zum Weglaufen war es jetzt zu spät. Also ging er den sich intensiv und laut unterhaltenden Personen entgegen. Drei waren es, die ihm entgegenkamen. Dem äußeren Anschein nach, schon allein wegen der nachlässigen Kleidung, Studenten. Sie unterbrachen ihren Redefluss und schauten ihn neugierig an. Fülle grüßte höflich, dann ging er die Treppe weiter nach oben, so, als wenn er das jeden Tag machte. Die drei jungen Leute erwiderten den Gruß und verschwanden nach draußen, ohne sich weiter um ihn zu kümmern. Die Tür warfen sie mit einem lauten Knall ins Schloss.

Im ersten Stock angekommen, überlegte er, ob er sich nicht doch besser für die noch im Haus arbeitenden Studenten unsichtbar machen sollte. Er dachte wieder an die Toilette. Aber er wurde einer Entscheidung enthoben, weil erneut einige Leute laut lachend die Treppe hinunterstürmten, ihn kurz musterten, aber ohne Kommentar weiter nach unten liefen. Einer der ziemlich bunt angezogenen jungen Männer hatte noch einen Pappbecher in der Hand. Mit Alkohol. Das war zu riechen, als er sich direkt neben Fülle vorbeidrängelte. Es wurde demnach nicht gearbeitet, sondern gefeiert. Langsam stieg er weiter nach oben. Den Flur kannte er noch vom Vorabend. Zuerst kam er an der Tür zur Damentoilette vorbei, dann an der für Herren. Einen Moment blieb Fülle stehen. Er musste schmunzeln. In dem Moment wurde er von hinten angesprochen.

„Wasch machet Sie denn hier?“, wollte eine kräftige Bassstimme von ihm wissen. Das war der Hausmeister. Die Stimme war nicht zu verwechseln. Seit gestern war sie ihm noch gut in Erinnerung. Langsam drehte sich Fülle um. Er musterte sein Gegenüber ebenso, wie der es tat.

„Meierhofer“, stellte Fülle sich vor, „ich bin von der Abteilung Akademiefinanzierung im Regierungspräsidium. Von mir bekommt die Kunsthalle ihr Geld. Ich wollte einmal nachsehen, wie das hier so zum Feierabend zugeht. Und Sie sind der Hausmeister?“

„Jo, ich bin der Eisele. Ich bin hier Mädle für alles. Aber mir hat koiner gesagt, dasch jemand von der Regierung kommet.“

„Nun, Herr Eisele. Das konnte auch niemand, da ich niemanden von meinem Besuch vorher unterrichtet hatte. Ich wollte ein völlig unverfälschtes Bild erhalten.“

„Dasch ischt aber dumm. Ich wollt gerad gehe. Sie müsset wisse, mir habet eine kloine Familienfeier hoit. Aber wenn Sie gehet, ziehet Sie gerad die Tür unter der Wendel hinter sich zu. Mehr müsset Sie net mache.“

„Danke, Herr Eisele, ich komme zurecht.“

„Ja, und sehet Sie zu, dasch wir mehr Geld bekomme. Für die viele kloine Schäde hier und da.“ Eisele drehte sich um, winkte noch einmal nett und verschwand mit seinem wehenden, grauen Kittel die Treppe hinunter. Fülle atmete tief durch.

„Puh. Das ist gerade noch einmal gut gegangen. Aber Dreistigkeit siegt“, stellte er ohne Überheblichkeit in einer Art Selbstgespräch fest. Einige Meter weiter stand eine Tür einen Spalt breit offen. Aus dem Raum drangen Gelächter, laute Stimmen und hin und wieder ein Prost. Das Erlebnis mit dem Hausmeister hatte ihm Mut gemacht. Er ging zu der Tür, steckte den Kopf durch die Öffnung und grüßte höflich. Die Anwesenden ließen sich in ihren Gesprächen nicht unterbrechen. Niemand fragte danach, wer er sei und was er wollte.

„Kommen Sie rein und feiern Sie mit. Andreas hat sein Examen bestanden. Das muss gefeiert werden. Auch wenn noch Semesterferien sind. Also, feiern Sie mit.“

„Wer ist denn Andreas? Ich möchte zumindest mit ihm auf seinen Erfolg anstoßen.“ Der ihn begrüßt hatte, zeigte auf einen jungen Mann gegenüber und drückte ihm einen Pappbecher in die Hand. Fülle schnupperte daran. Es war wohl Sekt. Er hob den Becher, prostete Andreas zu, der aber bereits so voll war, dass er gar nicht mitbekam, dass ein neuer Gast zu der Gruppe gestoßen war. Zum Essen gab es nicht viel. Erdnüsse, Salzstangen und einige angebrochene Tüten mit Chips lagen wild herum. Um ihn kümmerte sich keiner mehr. Alle hatten mit sich selbst oder den zwei, drei Studentinnen zu tun, die sich, offensichtlich schon reichlich angetörnt, mal dem einen, mal dem anderen an die Brust warfen. Fülle blieb in dem Kreis, in dem keiner fragte. Langsam wurden es immer weniger. Als einer der Letzten wurde Andreas, gestützt auf zwei Kommilitonen, aus dem Raum geführt.

Plötzlich war Fülle allein. Allein mit dem restlichen Sekt, einer halben Literflasche Cola, den Erdnüssen und Salzstangen. Er ging zur Tür und lauschte. Im ersten Stock waren die Transporteure von Andreas wohl erst einmal lang hingefallen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder so aufgerappelt hatten, dass sie weitergehen konnten. Eine Minute später hörte Fülle die Tür unten laut ins Schloss fallen. Er war wieder allein. Hier oben war es warm. In einer Ecke lag eine Matratze, auf der die Studenten zuvor gesessen hatten. Hier war es besser zu bleiben als unter der doch relativ kalten Wendeltreppe. Er knabberte an den Salzstangen, trank die restliche Cola und dachte nach. Hier in der Kunstakademie war sein Asyl vorbei, das war ihm völlig klar. Hier konnte er nicht mehr bleiben. Eisele würde sich schon sehr wundern, wenn am nächsten Tag der Regierungsvertreter wieder im Haus herumlief. Er musste weg. Aber wohin?

Hier in Karlsruhe würde sich jeder, der ihn kannte, auf ihn stürzen. Der ganze Aufwand, den er betrieben hatte, um dem Knast zu entgehen, wäre umsonst gewesen. Seine Frau konnte er nicht anrufen. Das BKA würde mit Sicherheit sein Telefon abhören. Zur Bank konnte er ohne seine Bankkarte auch nicht. Außerdem hatten ja alle schon im Fernsehen die Fahndung nach ihm mitbekommen. Seine freie Zeit wäre in diesen Fällen sehr begrenzt. Nein, er musste aus der Stadt hinaus. Mit den paar restlichen Kröten in der Manteltasche kam er nicht weit. Bus und Bahn schieden damit aus. Blieb allein das Fahrrad. Je länger er darüber nachdachte, erschien ihm das Zweirad als einzig denkbarer Weg, Karlsruhe zu verlassen. Aber wohin? Über die Rheinbrücke in die Pfalz und weiter nach Frankreich? Das wäre machbar. Wie aber reagierten die Franzosen? Kam er, ohne bemerkt zu werden, über die Grenze? Nein, er musste irgendwie in die DDR kommen. Aber wie?

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