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«Immer aus ein und derselben Richtung zu wehen fällt mir schwer», meint er, «und langweilig ist es außerdem. Aber weil du es bist, der darum bittet, will ich es wenigstens versuchen. Vielleicht», fällt ihm ein, «können wir ein Abkommen schließen. Tagsüber wehe ich aus einer Richtung, abends brätst du Kartoffeln!»
Er gähnt, «Da-as ließe sich ein-einrichten», sagt er schläfrig.
«Abgemacht!», ruft der Müller, springt auf und schüttelt dem Wind die Hand.
Der Wind verzieht schmerzlich das Gesicht, denn der Müller hat einen kräftigen Händedruck. Eilig verschwindet der Wind zwischen den wilden Rosen.
Piet Himp aber steht froh auf dem Mühlenberg und triumphiert im Stillen.
In den nächsten Tagen bläst der Wind tatsächlich wunderbar gleichmäßig aus West.
Piet Himp schafft nun das Doppelte an Arbeit wie vor dem Abkommen. Mehr Korn als je zuvor kann er an einem Tage mahlen. Die Bauern aber misstrauen diesem plötzlichen Wandel. Obwohl es ihnen früher nicht passte, dass sie sechs Tage lang auf ihr Mehl warten mussten, weil «dat väl tau lang duert», passt es ihnen jetzt nicht, dass es nur drei Tage dauert, denn «dat geiht wedder tau fix», sagen sie und schütteln die Köpfe.
Abends sitzen Piet Himp und der Wind meist friedlich zusammen bei ihren Bratkartoffeln.
Doch einmal geschieht etwas Unerwartetes. Während des Essens beißt der Wind auf einen Salzklumpen. Er verzieht das Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse. Dann reißt er Augen auf und Mund! Er spuckt in hohem Bogen.
«Salz!», zischt er böse. «Ein ganzer Klumpen!»
Und wild beginnt er mit den Armen zu fuchteln. Dann fährt er von seinem Mühlstein senkrecht in die Höhe und dreht sich über Piet Himp wie ein Kreisel.
Der Müller zieht den Kopf zwischen die Schultern und blinzelt erschrocken in die Höhe.
Was hat er vor, der Wind? Wird er sich plötzlich fallen lassen? Steigt er höher hinauf? Fährt er aus seiner Haut? Dreht er? Aber nichts von all dem passiert!
Stattdessen pustet der Wind sich immer mehr auf. In wenigen Minuten nimmt er einen bedrohlichen Umfang an. Selbst die kleine bunte Kappe schwillt beängstigend. Zuerst ähnelt sie noch einer übergroßen, schillernden Seifenblase, dann einem bis zum äußersten aufgeblasenen Ballon.
Piet Himp will dem Wind ein Zeichen geben, herabzukommen, sich zu beruhigen.
Er winkt.
Er ruft.
Vergebens! Der Wind achtet nicht auf ihn, treibt es nur noch ärger. Wütend beginnt er zu toben, zu pfeifen. Plötzlich stürzt er sich herab, reißt Piet Himp die Müllermütze vom Kopf und lässt sie mit einem einzigen Pfiff bis hinauf zu den Wolken steigen.
Der Müller beachtet das kaum. Nur der Mühle gilt all seine Sorge.
In höchster Eile versucht er, dem Wind die Mühlenflügel aus dem Wege zu drehen. Sonst könnten sie zerbrechen. Und nicht auszudenken, wie es dem Wind erginge, geriete er zwischen die sausenden Flügel.
Wohin aber soll Piet Himp die Mühlenflügel drehen? Wie ein Irrlicht springt der Wind auf dem Berg umher. Hier ist er und dort und überall, scheint es dem Müller. Der Berg hüllt sich schon in Dämmerung. Die Mühle hockt auf ihm wie eine riesige Eule. Ihre Flügel sind kaum noch zu sehen, stehen wie eine offene Schere davor. Unwetter bedeutet das oder Gewitter.
Piet Himp darf nicht warten, bis es vollends dunkel ist.
«Achtung!», schreit er gegen den Wind. «Ich drehe nach Ost!»
Er greift den Mühlensterz, beugt sich vornüber, schiebt ihn kräftig vor sich her. Und dabei streift zufällig ein Mühlenflügel die geblähte Ballonmütze des Windes.
Zuerst fährt zischend ein Blitz hervor, wie aus einer geladenen Wolke. Dann kracht es wie ein Donnerschlag.
Die Ballonmütze platzt und pfffff - sinkt sie in sich zusammen.
Der Wind wird fadendünn, windet sich durch das Rosengebüsch und ist verschwunden.
Fassungslos starrt Piet Himp ins Leere.
Der Wind ist fort. Das Unwetter ist vorübergegangen. Von nun an herrscht Windstille, Tag für Tag. Am Mühlenberg regt sich nicht das geringste Lüftchen. Die Blätter des Rosengebüsches rühren sich nicht. Nur in den Blüten ist eine leise Bewegung. Verstohlen brechen sie auf. Der wilde Rosenbusch öffnet seine Augen. Der Vogelbeerbaum steht still wie im Schlaf. Über den Himmel zieht keine Wolke, so sehr Piet Himp auch danach Ausschau hält. Nur einmal erscheint es ihm, als flöge hoch oben etwas, das beinahe aussieht wie eine Müllermütze.
Eine neue Mütze ist bald beschafft.
Wie aber besorgt Piet Himp neuen Wind? Ohne Wind kann der Müller nicht mahlen. Und eine Mühle, die nicht mahlt, ist wie ein Vogel, der nicht singt.