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Potsdamer Geschichten von Gisela Heller
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
29.07.2019
ISBN:
978-3-95655-828-3 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 358 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik, Belletristik/Kulturerbe
Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories, Generationenromane, Familiensagas, Revolutionen, Aufstände, Rebellionen, Zweiter Weltkrieg, Brandenburg
Potsdam, Preußen, König, Kaiser, Knobelsdorff, Schinkel, Humboldt, Lenné, 2. Weltkrieg, Sanssouci, Babelsberg, Cecilienhof, Alexandrowka, Nowawes
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„Nichts war früher so komisch und traurig zugleich wie diese kleinen Burschen, diese Miniatur-Unteroffiziere, eingeklemmt in Uniformen, die ganz Kind und ganz Militär schon waren, und je kleiner und winziger, desto wichtiger ihre breiten Schuhe klirrend auf holpriges Pflaster setzten.“

So hat sie der Schriftsteller Georg Hermann noch in den Zwanzigerjahren auf seinen Spaziergängen durch Potsdam gesehen.

Als Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1722 das Militärwaisenhaus gründete, musste dies eine segensreiche Einrichtung genannt werden, denn in anderen Ländern kümmerten sich die Monarchen einen Teufel umsolches „Lumpengesindel“. Der Soldatenkönig aber brauchte jeden Mann, um seine ehrgeizigen Pläne zu verwirklichen. Das gibt er in der Stiftungsurkunde auch unumwunden zu: „… anerwogen, dass viele Soldaten ihre Kinder Theils aus Unvermögen, Theils aus Sorglosigkeit, so wenig im Christentum, alß welches doch das eintzige Mittel ist, wodurch gute Unterthanen gemachet werden müssen, alß anderem zu ihrem Unterhalt und weiterer Nahrung dienlichen Wissenschaften nicht erziehen lassen können …“, müsse der König eben selber dafür sorgen, dass gute Untertanen aus ihnen würden. Als praktisch veranlagter und sparsamer Mensch schwebte ihm das Modell der Franckeschen Stiftung in Halle vor, in denen Waisenkinder in Gottesfurcht erzogen und mit allerlei handwerklichen Fähigkeiten fürs Leben ausgerüstet wurden. Francke sollte ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen und war gern bereit dazu, doch als er erfuhr, dass der Preußenkönig seine Waisenkinder von ausgedienten Soldaten „erziehen“ lassen wollte, verzichtete er auf tätige Mithilfe.

Der König selbst war oberster Chef des Hauses, als Stellvertreter fungierte – der preußische Kriegsminister. Der Direktor stand im Range eines Oberst, und der bürgerliche Hofrat Klinte war für Ökonomie und Strafen zuständig.

Im Jahre 1730 konnte das Waisenhaus bereits über tausend Kinder aufnehmen, meist Sprösslinge aus Konkubinaten von Grenadieren mit Potsdamer Mägden. Um nun das Waisenhaus finanziell sicherzustellen, flossen ihm gnädiglich Einkünfte aus Gütern und Manufakturen zu. Manchmal flossen die Gelder auch aus recht merkwürdigen Quellen. So musste zum Beispiel jedes jüdische Ehepaar, das im Lande getraut sein wollte, den Erlaubnisschein mit zehn Reichstalern in Gold erkaufen, was schmerzhaft viel Geld war. Es floss in die Kasse des Waisenhauses, über das der König wachte wie über seine Tabakpfeifensammlung. Er kümmerte sich buchstäblich um alles und legte selbst den Speiseplan fest. Am ersten Tag der Woche sollten die Kinder Hering essen, am zweiten Käsebrot, am dritten Schweinefleisch, am vierten Wurst, am fünften Butterbrot, am sechsten Kaldaunen und am Sonntag Rindfleisch. Zum Abendbrot gab es durchweg Mehlsuppe oder Grütze, zum Frühstück eine Scheibe trocken Brot mit Salz.

Der König entwarf auch höchsteigenhändig einen Stundenplan für das ganze Jahr: „Die Hauß-Knechte sollen um 5 Uhr aufstehen, um die Knaben um 6 Uhr zum Waschen herauszuführen. Von 7 bis 8 Uhr ist öffentliche Bäth-Stunde, daran neben den Kindern auch alle Domestiquen beywohnen sollen. Von 8 bis 9 Uhr wird Frühstück ausgetheylet, wobei ein Spruch oder Lied vorgebäthet wird. Von 9 bis 11 Uhr wird Schule gehalten. Von 11 bis 12 ist Frey- und Reinigungsstunde, es sollen sich die Knaben auf dem Hoff eine Motion machen. Danach wird Essen und Braunbier gereicht, wobei ein Capitel aus der Bibel gelesen wird. Nach dem Dankliede wieder Frey- und Reinigungsstunde, von 2 bis 4 Uhr wieder Schule. Um 4 Uhr wird die Biblische Historie erklärt, wobey wieder alle Bedienten anwesend seyn sollen. Weßen Aufwartung dringend gebraucht wird, muss die Bäthstunde nachgeholt werden. Um 6 Uhr Abendläuten und Abendbrot, danach wird ein biblischer Spruch erklärt und mit dem Abendliede geschloßen. Worauf die Knaben des winters halb neun, des sommers halb zehn von denen Hauß-Knechten zu Bette gebracht und visitiret werden, dass keiner nicht Licht Bei sich habe oder andere Bosheit ausübe.“

Fünf Hausknechte und fünfzehn Weiber hatten rund um die Uhr für das leibliche Wohl der Zöglinge zu sorgen. Sie waren von früh fünf bis mindestens abends halb neun vollauf beschäftigt, zumal sie ja ständig durch die „Bät-Stunden“ vom Kochen, Schrubben und Läusesuchen abgehalten wurden. Auf der sozialen Leiter standen sie so weit unten, dass sie im Grunde nicht viel besser dran waren als Gefangene. Über ihren Lohn steht nirgends etwas geschrieben. Man kann sich aber gut ausmalen, dass diese geschuriegelten Kreaturen sich wieder Kreaturen suchten, die sie ungestraft treten konnten, und das waren die Waisenkinder. Ein Lehrer erhielt zu dieser Zeit sechs Taler und acht Groschen im Monat, ein Prediger acht Taler und zwanzig Groschen, wahrscheinlich, weil er durch die vielen Betstunden mehr strapaziert wurde.

Übrigens sagte der Stundenplan nicht die volle Wahrheit: Es wurden nämlich in zunehmendem Maße Zöglinge an hoch dotierte Unternehmen ausgeliehen. Die Gewehrfabrik Daum & Splittgerber erhielt als erste auf königlichen Befehl sechzig Kinder. Und der Hofprediger gab seinen Segen dazu. Daum & Splittgerber hatten vom Soldatenkönig eine Art Rüstungsmonopol übertragen bekommen.

Als billigste Arbeitskräfte schlugen zweifellos die Waisenhauszöglinge zu Buche, die zweitbilligsten waren des Königs Soldaten. Da sie nicht das ganze Jahr über exerzierten, vermietete sie der Herr Hauptmann als Chef der Kompanie an Unternehmer. Unteroffiziere übernahmen die Aufsicht und trieben ihre Leute in den Fabriken genauso an wie auf dem Exerzierplatz.

Potsdamer Geschichten von Gisela Heller: TextAuszug