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„Der Schwielow ist eine Havelbucht im großen Stil wie der Tegler See, der Wannsee, der Plauesche See. Allesamt sind es Flusshaffe, denen man zu Ehre oder Unehre den Namen „See“ gegeben hat... Unter allen unsren Seen kommt er dem Müggelsee am nächsten. An Fläche und Ausdehnung diesem Könige der märkischen Gewässer nah verwandt, weicht er im Charakter doch völlig von ihm ab. Die Müggel ist tief, finster, tückisch... der Schwielow ist breit, behaglich, sonnig und hat die Gutmütigkeit aller breit angelegten Naturen... aber wie alle gutmütigen Naturen kann er heftig werden, plötzlich, beinahe unmotiviert, und dann ist er unberechenbar.“
Eine Segelpartie auf dem Schwielowsee hatte sich Fontane schon lange vorgenommen. Im Sommer 1869 sollte sich dieser Wunsch erfüllen. Die drei Söhne des Caputher Fährmanns, „Midshipmen zwischen zehn und vierzehn“, übernahmen Segel und Steuer und der Garnisonschullehrer Wagener aus Potsdam den „aufklärerischen Teil“ der Fahrt. Fontane zog aus dessen „immer frischen und anschaulichen, weil überall aus der Erlebnisfülle schöpfenden Unterwegs-Gespräche“ so viel Gewinn, dass die Zeit wie im Fluge verging. Der letzte Zug war versäumt, und man musste im Dorfe „bei Bossdorf“ Nachtquartier nehmen.
Wie so oft verhalf ihm auch dieser unvorhergesehene Aufenthalt zu den reizvollsten Impressionen, denn am andern Morgen, als er „unter einem Lindenbaum in Front des Hauses“ frühstückte, die Riesensemmeln mit den zutraulichen Spatzen teilte und dem still-geschäftigen Leben des Dorfes zusah, fuhr ein Kremser mit einer animierten Gesellschaft vor: „Zwei Herren, Fünfziger, mit grau melierten Backenbärten, Lebemänner aus der Schicht der allerneusten Torf- und Ziegelaristokratie“ und ein paar „junge Damen, aber nicht zu jung.“ Die Schilderung ihrer „Landpartie“ und der augenzwinkernden Virtuosität, mit der Bossdorf ihnen den Morgenimbiss reichte - „vier Kulmbacher, vier Werdersche, mehrere Cognacs und eine Pyramide von Butterbroten“ dies gehört zu den schönsten Kabinettstücken der „Wanderungen“.
Es folgt ein ernsthaftes Kapitel über den harten Kampf ums Dasein, den die aufgrund ihrer geografischen Lage vom Ackerbau ausgeschlossenen Caputher zu führen hatten. Die Frauen bauten auf dem schmalen Uferstreifen Obst und Gemüse an, die Männer bauten Lastkähne, auf denen sie Millionen Steine, die in den umliegenden Ziegeleien gebrannt wurden, nach Berlin transportierten. „Die Männer haben den Seefahrerleichtsinn; das in Monaten Erworbene geht in Stunden wieder hin... zumal um Pfingsten. Dann drängt sich alles hier zusammen; zu beiden Seiten des ‚Gemündes’ liegen 100 Schiffe oder mehr, die Wimpel flattern, und hoch oben vom Mast, ein entzückender Anblick, grüßen hundert Maienbüsche weit in die Ferne.“
Ob Fontane den Ort an solch einem Festtag noch einmal besuchte, ist nicht bekannt, jedenfalls nannte er Caputh „das Chicago des Schwielow- Sees“, was ihm die Einheimischen bis heute übel nehmen. Fontane schilderte aber auch die Risiken und Gefahren ihrer Arbeit, denn der Schwielowsee war bei böigem Wind tückisch, und „an manchen Stellen lagen die schweren Kähne reihenweise auf dem Grund wie nach einer verlorenen Schlacht“.
Dem schweren Leben der Dorfbewohner stellte er die heiteren Tage gegenüber, die der Große Kurfürst mit seiner zweiten Gemahlin Dorothea hier im Jagdschlösschen verbrachte. Sein Sohn, Friedrich I., erster König in Preußen, ließ Caputh als „ein kleines märkisches Juwel“ ausbauen. Fontane beschwor noch einmal die Bilder aus dem Sommer 1709, als „König Friedrich IV. von Dänemark und Friedrich August von Polen auf Einladung Friedrichs I. von Preußen in Potsdam eine persönliche Zusammenkunft hielten“. Man kam von dort in einem „überaus prächtigen Schiff, das mit allem nur erdenklichen Luxus ausgestattet war und... an die Prachtschiffe der alten Phönizier und Syrakuser erinnerte“. Der Besuch der drei Könige war der glanzvolle Höhepunkt in der Geschichte des Lustschlösschens. Von da an ging’s bergab. (Ein gut Teil des kostbaren Porzellans hatte August der Starke bereits, volltrunken, zertrümmert.) Der Soldaten könig degradierte Caputh „zu einem bloßen Jagdhause“, ein alter Türke wurde Kastellan. Die vergoldete Jacht tauschte er beim Zaren Peter dem Großen gegen zweihundertdreißig „Lange Kerls“ ein; unter Friedrich II. zog sogar eine Garnweberei ins Schlösschen ein. 1815 erhielt es Oberst von Thümen für besondere Verdienste in den Befreiungskriegen.
Die heiteren, schwelgerischen Tage kamen nie wieder. Als Fontane in jenem Sommer 1869 nach Besichtigung des Schlösschens auf die Freitreppe hinaustrat und „einen unbehinderten Blick auf das weite Wasserpanorama“ warf, „schwamm eine ganze Flotille von Havelkähnen heran, und am Horizonte stand in scharfen Linien steif-grenadierhaft die Garnisonkirche von Potsdam...“
Der Autor selbst hielt das Caputh-Kapitel, das am 17. April 1870 in der „Kreuz-Zeitung“ und 1872 in den „Wanderungen“ erschien, für eins der besten. „Es ist alles mit dem Haarpinsel gemalt“ (an Elise, 22. 4. 1870).
Fontane erlebte noch im hohen Alter, wie sich die Lebensweise der Caputher einschneidend veränderte: Nach dem Bau des Sacrow-Paretz-Kanals gerieten die Schiffer ins Abseits, hingen ihr Teerzeug an den Nagel und verlegten sich auf Gartenbau und - Fremdenverkehr. Im 20. Jahrhundert siedelten sich auf dem Krähenberg wohlhabende Leute und Künstler, vor allem Maler an, denn der Blick von der kahlen Hügelkuppe über den schimmernden, gleißenden Schwielowsee ist noch immer so berückend, wie ihn Fontane beschrieben hat.
Die Fähre befindet sich seit 1848 im Besitz derselben Familie. Nur wurde der Kahn durch eine Seilfähre ersetzt, die seit 1924 durch Motorkraft angetrieben wird. Dank ihrer nostalgischen Beschaulichkeit übt sie - besonders nach dem Fall der Berliner Mauer - ungeahnte Anziehungskraft auf hektische Großstädter aus.
Von der Veranda des Fährhauses aus lässt sich das Treiben gemütlich beobachten.
Das Gasthaus Bossdorf, von dem Fontane sagte, es habe „das beste Bier und die besten Betten“, wechselte mehrfach den Besitzer, besteht aber noch unter dem Namen „Havelklause“.
Das ehemalige Jagdschlösschen versteckt sich am Ufer des Templiner Sees. Man orientiert sich am besten am Turm der Dorfkirche, eine jener frühchristlichen Basiliken nachempfundenen Kirchen, mit denen der fromme und italienliebende Friedrich Wilhelm IV. die Landschaft um seine Residenzstadt Potsdam zu schmücken beliebte. Die Kirche war damals noch ziemlich neu, Fontane erwähnte sie nicht.
Das Schlösschen selbst liegt in einem von Lenné entworfenen Park und diente nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang als Berufsschule. Erhalten blieben dennoch wertvolle Stuckdecken, Boiserien, der Festsaal mit dem Deckengemälde, einige Teile des Porzellankabinetts und die mit kostbaren Delfter Kacheln bekleideten Kellergewölbe.
Im Herbst 1990 wurde das Schlösschen Caputh unter die Schirmherrschaft von Sanssouci gestellt, was für die Zukunft des frühbarocken märkischen Kleinods hoffen lässt.
(Zitate, soweit nicht anders vermerkt, aus „Wanderungen“ III, Kapitel „Der Schwielow“, „Caputh“.)